Wie sich in Städten Wertstoffe retten lassen
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Bei jedem Abriss eines Gebäudes stößt man auf wertvolle Rohstoffe.
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
Hannover. Straßen, Gewerbebauten und Einfamilienhäuser wachsen unermüdlich in die Landschaft hinein: Jeden Tag wird in Deutschland eine Fläche von umgerechnet 72 Fußballfeldern bebaut. Und egal, wie umweltfreundlich ein Haus heute sein mag, hinterlässt das Baumaterial selbst negative ökologische Spuren. Jahr für Jahr nutzt die Baubranche in Deutschland rund 1,5 Millionen Tonnen Stahl, 250.000 Tonnen Kupfer und 35.000 Tonnen Aluminium. In Betonwänden zum Beispiel steckt Stahl aus China, in Rohren Kupfer aus Chile und in Fensterrahmen Alu, das wiederum aus Bauxit gewonnen wird, gefördert in China oder Australien.
Die Rohstoffe werden knapp
All diese Rohstoffe werden knapp. Selbst Sand, unerlässlich für Beton und Glas, ist nicht unbegrenzt verfügbar. Der Kampf um die Rohstoffe hat begonnen und wird wohl künftig Konflikte noch stärker mitbestimmen. Einige Staatschefs schicken bereits ihre Forschungsschiffe an den Nordpol, um die Schätze unter dem arktischen Eis auszuloten.
Doch warum in die Ferne schweifen? Wir leben in Deutschland auf urbanen Minen, sind also umgeben vom Gold der Zukunft. In Deponien schlummern Elektroschrott, Glas, Plastik und Metalle der Fünfziger- und Sechzigerjahre, die damals achtlos entsorgt wurden. Auch in Industriebrachen und Nachkriegshäusern, die derzeit abgerissen werden, befinden sich wertvolle Rohstofflager.
Viele Rohstoffe bleiben unsortiert
Den hiesigen Bestand an Stahl in Hoch- und Tiefbau sowie in sämtlichen Infrastrukturen schätzt Felix Müller vom Fachbereich Ressourcenschonung, Stoffkreisläufe, Mineral- und Metallindustrie des Umweltbundesamts auf mindestens 1,15 Milliarden Tonnen für das Jahr 2020. Diese Materialien fallen früher oder später als Schrott an. Trotzdem sind die urbanen, vom Menschen geschaffenen Rohstoffquellen, die sogenannten anthropogenen Lager, weitgehend unkartiert. Das Umweltbundesamt hat mittlerweile ein Kartierungsprojekt begonnen. Zu einzelnen Metallen und Baumineralien will die Gruppe um Müller einen Überblick bekommen, wann was in welcher Region frei werden könnte. Schließlich ruhen hier Kostbarkeiten, etwa Stahl im Wert von 350 Milliarden Euro.
Oft wanderten diese Rohstoffe noch immer recht unsortiert auf die Bauschuttdeponie, sagt Peter Kiefhaber, Bauingenieur aus Kaiserslautern und Spezialist für Urban Mining. „Da werden dann gerade noch die Kupferleitungen herausgeholt oder spätere Störfaktoren im Bauschutt wie Fensterrahmen.“ Ansonsten spekuliert man auf „einen reinen Mauerwerksbruch“, der sich später in der Aufbereitungsanlage als Füllmaterial downcyceln lässt. Das heißt: Es werde zwar viel wiederverwertet, aber immer auf einer minderwertigeren Stufe. Klüger wäre es, an Ort und Stelle die Gebäude auszuschlachten und nicht nur ein „Gebäude zu sehen, das weg muss“. Städtischer Bergbau macht unabhängiger von Importen, diktierten Preisen und knapper werdenden Ressourcen. „Leider ist alles noch eine Frage der Wirtschaftlichkeit, solange ein gusseiserner Kanaldeckel aus China günstiger ist als der aus dem Nachbarort“, so Kiefhaber.
Urban Mining gab es schon früher
Urban Mining ist keine Neuerfindung: Das Kolosseum in Rom diente Herrscherfamilien und Päpsten als Steinbruch für ihre Paläste. Deutsche Trümmerfrauen sammelten nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ruinen Steine zusammen, aus denen neue Häuser entstanden. Was wäre also, dächten wir künftig nicht nur bei Joghurtbechern, sondern auch bei Stadtbrachen, Leerstand und Bauruinen an Kreislauf statt an Abfall?
Michael Braungart ist einer der Wegbereiter des Prinzips Cradle to Cradle, von der Wiege zur Wiege: Produkte sollen ihm zufolge so konzipiert sein, dass sie nicht nur wenige Schadstoffe enthalten, sondern auch ewig weiterverwendet werden können – und zwar auf der gleichen Wertigkeitsstufe. Der Gründer des Umweltforschungs- und Beratungsinstituts Epea sieht das Prinzip aufs Bauen übertragen so: „Wir müssen Gebäude als Rohstofflager bauen.“
Soll es einen Ressourcenpass für Neubauten geben?
Klebeverbindungen, wie sie in Dämmungen vorkommen, sind ihm ein Graus. Auch Kiefhaber sagt: „Sie sind oft ein Mix aus organischen und anorganischen Materialien, miteinander verklebt und auf die Wände geklebt.“ Bauingenieure wie er fragen sich: Wie müsste ein Gebäude errichtet werden, damit es Folgegenerationen gut auseinandernehmen können? Dazu müssten sie wissen, was wo verbaut wurde. Braungart empfiehlt modulartiges Bauen, wobei Tragwerk und Innenausbau voneinander getrennt sind und alle Bestandteile leicht demontiert werden können. Kiefhaber wirbt für einen Ressourcenpass bei Neubauten.
Innenluft wird immer schlechter
So manch modernes Baumaterial hat jedoch seine Tücken. Dreifachverglaste Scheiben sind so dicht, dass kein Lüftchen entweicht. Also muss in solchen Häusern eine Belüftungsanlage her. „Wir optimieren unsere Häuser energietechnisch immer mehr und versuchen, das Falsche perfekt zu machen“, meint Braungart. Heute sei die Innenluft in Gebäuden drei- bis achtmal schlechter als die Außenluft in der Stadt. In Muttermilchproben sei genau ablesbar, welche Materialien in Gebäuden verbaut wurden. „Wir sollten stattdessen gleich muttermilchgeeignete Gebäude bauen, mit guten Materialien. Gebäude wie Bäume. Gebäude, die die Luft besser machen.“
Zukunftsfähig gebaute Häuser sollten also nicht nur später leicht zu zerlegen sein, sondern auch aus „guten“ Materialien bestehen. Früher bedienten sich Menschen ganz selbstverständlich der natürlichen Rohstoffe ihrer Umgebung; sie bauten Häuser aus Lehm, Stein, Holz und Stroh. Im Norden entstanden Häuser mit Reetdächern.
Architekt wirbt für Strohhäuser
Der Lüneburger Architekt Dirk Scharmer hat mehrere Strohhäuser gebaut, darunter ein fünfstöckiges Bürogebäude in Verden. Die Wände bestehen aus etwa 35 Zentimeter dicken Strohballen: außen verputzt mit Kalk, innen mit Lehm. „Das ist ökologisch und gut für die Gesundheit“, sagt Scharmer. Zwar wurden schon früher die Zwischenräume bei Fachwerkhäusern mit einer Stroh-Lehm-Masse gefüllt. Doch der Architekt verwendet die Strohquader pur. Die Putzschicht dürfe jedoch keine Risse aufweisen, damit Feuchtigkeit, Getier und Feuer keine Chance haben.
Das Gute an dieser Technik: „Stroh gibt es theoretisch überall, also auch auf dem Acker nebenan, und es ist nachwachsend. Und ein Strohhaus kann während seiner gesamten Lebensdauer weniger Energie verbrauchen als ein herkömmliches bereits verbraucht hat, bis es fertig ist.“ Zumindest, wenn man mit Holz heizt.