Was ist das denn für ein Tier? Forscher untersuchen das Orobates pabsti
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Mithilfe zweier scheinbar getrennter Disziplinen – Paläontologie und Robotik – haben Wissenschaftler den Orobates als OroBOT gleichsam wieder auferstehen lassen.
© Quelle: Kamilo Melo/EPFL Lausanne/AP
Berlin. Im Bromacker-Steinbruch bei Tambach-Dietharz in Thüringen werden seit den Siebzigerjahren immer wieder Fossilien ausgestorbener Wirbeltiere gefunden. Vor allem ein Skelett, das 1998 dort ans Tageslicht kam, hat den Steinbruch unter Paläontologen weltweit berühmt gemacht: Es misst 85 Zentimeter von der Schnauze bis zur Schwanzspitze und ähnelt einem kleinen Krokodil.
Analysen der Knochen zeigten, dass das Tier vor rund 300 Millionen Jahren gelebt hat – 65 Millionen Jahre vor den ersten Dinosauriern. Damit gehörte es zu den ersten Landwirbeltieren überhaupt. 2004 stand fest, dass es sich um eine bis dahin unbekannte Art handelte.
Seine Entdecker tauften das Urtier Orobates pabsti. Das griechische Wort Oros bedeutet Berg, Bates bedeutet Läufer. Macht zusammen: Bergläufer. Den Beinamen pabsti wählten sie zu Ehren des Gothaer Gymnasiallehrers Wilhelm Pabst, der Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Ausgrabungen am Bromacker-Steinbruch vorgenommen hatte. Dabei hatte Pabst vor allem Fährten ausgestorbener Vierbeiner gefunden.
Paläontologie trifft Robotik
Wie passend die Namensgebung tatsächlich war, zeigt eine Forschungsarbeit im Journal „Nature“. Mithilfe zweier scheinbar getrennter Disziplinen – Paläontologie und Robotik – hat die Arbeit den Orobates gleichsam wieder auferstehen lassen.
Besonders am Orobates ist nicht nur sein Alter. 2007 konnten US-amerikanische Forscher dem Urtier auch eine jener versteinerten Fährten zuordnen, die aufgefunden worden waren. „Das ist eine extrem seltene Kombination”, sagt Professor Martin Fischer vom Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Universität Jena. „Ohne diese Zuordnung der Fährten zum Skelett hätte es unsere Studie nie gegeben.”
Fischer ist bekannt für seine Hochgeschwindigkeits-Röntgenaufnahmen lebender Tiere wie Echsen, Lurche oder Hunde, deren Bewegungsapparat er seit mehr als 30 Jahren studiert. 2010 wurde Fischer auf die Möglichkeit aufmerksam, die in der Kombination aus Skelett und Fährte des Orobates schlummerte: Könnte man die Bewegung des Tieres mithilfe der Klauenstapfen irgendwie rekonstruieren?
Tausende theoretisch möglichen Bewegungsmuster
„Die Fährten waren ein guter Startpunkt”, sagt John Nyakatura, der damals bei Fischer das Projekt als wissenschaftlicher Mitarbeiter betreute. „Allerdings kann man innerhalb derselben Fährten ganz unterschiedliche Gangarten annehmen.” Wie könnte man die Tausenden theoretisch möglichen Bewegungsmuster anhand der Fährte und des Skeletts eingrenzen?
Zuerst schuf Nyakatura, heute Juniorprofessor an der Humboldt-Universität Berlin, aus CT-Bildern des Skeletts ein virtuelles Modell des Fossils. „Aus den Bildern haben wir eine anatomisch korrekte Animation des Orobates aufgebaut”, sagt er. „Die Animation ließen wir dann in einer digitalisierten Version der Fährten laufen.”
Doch aus der Animation allein ergab sich noch nicht, welche Bewegungen in der Realität möglich waren, ohne dass dabei Knochen kollidierten oder Gelenke aus ihren Schalen sprangen. Um das Problem zu lösen, suchten Nyakatura und seine Kollegen Rat bei heute lebenden Tieren, deren Skelett dem des Orobates ähnlich ist. Mit Fischers Hochgeschwindigkeits-Röntgenkameras durchleuchteten sie Salamander, Blauzungenskink, Leguan und Kaiman beim Laufen auf einem Laufband.
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Der Orobates begeistert die Paläontologen Thomas Martens (v. r.), David Berman und Stuart Sumida.
© Quelle: Martin Schutt/dpa
Die Röntgenfilme zeigten, in welchem groben Rahmen sich die Gangart des Orobates wahrscheinlich bewegte. Doch auch das Computermodell konnte nicht alle Fragen beantworten. Unklar blieb, ob der Orobates mit einer der plausibel erscheinenden Gangarten tatsächlich hätte laufen können.
2014 kam Nyakatura die entscheidende Idee. Was, wenn man den Orobates als Roboter wieder auferstehen ließe? Seit Jahren hatte Fischer mit der Gruppe von Professor Auke Ijspeert von der EPFL-Universität in Lausanne zusammengearbeitet. Die Forscher sind für ihre von der Biologie inspirierten Roboter weltweit bekannt. Nyakatura bat Ijspeert daher, ihm einen Roboter-Orobates als Versuchstier zu bauen.
Die Forscher aus Lausanne druckten Wirbel, Rippen und den Schädel des Orobates aus Kunststoff. Für Gelenke und Beine nutzten sie kleine Motoren. Da Motoren aber nicht so stark sind wie biologische Muskeln, fielen sie etwas größer aus als ihre prähistorischen Vorlagen. Deshalb maß der fertige Oro-Bot, wie die Forscher ihn tauften, am Ende rund 140 Zentimeter von der Schnauze bis zur Schwanzspitze, mit der Kontrolleinheit im Schädel.
Das Urtier lief vermutlich wie ein heutiger Kaiman
Nun hatten die Forscher also ein Versuchstier. Zunächst simulierten sie die Bewegungsmuster des Roboterfossils, wenn es in den (ebenso simulierten) Fußstapfen des Orobates lief. Dann kam der große Auftritt des Oro-Bot: Nyakatura und seine Kollegen ließen das Roboterfossil laufen und maßen dabei die Kräfte an Gelenken und Füßen. Diese Daten grenzten die möglichen Gangarten des Orobates deutlich ein.
Das Ergebnis: Das Urtier lief vermutlich wie ein heutiger Kaiman, mit dem Bauch vom Boden abgedrückt. Eine entscheidende Entdeckung: Denn alle heutigen Säugetiere, Vögel und Reptilien gehen auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, der vor etwa 350 Millionen Jahren lebte.
Er gehörte zu den ersten Tieren, die sich unabhängig von offenen Gewässern bewegten. Die wahrscheinliche Gangart des Orobates zeigt also auch, wie die ersten Landwirbeltiere vermutlich ihre Umgebung erkundeten.
Die Möglichkeit einer Zeitreise
Besonders ist die Arbeit von Nyakatura und Co. noch aus einem anderen Grund. „Der Oro-Bot ist eine Experimentierplattform”, sagt Fischer. „Mit ihr lässt sich die Frage nach der Gangart ausgestorbener Tiere nun aus einer ganz anderen Perspektive beantworten.”
Mit der Kombination aus Simulation, 3-D-Druck und Robotik können Paläontologen gleichsam in der Zeit zurückreisen und mit eigenen Augen betrachten, wie sich das Urtier vermutlich bewegte. „Nature“ taufte den neuen Ansatz Robotische Paläontologie.
Von Christian Honey