Naturschutzexperte: „Die Corona-Krise ist auch eine Artenkrise“

Brasilien, Sao Paulo: Im brasilianischen Amazonasgebiet sind allein im Mai 1180 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt worden.

Die Abholzung von Regenwäldern, die globale Erwärmung und der Handel mit Wildtieren gelten als Faktoren, die die Verbreitung von Seuchen fördern.

Mit der Corona-Pandemie seien zum ersten Mal die Auswirkungen der Arten- und Biodiversitätskrise für uns als Menschen spürbar. Das sagt Lothar Frenz, der als Biologe und Journalist zu Naturschutzprojekten auf der ganzen Welt gereist ist, um die Zusammenhänge zwischen Artensterben und menschlichem Verhalten besser verstehen zu können.

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Im Gespräch mit dem RND erklärt der Artenschutzexperte, was das Selbstbild der Menschheit damit zu tun hat und welche Vision es für den Erhalt des Planeten bräuchte.

Herr Frenz, Sie sind Biologe und weltweit als Journalist für Naturdokumentationen unterwegs. Woher kommt Ihre Faszination für die Artenvielfalt auf diesem Planeten?

Ich bin in der Nähe von Mainz groß geworden. Die Weinberge da sind voll mit Muscheln und Haifischzähnen. Schon als kleiner Junge war mir deshalb klar, dass die Welt früher noch ganz anders ausgesehen haben muss und auch das Aussterben schon immer dazugehört hat.

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In seinem Buch „Wer wird überleben? Die Zukunft von Natur und Mensch“ (2020, Rowohlt Berlin) geht der Biologe Lothar Frenz dem Verhältnis zur Natur auf die Spur.

In seinem Buch „Wer wird überleben? Die Zukunft von Natur und Mensch“ (2020, Rowohlt Berlin) geht der Biologe Lothar Frenz dem Verhältnis zur Natur auf die Spur.

In Ihrem Buch „Wer wird überleben?“ machen Sie sich große Sorgen um den Zustand der Natur. Das Aussterben von Pflanzen und Tieren beschreiben Sie als enormes Problem, das nicht mehr nur einfach dazugehört.

99 Prozent aller Arten sind ausgestorben, seit Leben auf der Erde existiert. Aber wir befinden uns gerade in einer Phase, in der das sechste Massenaussterben im Laufe dieser Erdgeschichte beginnt. Plötzlich sind es sehr viel mehr Arten, die für immer verschwinden. Das letzte Mal hat so etwas stattgefunden, als ein Asteroid das Leben der Dinosaurier ausgelöscht hat.

Um welches Ausmaß geht es dabei?

Das stabile Netz, das unser Ökosystem aufrechterhält, wird immer löchriger. Die Roten Listen der bedrohten Arten werden länger und länger. Wir Menschen verbrauchen einfach zu viel Platz. Allein das Gewicht all unserer Haustiere, also neben Hund und Katze auch Rinder, Schweine, Schafe, Pferde – ist 24-mal so schwer wie das Gewicht aller wild lebenden Tiere auf unserem Planeten zusammen. Viele Tier- und Pflanzenarten sind deshalb auf dem Rückzug. Und das ist ein Problem. Weil sehr viele eine wichtige Funktion haben. Davon wissen wir Menschen oft gar nichts.

Wobei wir ja langsam begreifen, was es bedeuten kann, wenn etwa die Hitze im Sommer unerträglich wird oder plötzlich die Unwetterkatastrophe hereinbricht, wie gerade im Westen Deutschlands geschehen.

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Sie sprechen von einer „Ökosystemleistung“, die durch das Schwinden der Arten wegfällt und am Ende auch die Menschen trifft. Was genau ist damit gemeint?

Zwei Beispiele: Auf der indonesischen Insel Java werden die Wälder immer stiller. Da werden in großem Stil Singvögel gefangen und dann auf Wildtiermärkten als Haustiere weiterverkauft. In der Natur fehlen dadurch eine ganze Reihe von Arten mit unterschiedlichsten Schnabelformen. Eine ganze Reihe von Pflanzen wird durch den Vogelschwund nicht mehr bestäubt beziehungsweise deren Samen werden nicht mehr verteilt. In ein paar Jahren wird sich erst wirklich zeigen, wie sich das auf die Wälder auswirkt.

Auch die Blauwale haben wir fast ausgerottet. Dabei düngen sie mit ihrem Kot die Weltmeere mit Nährstoffen für andere Tiere und Pflanzen. Der Mensch hat auch lange Zeit fälschlicherweise gedacht, wenn die Blauwale als Hauptfeind der Krillkrebse verschwinden, vermehren sich diese umso stärker und wir können sie besser für Tierfutter und Fischköder ernten. Nachträglich stellte sich dann heraus, dass es andersherum war. Als die Blauwale verschwanden, wurden auch die Krebse immer weniger.

Blauwale gelten als gefährdet (Symbolbild).

Blauwale gelten als gefährdet (Symbolbild).

Von diesen Zusammenhängen bekommt der moderne Mensch im Alltag nicht viel mit.

Das ist ähnlich wie beim Klimawandel. Wobei wir ja langsam begreifen, was es bedeuten kann, wenn etwa die Hitze im Sommer unerträglich wird oder plötzlich die Unwetterkatastrophe hereinbricht, wie gerade im Westen Deutschlands geschehen. Ganz so eindeutig ist das Artensterben noch nicht spürbar. Wobei ja auch die Corona-Krise eine Artenkrise ist.

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Inwiefern?

Alle Artenschützer und Seuchenmediziner haben seit Jahrzehnten davor gewarnt, dass so etwas kommen kann. Das Coronavirus kam durch Fledermäuse zu uns. Es ist noch umstritten, ob die Wildtiermärkte oder das Labor eine Zwischenstation waren. Fakt ist aber, dass wir Menschen in den Lebensraum der Tiere eingedrungen sind. Genauso haben sich auch HIV und Ebola verbreitet.

Glauben Sie, dass die Erfahrung mit Corona mehr für die Zusammenhänge zwischen Umweltzerstörung, menschlichem Verhalten und Gesundheitskrisen sensibilisiert hat?

Nein, ich befürchte nicht. Im Moment steht im Vordergrund, was die Krise medizinisch und wirtschaftlich bedeutet und wie möglichst schnell wieder Normalität einkehrt. Wir schauen erstaunlich wenig darauf, woher die Corona-Pandemie kommt.

Welche Konsequenzen müssten wir denn aus der Corona-Krise ziehen?

Wir müssen besser begreifen, wie Natur funktioniert. Die Zusammenhänge sind auch für uns Menschen überlebenswichtig. Ein Beispiel: Parasiten machen 50 Prozent aller Arten aus. Wir sehen sie aber als Störfaktor und Überträger von Krankheiten. Die Vorstellung, dass diese Organismen keine Funktion in dieser Welt haben, nur weil sie für den Menschen unangenehm sind, passt einfach nicht.

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Das Zusammenleben von Parasit und Mensch als Wirt hat auch Vorteile?

Einen guten Parasiten macht aus, dass er seinen Wirt nicht umbringt. Denn der ist ja seine Lebensgrundlage. Die Wissenschaft nennt gut angepasste Parasiten und ihren Wirt alte Freunde. Sie ringen zwar miteinander – aber das ist ein Geben und Nehmen. Im Prinzip ist das wie unser Verhältnis zur Erde. Wir leben von ihren Ressourcen, andere gibt es nicht. Wir beuten sie aber massiv aus und geben nichts zurück. Dadurch sind wir selbst bedroht.

Lothar Frenz: „Wer wird überleben?“ Rowohlt Berlin, ISBN: 3737100543, 448 Seiten, 24 Euro.

Lothar Frenz: „Wer wird überleben?“ Rowohlt Berlin, ISBN: 3737100543, 448 Seiten, 24 Euro.

Darum wird es jetzt vor allem gehen – der Natur wieder mehr Raum zu geben.

Nicht mehr mit einer Bandwurminfektion ringen zu müssen ist aber eigentlich auch eine gute Sache, oder?

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Würmer sind uns zwar lästig, aber unser hochgerüstetes Immunsystem braucht sie eigentlich. In unseren westlichen, hygienischen Ländern hat sich beispielsweise gezeigt, dass es ohne den Befall durch Parasiten oft zu starken Allergien und Autoimmunkrankheiten kommen kann, weil bestimmte Teile des Immunsystems „arbeitslos“ geworden sind.

Wie kann die Natur denn wieder zu einem alten Freund werden?

Es liegt an unserem Verhalten. Jeder und jede kann das Kaufverhalten ändern, sich für Naturschutzverbände einsetzen – und bald ist eine wichtige Wahl in Deutschland. Ohne die große Strategie aus der Politik geht es natürlich auch nicht. Forschende fordern, dass 30 Prozent der Land- und Meeresflächen weltweit unter Naturschutz gestellt werden. Darum wird es jetzt vor allem gehen – der Natur wieder mehr Raum zu geben.

Können Naturzerstörungen denn wieder rückgängig gemacht werden?

Eine heile Welt von früher lässt sich nicht mal eben wiederherstellen. Aber geschädigte Landschaften können restauriert werden. Die Natur kommt ganz schnell zurück, wenn man sie lässt. Dann wird es wieder wild. Und wenn wir uns zurückziehen, verzichten wir auch für unser Überleben. Da geht es nicht nur darum, dass die Landschaft wieder hübscher werden soll. Die Schutzfunktion der Natur wird gestärkt. Wenn Wälder und Feuchtwiesen wachsen, Moore rekultiviert werden, holt das ganz viel CO₂ aus der Luft. Das trägt also zu einem besseren Klima bei.

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Artenschutz ist also mehr, als Frösche nachts über die Straße zu tragen oder Pandas mit der Flasche aufzuziehen?

Auch das ist wichtig. Ich habe oft erlebt, dass auch durch solche kleinen Einzelbeispiele, wo sich jemand um einen seltenen Frosch oder Vogel gekümmert hat, größere Projekte erwachsen sind, wo plötzlich ein ganzer Lebensraum unter Schutz stand. Einzelpersonen lösen aus, dass sich am Ende mehrere in großem Stil kümmern. Und beim Artenschutz helfen immer viele Einzelbausteine zusammengenommen.

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