Tausend Fällungen in Berlin: „Stadtbäume haben ein schweres Leben“
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Immer mehr Straßenbäume verenden – Stadtbäume führen laut Experten „ein schweres Leben“.
© Quelle: picture alliance/dpa
Hannover. Am 1. Oktober jeden Jahres beginnt in deutschen Wäldern die Fällperiode – und die lässt einiges über den Gesundheitszustand der Bäume erahnen. Denn wenn wie in Berlin Tempelhof-Schöneberg knapp 1000 von 55.000 Straßenbäumen gefällt werden müssen, düstert es einem: Den deutschen Bäumen geht es nicht gut.
Stadt- und Waldbäume sind hier aber noch mal zu unterscheiden – wenngleich beide Arten gefährdet sind. „Man könnte sagen, dass Stadtbäume ein schweres Leben führen. Sie haben eine ganz andere Lebenserwartung als Bäume im Wald“, beklagt Derk Ehlert von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Denn diese stehen nicht friedlich mit ihren Artgenossen auf riesigen Flächen – besonders Hitze, Kälte und den Menschen sind Stadtbäume schutzlos ausgesetzt. Diese Probleme beziehen sich nicht nur auf Berlin, in ganz Deutschland ist ein Stadtbaumsterben zu beobachten, informiert Ehlert.
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Stadtbäume müssen viele negative Einflüsse verkraften
Natürliche oder unnatürliche Umwelteinflüsse, die sich negativ auf den Stadtbaum auswirken, gibt es viele. Straßenbelastung, Bodenverdichtung durch parkende Autos, Hundeurin, Anstöße durch Verkehrsunfälle, Hitze, Spiegelung von Fassaden, Dächern oder Scheiben – das alles sind Bedingungen, die nicht gerade für einen Baum verträglich sind. „Wenn dann obendrauf noch die trockenen Sommer kommen, ist klar, dass die Sterblichkeit der Stadtbäume steigt“, erklärt Ehlert.
Auch das Gegenteil, die Kälte, führt laut Experten zu Veränderungen der Stadtbäume – allerdings nicht wegen der Temperaturen, sondern wegen des Streusalzes. „Die Hitzesommer 2018 und 2019 sind nicht allein schuld am Rückgang des Baumbestandes an den Straßen, massenhaft Bäume haben Schäden durch Salz.“ Das Salz sauge die Bäume schlichtweg aus und lässt sie vertrocknen.
Außerdem „trinken“ Bäume 500 bis 600 Liter Wasser am Tag, sind ihre Wurzeln aber unter einer dicken Schicht Asphalt vergraben, könnten sie kaum genug Wasser erhalten.
Standfestigkeit der Bäume entscheidend
Doch es sind nicht immer Krankheiten, die dazu führen, dass Stadtbäume gefällt werden müssen, auch ihre Standfestigkeit ist entscheidend. Stellt ein Baum eine Gefahr für Mensch oder Gebäude da, könnte er also umstürzen, müsse er gefällt werden, betont Ehlert. So haben Stadtbäume nicht nur allerlei natürliche Feinde, ihnen geht es auch schneller an den Kragen, wenn die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist.
Um diese Standfestigkeit festzustellen, wird jeder Stadtbaum in Deutschland einzeln erfasst – allein in Berlin sind das über 430.000. „Jeder Baum der an der Straße steht, ist mit einer kleinen Nummer versehen und muss über ein Datenverarbeitungssystem erfasst werden“, erklärt Ehlert. Dabei geht es vor allem um den Schutz des Menschen, in Deutschland werde „alles Erdenkliche getan, damit die Bäume möglichst gut kontrolliert werden, um Menschen zu schützen“.
Stadtbäume sorgen für saubere Luft
Besonders für Städte seien Bäume laut Ehlert aber entscheidend: „Bäume produzieren Sauerstoff, darüber hinaus haben sie die besondere Aufgabe, Schadstoffe aus der Umwelt zu filtern – sie machen quasi die Luft sauber.“ Außerdem wichtig, sie sorgen für ein besseres Klima, hinsichtlich der Temperaturdifferenzen. „Die Luft ist in einer mit Bäumen bepflanzten Straße besser als in einer Straße ohne Bäume“, stellt der Experte fest.
Auch Parkanlagen in Städten tragen dazu bei: „Es muss nicht immer der klassische Wald sein. In großen Parkanlagen, wie in Hamburg, kann man sehen, dass die Durchmischung mit ausreichend Wiesenfläche sogar besser ist als ein komplett dichter Wald – zumindest was die Durchmischung von Temperaturdifferenzen betrifft“, erklärt Ehlert.
Schwere Aufgaben für die Zukunft
Umso wichtiger ist also, dass Bäume in Städten weiter überleben können. Doch wie funktioniert das am ehesten, wenn es stetig heißer wird? „In Zukunft wird es wichtig, Bäume zu pflanzen, die typisch für den Standort und dennoch klimaressistenter als die üblichen Arten sind.“ Doch das sei ein langfristiges Projekt – allein in Berlin werden seit sechs Jahren verschiedene Straßenbaumarten ausprobiert. Und dabei sei viel zu beachten, erklärt Ehlert: „Die Bäume müssten mit dem Boden und der heimischen Tier- und Insektenwelt sowie Flora und Fauna zurechtkommen. Und was in Hamburg funktioniert, kann in München wieder ganz anders aussehen. Auch auf klimatische Bedingungen muss geachtet werden.“
Wir müssen den Baum wieder mehr zu schätzen wissen.
Derk Ehlert, Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Eine schwierige Aufgabe, wie sehr zeigt sich auch in den sechs Jahren Testlauf mit „Probebäumen“ in Berlin: „Sechs Jahre sind zu kurz, um eindeutige Ergebnisse zu präsentieren. Bestimmte Linden- und Eichenarten scheinen zu funktionieren, aber es ist noch ein langer Weg“, weiß Ehlert.
Mensch und Baum kommen wieder in Einklang
Ehlert ist es außerdem ein Anliegen, den Menschen den Baum wieder näher zu bringen: „Wir alle wollen Bäume und Luft zum Atmen, aber wir wollen kein Laub, keine Früchte, keinen Schatten in der Wohnung. Wir entscheiden quasi, was Gut und was Böse ist – so funktioniert die Natur aber nicht. Wir müssen den Baum wieder mehr zu schätzen wissen.“
Und es scheint, als würde der Mensch das langsam wieder tun, denn Bäume pflanzen ist in. Am Tag der Deutschen Einheit beispielsweise rief das Land Schleswig-Holstein die Aktion „Einheitsbuddeln“ ins Leben. Dabei soll fortan jeder Mensch Jahr für Jahr am 3. Oktober einen Baum pflanzen. Zumindest auf Twitter kam die Aktion gut an.
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Auch eine neue Suchmaschine namens Escosia will helfen. Die Idee: Wer die Suchmaschine verwendet, kann einen Beitrag zum Umweltschutz leisten, ohne selbst Geld spenden zu müssen. Nach eigenen Angaben konnte Escosia damit bereits über 39 Millionen Bäume weltweit pflanzen und über 6,6 Millionen Euro in die Aufforstung investieren.
Doch hier hören die Ideen, wie man möglichst schnell möglichst viele Bäume pflanzen kann, noch nicht auf. In Südwales werden Drohnen eingesetzt, die laut Hersteller, dem britischen Tech-Unternehmen Biocarbon Engineering, 100.000 Bäume am Tag pflanzen können. Die Drohnen werfen Baumsamen ab, im Tiefflug schießt so ein „Seedbomber“ die Kapseln mit Druck in den Boden und Wurzel und Blattwerk entfalten sich, der Baum wächst – verspricht zumindest der Hersteller. Zukunftsmusik klang selten einfacher und schöner.
RND/Alice Mecke