Soziopathen: Wie man sie erkennt und sich vor ihnen schützt
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Was ist der beste Umgang mit einem soziopathischen Menschen? Ihm oder ihr mit Desinteresse zu begegnen, rät eine Expertin.
© Quelle: Marek Piwnicki/unsplash
Was ist der beste Umgang mit einem soziopathischen Mensch? Ihm vollkommen aus dem Weg zu gehen, rät die US-Psychologin Martha Stout. Manchmal aber ist genau das nicht möglich – weil es sich um den Chef, die Ex-Frau oder das eigene Kind handelt. Was Betroffene dann tun können, schildert Stout in ihrem Buch „Der Soziopath von nebenan: So überlisten Sie ihn“.
Stout war 25 Jahre lang Dozentin an der psychiatrischen Fakultät der Harvard Medical School, aktuell arbeitet sie als klinische Psychologin in Boston und ist Autorin mehrerer Bücher, darunter „Der Soziopath von nebenan“. Darin ging es darum, Soziopathen zu erkennen – im aktuellen Buch steht nun im Zentrum, wie man sich am besten vor solchen Menschen schützen kann.
Sie habe von Patienten, aber auch in Anrufen und Briefen etliche Geschichten von Betroffenen erzählt bekommen, bei denen eine zentrale Frage immer war: Was kann ich tun? „In diesem Buch werde ich Ihnen die Werkzeuge dazu liefern, mit einem Soziopathen umzugehen, dem Sie unmöglich aus dem Weg gehen können“, schreibt Stout. Vielfach entwickelt sie diese Ratschläge entlang von Fallbeispielen, Erzählungen von Menschen, „die tapfer versuchten, sich selbst und ihre geliebten Menschen zu retten in einer Welt, die einfach keinen Sinn mehr ergab“.
Die wesentlichen Erkennungsmerkmale
Doch was genau macht einen soziopathischen Mensch aus? Es handle sich um Personen, die mit einer besonderen Störung im Gehirn geboren seien: einem „klaffenden Loch“ in ihrem Gefühlsleben. Menschen ohne Gewissen, unfähig, irgendetwas für ihre Mitmenschen zu empfinden, selbst für die eigenen Kinder nicht. Zu Mördern würden die meisten dennoch nicht – nicht, weil sie irgendein Gefühl zurückhalte, sondern allein aus dem Bestreben heraus, nicht im Gefängnis zu landen. Werde ein Soziopath körperlich aggressiv, geschehe das meist zu Hause, geschützt vor der öffentlichen Wahrnehmung, gegenüber Schwächeren – Geschwistern, Senioren, Kindern, Ehepartnern.
Soziopathen oder Soziopathinnen seien meist nicht sofort als solche zu erkennen, erklärt die Psychologin, sondern so „gut getarnt, dass ihr wahres Wesen womöglich jahre- oder gar jahrzehntelang unentdeckt“ bleibe. Oft könnten sie Emotionen hervorragend vortäuschen. Doch echtes Mitgefühl, echte Freundschaft und echte Liebe seien bei ihnen ausgeschlossen. Falls ein soziopathischer Mensch überhaupt heirate, sei die Bindung lieblos, einseitig und halte mit ziemlicher Sicherheit nicht lange. „Wenn seine Partnerin überhaupt einen Wert für ihn hat, dann nur, weil er sie als seinen Besitz betrachtet, den zu verlieren ihn vielleicht wütend machen würde, aber niemals wirklich traurig.“
Das Selbstwertgefühl eines soziopathischen Menschen sei abhängig von persönlichem Vorteil, Macht oder Vergnügen, die persönliche Zielsetzung orientiere sich ausschließlich am eigenen Nutzen. Andere zu dominieren, auszunutzen, einzuschüchtern oder zu misshandeln bereite ihm Vergnügen.
Umgang mit gewissenlosen Menschen macht hilflos
Die richtige Reaktion darauf zu finden sei für einen fühlenden Menschen extrem schwer, erklärt Stout. „Da wir die gähnende Kluft, die ein fehlendes Gewissen hinterlässt, nicht ermessen können, sind wir nicht in der Lage, das wahre Wesen des Soziopathen, der vor uns steht – oder, noch gefährlicher, neben uns schläft –, zu erkennen, geschweige denn, es zu verstehen.“ Mit unserem Glauben, dass irgendwo in der Tiefe seiner Seele jedes menschliche Wesen ein Gewissen hat, seien wir im Umgang mit Menschen, die in der Tat gewissenlos sind, nahezu hilflos.
Doch es gebe Mittel, einem Soziopathen oder einer Soziopathin – etwa dem Ex-Partner, einer Arbeitskollegin oder dem Gegner in einem Sorgerechtsstreit – zu begegnen, erläutert die Psychologin. Eines der Kapitel ist zudem zehn Grundregeln zum Selbstschutz gewidmet.
Mit die größte Bedeutung hat Stout zufolge, dem soziopathischen Mensch nicht die gewünschten Gefühle zu liefern, sich Zorn, Angst, Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Denn das gieße Öl ins Feuer – während ein soziopathischer Mensch bei ausbleibenden Reaktionen rasch das Interesse verlieren könne. „Bewahren Sie sich Ihre emotionale Privatsphäre, damit Sie sein Verhalten nicht mit genau dem belohnen, was er sehen möchte.“
Zu Schau gestelltes Desinteresse kann helfen
Die Psychologin schildert die immensen Schwierigkeiten, wenn es um Sorgerechtsstreitigkeiten mit einem soziopathischen Elternteil geht. Sie erläutert, warum das „Prinzip vom freundlichen Elternteil“ zur Falle werden kann und warum man vor Gericht besser nicht damit argumentiert, dass der Ex-Partner oder die -Partnerin ein Soziopath oder eine Soziopathin ist. „Der Wunsch, dies zu tun, ist völlig verständlich, aber er wird Ihnen nicht dienlich sein.“
Stattdessen müsse man sich klarmachen, dass es in den seltensten Fällen wirklich um die Kinder gehe – die Fokussierung liege meist auf dem Partner oder der Partnerin, darauf, ihm oder ihr den größtmöglichen emotionalen Schaden zuzufügen. Damit habe es dieser oder diese ein Stück weit in der Hand, dem ein Ende zu setzen: durch zur Schau gestelltes Desinteresse. „Sie können aufhören, wütend, ängstlich und damit unterhaltsam für diese gefühlskalte Person zu sein. Stattdessen können sie durch und durch langweilig sein.“
Für eine emotional gesunde Person möge es völlig verrückt klingen – aber langweilig zu sein sei die beste Waffe auch in einem Sorgerechtsstreit mit einem psychopathischen Mensch. „Wann immer er etwas tut oder etwas zu Ihnen sagt, das Sie ängstigt oder wütend macht – reagieren Sie in diesem Moment so, als sei es Ihnen einfach egal.“ Denn zu sehen, dass er dem anderen Angst einjage, sei nun einmal der Hauptgrund dafür, überhaupt in den „Besitz“ der Kinder kommen zu wollen.
Das Fehlen von Gewissen ist unabwendbar
Stout schildert auch die Tragik, die das Leben von Eltern trifft, die ein soziopathisches Kind aufziehen. Dabei macht sie deutlich, dass das Fehlen eines Gewissens zu einem bedeutsamen Teil angeboren sei. Sie erzählt die Geschichte eines elfjährigen Jungen, der nach Durchzug eines Hurrikans durch die Straßen zieht, in der Hoffnung, Dinge stehlen und Tote sehen zu können. Todesmutig, zu Grausamkeit und Diebereien neigend, emotional eiskalt, so beschreibt die Psychologin die typische Ausprägung bei Kindern. Oft misshandelten sie ihre Geschwister.
Es sei wichtig, den Eltern die Tatsache klarzumachen, dass das gestörte Sozialverhalten ihres Kindes keinesfalls eine behandelbare Verhaltensstörung sei, sondern ein unabwendbares Fehlen von Gewissen. Das möge zwar anfangs schmerzhaft sein, schaffe jedoch extrem wichtige Klarheit.
Für die Zukunft sei die Frage noch offen, ob ein Soziopath oder eine Soziopathin irgendwann therapiert werden könne. Es gebe zumindest die Hoffnung, schließlich sei die Plastizität der neuronalen Schaltkreise des Gehirns außerordentlichen groß. „Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Menschen, die Soziopathen gewesen wären – schamlose Betrüger, skrupellose Wirtschaftskriminelle, die grausamsten Tyrannen auf dem Schulhof, Despoten innerhalb der Familie und abgebrühte politische Führungspersönlichkeiten –, stattdessen schon ab dem Säuglingsalter durch medizinische Hilfe in die Lage versetzt werden, emotionale Bindungen einzugehen.“
RND/dpa