Mike Berners-Lee: Wie können wir unseren Planeten noch retten?
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Mike Berners-Lee ist Professor am Institut für Soziale Zukunft an der Lancaster University.
© Quelle: Gregory Zäch
Herr Berners-Lee, Sie erforschen seit Jahren den Klimawandel. Heute protestieren wieder Tausende Menschen für das Klima. Unterstützen Sie die Demonstranten?
Wir haben jahrzehntelang freundlich um eine Veränderung gebeten. Nun sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir uns in einem Notzustand befinden. Ich denke, es ist absolut Zeit für Protest. Und ich sage das nicht leichtfertig. Ich bin niemand, der denkt: Oh was für ein Spaß, lass uns auf die Straße gehen. Aber ich sage: Wir müssen uns jetzt ändern.
Kommt der Protest zu spät? Haben wir überhaupt noch genügend Zeit, um den Klimawandel aufzuhalten?
Wir wissen es nicht genau. Es könnte sein, dass wir drastische Konsequenzen für die Menschheit nicht mehr verhindern können. Aber es gibt auch eine gute Chance, dass es noch nicht zu spät ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir, wenn wir jetzt sehr energisch handeln, am Schluss in einer besseren Welt leben.
Inwiefern besser?
Nun, die Luft wäre zum Beispiel sauberer. Wir würden mehr Zeit mit Dingen verbringen, die für den Menschen und den Planeten von Wert sind. Dazu müssen sich aber unsere Maßstäbe verändern. Momentan sind wir besessen vom Bruttoinlandsprodukt und ähnlichen Messgrößen. Aber eigentlich spielt es keine Rolle, was mit dem BIP passiert. Viel wichtiger ist, wie gesund der Planet und die Menschen, die auf ihm leben, sind.
Der Mensch ist als Spezies sehr mächtig geworden. Nun sind wir so mächtig, dass das Klima fragil geworden ist.
Wieso glauben Sie, dass die Bedrohung durch den Klimawandel Anlass für so einen Wandel sein kann?
Nun, einerseits ist es ziemlich eindeutig: Wenn wir so weitermachen, werden wir in große Schwierigkeiten geraten. Ich weiß nicht genau, wann, aber es ist unwahrscheinlich, dass es noch lange dauert. Vor allem aber habe ich Hoffnung, weil Menschen zu großen Veränderungen fähig sind. Wir sind einem Wendepunkt gerade sehr nahe. Wenn die Menschen, die auf die Straße gehen, andere motivieren, wenn sie respektvoll sind und auf der Wahrheit beharren, dann können sich ihre Bemühungen mit denen der besten Menschen aus Politik und Wirtschaft vereinen. Wenn wir alle auf unterschiedliche Weise auf einem Wandel beharren, dann denke ich, dass er in kurzer Zeit möglich ist.
Welternährung, Plastikmüll, Biodiversität – der Klimawandel ist nicht das einzige Problem, das unseren Planeten bedroht. Hatten Sie beim Schreiben Ihres Buches Angst, dass die Menschen sich von der Fülle der Probleme überwältigt fühlen könnten?
Je intensiver man sich mit dem Klimawandel beschäftigt, desto mehr erkennt man, dass er eigentlich nur ein Symptom eines viel größeren Problems ist: Der Mensch ist als Spezies sehr mächtig geworden. Nun sind wir so mächtig, dass das Klima fragil geworden ist.
Unangenehm ist, zu wissen, dass es ein Problem gibt, aber nicht zu wissen, was man dagegen tun kann. Mein Buch betrachtet deshalb alles auf einmal. Es buchstabiert aus, was gerade passiert – und was wir dagegen tun können. Das Buch will eine praktische Anleitung sein – für alle.
Keiner sollte erwarten, ganz alleine alles zu verändern. Aber wenn wir unser Leben verändern – und zwar vor allem zum Besseren –, dann machen wir es anderen einfacher, es uns gleichzutun.
Was also kann der Einzelne tun?
Zum einen nachhaltiger leben. Dazu gehört zum Beispiel unsere Nahrung: Essen Sie weniger Fleisch und Molkereiprodukte, verschwenden Sie weniger Nahrungsmittel, vermeiden Sie Lebensmittel, die mit dem Flugzeug transportiert wurden. Sie sollten sich aber auch Ihren Energieverbrauch zu Hause bewusst machen und auf Effizienz achten. Wir sollten alle weniger und kleinere Autos fahren, alternative Transportmöglichkeiten finden und wenn es geht, elektrisch fahren. Außerdem sollten wir weniger fliegen.
Macht das Verhalten von Einzelnen denn überhaupt einen Unterschied?
Keiner sollte erwarten, ganz alleine alles zu verändern. Aber wenn wir unser Leben verändern – und zwar vor allem zum Besseren –, dann machen wir es anderen einfacher, es uns gleichzutun. Wir zeigen, wie es geht. Wenn Sie etwa auf Fleisch verzichten, dann fühlen sich Ihre Freunde weniger seltsam, wenn sie auch kein Fleisch mehr essen.
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„Es gibt keinen Planet B – Das Handbuch für die großen Herausforderungen unserer Zeit“ ist im Midas Verlag erschienen.
© Quelle: Gregory Zäch
Es gibt viele Menschen, die die Existenz des Klimawandels schlicht leugnen. Warum?
Wenn wir alle auf unterschiedliche Weise auf einem Wandel beharren, dann denke ich, dass er in kurzer Zeit möglich ist.
Das liegt zum einen daran, dass Milliarden in zynische Marketingkampagnen gepumpt wurden, die die Fakten leugnen. Das müssen wir laut und deutlich anprangern. Es ist aber auch unangenehm, wenn man gesagt bekommt, dass die eigene Art zu leben inkompetent ist. Die Menschen können sich auch nicht vorstellen, wie eine Welt ohne Kohlenstoff aussehen soll. Wir müssen es ihnen also zeigen. Dass es eine Chance ist, in einer gerechten Welt zu leben. Dass dieser Wandel zum Beispiel auch viele neue Jobs mit sich bringt. Wichtig ist, dass wir dabei nicht aufeinander einprügeln. Wir sollten uns gegenseitig herausfordern, aber nicht für unsere Unzulänglichkeiten geißeln.
Wenn Sie sich etwas von den Regierungen dieser Welt wünschen könnten – was wäre das?
Die effektivste Regelung wäre ein Preis für die Gewinnung von fossilen Brennstoffen. Das würde enorme Einnahmen generieren. Die sollte man dazu verwenden, um sicherzustellen, dass niemand in Armut unter diesem Preis leidet. Dann hätte man eine soziale Maßnahme mit einer des Klimaschutzes verbunden.
Mike Berners-Lee ist Professor am Institut für Soziale Zukunft an der Lancaster University. Er ist der jüngere Bruder von Tim Berners-Lee, dem Erfinder des World Wide Web, und hat bereits zwei Bücher geschrieben.