Mehr Bäume, kein Klimawandel? Wo Aufforstung Sinn hat – und wo nicht
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Der Regenwald in Brasilien wird immer stärker abgeholzt, dabei könnte er den Klimawandel bremsen.
© Quelle: Ralf Hirschberger/dpa
Mehr als 100 Staaten wollen bis zum Jahr 2030 die Abholzung von Wäldern stoppen und deren Wiederaufforstung fördern. Auf das Vorhaben geeinigt hatten sich die Länder auf der Weltklimakonferenz COP26, die derzeit in Glasgow stattfindet. Beteiligen wollen sich unter anderem Kanada und Russland, wo es große Waldflächen gibt, aber auch Brasilien, Kolumbien, Indonesien oder die Republik Kongo mit tropischen Regenwäldern. Spätestens bis 2030 soll die Zerstörung von Wäldern und anderen wertvollen Ökosystemen gestoppt werden. Teil des Plans ist auch die Wiederherstellung von Wäldern.
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Bäume entziehen der Atmosphäre Kohlendioxid (CO₂), das als Treibhausgas zur Erderwärmung beiträgt. Sie wandeln es bei der Photosynthese in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O₂) um. Der Kohlenstoff wird im Holz der Bäume gespeichert, der Sauerstoff freigesetzt. Eine Zerstörung der Regenwälder befördert also den Klimawandel – die Pflanzung neuer Bäume soll umgekehrt helfen, ihn aufzuhalten. Große Aufforstungsprogramme gibt es daher bereits seit einigen Jahren.
Doch welchen Beitrag kann das Pflanzen von Bäumen langfristig für den Umweltschutz leisten und lässt sich dadurch wirklich der Klimawandel aufhalten?
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© Quelle: AFP
Erhalt von Wäldern ist immer sinnvoll – Anpflanzen von Bäumen nicht immer
Die ersten Erfahrungen zeigen: Anders als der Erhalt von Wäldern ist das Anpflanzen von Bäumen nicht immer und überall sinnvoll.
So hatten das Bundesumweltministerium und die Weltnaturschutzunion IUCN schon 2011 die „Bonn Challenge“ ins Leben gerufen, ein Programm, das die Neubewaldung einer Fläche von insgesamt 210 Millionen Hektar vorsieht. Der emeritierte Botanikprofessor und Umweltforscher William Bond kritisierte in einem Beitrag für das Wissenschaftsmagazin „Ensia“ solch ehrgeizige Vorhaben. Es sei „höchste Zeit, einen Moment innezuhalten und diese Programme und ihre Folgen zu hinterfragen“, so Bond. So hätten Großprojekte wie die Bonn Challenge vor allem Afrika als Schlüsselregion für eine „Wiederherstellung der Wälder“ ins Auge gefasst. Die Initiative AFR100 (African Forest Landscape Restoration Initiative), ein aus der Bonn Challenge entstandenes Projekt, sehe vor, bis 2030 auf mindestens einer Million Quadratkilometer in Afrika Bäume zu pflanzen.
Afrikas Steppen als Ökosystem erhalten
Dem liege die falsche Annahme zugrunde, dass Afrikas Steppen zerstörte und abgeholzte Landschaften seien, die „dem Menschen als auch der Natur nur begrenzten Nutzen bringen“, so Bond. Tatsächlich seien die afrikanischen Savannen aber uralt und entstanden, bevor es überhaupt Abholzungen gab. Es handele sich also nicht um Gebiete, die kürzlich durch Menschen gerodet wurden, sondern um natürlich entstandene, funktionierende Ökosysteme. Die Savannen und Graslandschaften seien der „Lebensraum einer spektakulären Tierwelt sowie Tausender anderer Pflanzen- und Tierarten“ und wertvoll für das Leben der menschlichen Gesellschaften.
Dass massive Aufforstungen von Trockengebieten in der Vergangenheit teils schon mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben, beschreibt die Geschichtsprofessorin Diana K. Davis von der Universität Kalifornien in ihrem Buch „The Arid Lands: History, Power and Knowledge“. Der Grundwasserspiegel sei dadurch an vielen Orten abgesunken, wodurch Brunnen ausgetrocknet seien und landwirtschaftliche Flächen zerstört wurden. Vor allem in Graslandschaften könnten Aufforstungen oder das Neuanpflanzen von Bäumen Ökosysteme durcheinanderbringen und die Biodiversität verringern. Beispiele gebe es aus vielen Regionen der Welt, darunter Südafrika oder der Südwesten der USA. Davis verweist auch auf das Problem von invasiven Arten: also der Ansiedelung von Pflanzen, die ursprünglich in einer völlig anderen Region heimisch waren.
„Ein Alptraum für die lokale Bevölkerung“
Ein Beispiel dafür wäre die Anpflanzung der Mimosenart Prosopis juliflora in Afrika. Der drei bis zwölf Meter hohe Baum kommt eigentlich in Süd- und Mittelamerika vor, wurde aber unter anderem in Kenia und im Osten Äthiopiens angepflanzt, um die Wüstenbildung einzudämmen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen soll den Anbau gefördert haben. Nun breitet sich die Pflanze unkontrolliert aus, die schädlichen Folgen werden von Forschenden des Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern untersucht. Auf der Seite des CDE heißt es, Prosopis juliflora sei längst „ein Alptraum für die lokale Bevölkerung geworden“. Die Pflanzen bildeten an einigen Orten ein undurchdringliches Dickicht, verdrängten andere Pflanzen und zerstörten dadurch Weideland. Die süßen Früchte der Prosopis juliflora sorgten zudem beim Vieh für Karies und Zahnausfall. Die Bekämpfung hingegen sei teuer und schwierig.
Botaniker Bond hinterfragt auch den Nutzen massiver Aufforstungsprogramme. Welche Mengen von Kohlenstoff neu gepflanzte Bäume binden können, sei „ziemlich ungewiss“, die Schätzungen gingen „überraschend weit auseinander“. Das liege auch daran, dass Bäume abhängig vom Klima und Art unterschiedlich schnell wachsen. Bond beruft sich auf eine Studie, der zufolge bis zu 42 Milliarden Tonnen CO₂ gebunden werden könnten, wenn mit der „Bonn Challenge“ bis Ende des Jahrhunderts 3,5 Millionen Quadratkilometer Naturwald durch Wiederaufforstung erneuert werden. Würden indessen vor allem künstliche Baumplantagen angelegt, würde nur eine Milliarde Tonnen CO₂ gebunden.
Bäume setzen CO₂ in der Atmosphäre frei, wenn sie verrotten
Bond hat mit Kollegen und Kolleginnen an südafrikanischen Universitäten eine Studie durchgeführt. Demnach ließe sich CO₂ durch starke Aufforstung um nur etwa 2,7 Prozent pro Jahr reduzieren. Zu beachten sei dabei, „dass sich die Kohlenstoffbindung mit zunehmender Reifung der Bäume netto gegen null bewegt“. Denn: Bäume können Kohlenstoff nur während ihrer Lebenszeit binden. Sobald sie sterben und verrotten, wird CO₂ wieder in die Atmosphäre freigesetzt.
Um das zu verhindern, müssten alte Bäume gefällt, neue gepflanzt und das Holz gelagert werden, so der Wissenschaftler. Bonds Resümee: Wälder auf Flächen wieder herzustellen, wo zuvor Wälder standen oder beschädigte Wälder stehen, ergebe Sinn: wegen der Kohlenstoffspeicherung als auch wegen dem Effekt auf die Artenvielfalt. In Gebieten, die auf natürliche Weise unbewaldet sind, rät er hingegen zur Zurückhaltung. Statt in Savannen sollte Bäume in tropischen Wäldern gepflanzt werden, was aber nur einen Bruchteil der bisherigen Projekte vorsehe. Wenn man „wirklich etwas für unsere Zukunft“ tun wolle, empfiehlt der Wissenschaftler, sollte man – anstelle eines großen Pflanzungsprogramms besser Bäume erhalten und den Ausbau erneuerbarer Energien aus Wind, Sonne und Wasserkraft fördern.