Generation Klima: Warum kein Wahlprogramm für junge Menschen gemacht ist

„Unsere Zukunft steht nicht zum Verkauf“: Klimaaktivisten tragen ein Banner mit der Aufschrift „Our Future is not for sale“ beim Klimastreik von Fridays for Future im Frankfurter Bankenviertel.

„Unsere Zukunft steht nicht zum Verkauf“: Klimaaktivisten tragen ein Banner mit der Aufschrift „Our Future is not for sale“ beim Klimastreik von Fridays for Future im Frankfurter Bankenviertel.

„Zusammen in den Klimauntergang“ steht auf dem Transparent – der junge Mann trägt es allein. Es ist heiß an diesem Freitag­­vormittag im Juni in der Innenstadt von Hannover, 36 Grad im Schatten. Zur Fridays for Future-Demonstration sind diesmal nur wenige Menschen gekommen, und wer da ist, ist oft kaum 18 Jahre alt. Abkühlung ist weit und breit nicht in Sicht. So also fühlt sich die Klimakrise für die jungen Menschen an.

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Die Bewegung

Es ist ein Problem, das noch immer auf die Straße treibt: Von den Folgen des Klima­wandels sind junge Leute am meisten betroffen. Viele der Demonstrierenden dürfen bei der Bundestags­wahl nun erstmals wählen. Doch keine der großen Parteien hat ein Programm vorgelegt, das mit dem Pariser 1,5-Grad-Ziel kompatibel wäre, bei der die Erderwärmung möglichst begrenzt werden soll. Die Politik hört ihre Forderungen offenbar nicht.

„Die Parteien müssen die Zukunft der jungen Menschen endlich in den Blick nehmen“, sagt die 19-jährige Klima­aktivistin Pauline Brünger, Pressesprecherin von Fridays for Future, dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). Die Aktivistinnen und Aktivisten fordern eine „Neuverhandlung der Wahlprogramme“, gemessen an der 1,5-Grad-Marke. Seit mehreren Jahren rufen sie „Wir sind hier, wir sind laut“ durch die Städte, „weil ihr uns die Zukunft klaut“.

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Viele junge Leute sind es, die keine Lust mehr haben, die Passivität der Politik hinzunehmen. Das trifft nicht nur auf diejenigen zu, die jetzt wieder einen Schulstreik betreiben. Wie wichtig das Thema einer ganzen Generation ist, bestätigen auch die Ergebnisse einer YouGov-Umfrage im Auftrag des RND: Klima- und Umwelt­schutz ist ein wahlentscheidendes Thema quer durch alle Alters- und Einkommens­gruppen, bei den 18- bis 29-Jährigen ist es mit 53 Prozent das Topthema.

Die Diagnose

Es ist heiß auf unserem Planeten, zu heiß. Seit der vorindustriellen Zeit hat sich die Erde im Mittel bereits auf 1,2 Grad erwärmt. Längst sind die Folgen der Klimakrise weltweit zu erleben, auch bei uns. Während vor wenigen Wochen in Südeuropa heftige Waldbrände wüteten, fast 50 Grad in Kanada gemessen wurden und Madagaskar an einer Hungersnot durch Dürre- und Ernte­ausfälle leidet, kämpft Deutschland mit den Folgen der tödlichen Flut­katastrophe.

Der Weltklimarat IPCC warnt in seinem neuen Sach­stands­­bericht, dass die kritische Marke von 1,5 Grad bereits 2030 erreicht wird – zehn Jahre früher als bisher prognostiziert. Drei Zehntelgrad sind es also noch, die das Erdsystem endgültig ins Kippen bringen können. Und das System wackelt bereits.

„Wir haben es lange vorhergesagt und stecken jetzt mittendrin in der Klima­krise”, sagt Stefan Rahmstorf, Klima­wissen­schaftler am Potsdam-Institut für Klima­folgen­forschung, dem RND. „Das ist schon lange keine Prognose mehr, sondern die Realität, unter der viele Millionen Menschen leiden.“

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Das Karlsruher Klimaurteil

Spätestens seit dem Karlsruher Klima­urteil ist klar, dass der Klima­wandel die junge Generation massiv in ihrer Freiheit eingeschränkt. Die Richterinnen und Richter des Bundes­verfassungs­gerichts erklärten das bisherige Klima­gesetz der Bundes­regierung in Teilen für verfassungswidrig. Die Vorgaben für Emissions­minderung würden auf Zeiträume nach 2030 und damit zulasten der jüngeren Generation verschoben.

Laut der Klima­aktivistin Brünger gibt es aber die Chance, das Ruder herumzureißen.

„Klima und wir“-Podcast mit Politik-Spezial zur Bundestagswahl

Zur Bundes­tags­wahl macht der Podcast „Klima und wir“ den Klimacheck: Alle im Bundestag vertretenen Parteien stehen Rede und Antwort.

Die Politik

Der Klimaforscher Rahmstorf gibt dabei die Richtung vor. „Wir müssen, um die Erwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen, inzwischen global bis 2040 auf null Emissionen kommen. Früher hieß es mal 2050, aber mit jedem verlorenen Jahr rückt das Enddatum näher an uns heran.“ Für Deutschland hieße das: Klima­neu­tralität im besten Fall noch deutlich vor 2040. Der Blick auf die Wahl­programme fällt vor diesem Hinter­grund ernüchternd aus:

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  • Die Union will Deutschland bis 2045 klima­neutral machen. Einen genauen Plan, wie das gelingen soll, haben CDU/CSU nicht – Ausbauzahlen für erneuerbare Energien fehlen im Programm. Die Schwester­­parteien setzen auf markt­wirt­schaftliche Instrumente wie den Emissions­handel und bleiben vage beim CO₂-Preis. Diesel­fahr­verbote, das Verbrenneraus oder ein Tempolimit schließt die Union aus. Stattdessen will man Bundesstraßen und Autobahnen bauen, wo es häufig Stau gibt, denn (Zitat) „weniger Staus bedeuten mehr Klimaschutz”.
  • Die SPD will Klima­neu­tralität ebenfalls bis 2045, den Kohle­ausstieg zieht die Partei ebenso wenig vor wie die Union, auch das Ende des Verbrenner­motors ist nicht terminiert. Nur beim Tempo­limit wird die SPD konkreter: 130 Kilometer die Stunde. Klima- und umwelt­schädliche Subventionen wollen die Genossinnen und Genossen abbauen, welche genau das sind, bleibt unklar.
  • Die Grünen wollen im Fall einer Regierungs­beteiligung ein Klima­schutz-Sofort­programm umsetzen. Ein neues Klimaministerium soll mit einem Vetorecht für Gesetzes­vorschläge ausgestattet sein, die nicht 1,5-Grad-konform sind. Allerdings dürfte der Vorschlag kaum eine Mehrheit finden. Und klimaneutral erst 2040 werden – das ist noch immer zu spät.
  • Die FDP will Emissions­minderung durch den Handel mit CO₂-Zertifikaten erreichen. Welchen Teil Innovationen beitragen sollen, bleibt völlig unklar, „den Weg dorthin überlassen wir dem Erfinder­geist”, heißt es im Wahl­programm. Die Liberalen wollen Klima­neu­tralität sogar erst 2050 erreichen – „viel zu spät”, sagt Klima­wissen­schaftler Rahmstorf.
  • Die Linke tritt mit dem ehrgeizigsten Klima­neu­tralitäts­ziel (2035) zur Bundes­tags­wahl an. Die Partei sieht die Klima­krise als „Klassen­frage“, an der maßgeblich die Reichen schuld sind. Mit dieser Rhetorik stößt sie bei vielen jungen Menschen auf offene Ohren – wenig sicher ist aber, ob die scharfen Forderungen nach einem Inlands­flug­verbot, dem Verbrenneraus (2030) und einem Tempolimit (120 Kilometer die Stunde) für viele Wählerstimmen sorgen.
  • Die AfD glaubt nicht an den menschen­gemachten Klimawandel und will das Pariser Abkommen verlassen.
Wahlprogramme im Check: Das planen die Parteien beim Thema Klima

Die kommende Bundesregierung ist die letzte, die dafür sorgen kann, dass Deutschland das Pariser Abkommen noch einhält. Was haben die Parteien also vor?

Die Lösung

Was also kann getan werden, um die Interessen der jungen Generation – und die aller Menschen – noch zu schützen? Die Lösung klingt einfach: „Erneuerbare Energien ausbauen, klimaschädliche Subventionen abbauen, den Kohle­ausstieg vorziehen“, zählt Rahmstorf auf.

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„Es braucht wirklich mehr als Demonstrationen“, sagt Brünger. Aber ganz viele junge Menschen, die am härtesten und längsten von der Klima­krise betroffen sein werden, dürften ja auch jetzt noch nicht wählen. „Vielen bleibt kein anderes Mittel, als auf die Straße zu gehen und sich so zu beteiligen.“

Klima­wissen­schaft­lerinnen und -wissen­schaftler sind sich weitgehend einig: Der Weg in die Klima­neu­tralität muss noch viel schneller gelingen als bisher geplant. Die Politik muss vorangehen.

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