Im Büro ist alles im Flow: Künstliche Intelligenz soll den Arbeitsalltag erleichtern
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Kritiker denken, der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Arbeitsleben führe zu noch mehr Leistungsdruck.
© Quelle: MONTAGE: RND, FOTOS: MAX2611/ISTOCKPHOTO, SORBETTO/ISTOCKPHOTO
Der Job als Quell der Zufriedenheit – an dieser Vision arbeiten Forscher des Decision & Design Lab des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Sie führen Experimente durch, bei denen Probanden, verkabelt mit einem Herzmonitor, in kleinen Kabinen sitzen und dort Aufgaben am Computer erledigen. Dabei erkennt ein Computer an der Herzfrequenz der Testperson, ob der Teilnehmer gerade im Flow ist, jenem mysteriösen Zustand, in dem man in seiner Aufgabe aufgeht, Vergangenheit und Zukunft vergisst und auch noch die Leistung steigert. Wenn also alles fließt, wie to flow übersetzt heißt.
KI soll helfen, den Flow nicht zu unterbrechen
Konzipiert haben die Experimente Mitarbeiter um Professor Alexander Mädche, Direktor des Institute of Information Systems and Marketing (IISM) am KIT. “Uns interessiert generell die menschzentrierte Gestaltung interaktiver intelligenter Systeme”, sagt Mädche. “Ein wichtiges Ziel unserer aktuellen Forschungsarbeiten ist, intelligente Informationssysteme zu entwickeln, die Flow in Echtzeit erkennen und verarbeiten.” So sollen Computer einmal darüber entscheiden können, welche Aufgabe ein Mitarbeiter als Nächstes erledigen darf – damit sein Flow nicht unterbrochen wird.
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Prof. Alexander Mädche leitet das Institute of Information Systems and Marketing (IISM) in Karlsruhe.
© Quelle: Gabi Zachmann/KIT
Das Konzept des Flow hat seinen Ursprung in der Arbeit des Psychologen Mihály Csíkszentmihályi von der Universität Chicago. In den Siebzigerjahren hatte er Hunderte Menschen interviewt, die ihre Tätigkeit als erfüllenden Selbstzweck empfanden, darunter Kletterer, Tänzer oder Komponisten. Der Psychologe kam zu dem Schluss, dass Menschen in einen Flow geraten, wenn sie “einer internen Logik folgen, aber keiner bewussten Steuerung ... unterliegen”, wie er in seinem Buch “Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile” schreibt. In solchen Momenten erlebten sie ihre Handlungen zwar bewusst, würden sich selbst aber in der Arbeit vergessen, ein Zustand, der von einem positiven Gefühl der Kontrolle begleitet sei.
Den Flow aus dem Herzrhythmus lesen
Flow hat laut Csíkszentmihályi drei Vorbedingungen: eine Aufgabe, die nicht über- oder unterfordert, ein klares Ziel der Aufgabe und Feedback über die eigene Leistung. Genau solche Vorbedingungen wollen Mädche und seine Mitarbeiter am Arbeitsplatz herstellen. Ob und wann die Bedingungen erfüllt sind, messen sie mit Fragebögen. Die Fragen stammen aus psychologischen Tests und lauten zum Beispiel: “Ich wusste genau, was ich zu tun hatte” oder “Ich hatte das Gefühl totaler Kontrolle”. Die Bögen werden aber erst nach den getesteten Aufgaben ausgefüllt und erlauben so keine Anpassung der Aufgabe in Echtzeit. Deshalb versuchen die Forscher, Flow direkt aus dem Herzrhythmus zu lesen: Dafür füttern sie einen Lernalgorithmus mit den Herzdaten und den Fragebogenantworten einer Person, das Programm sucht dann nach Mustern in der Herzaktivität, die in einem Flow-Zustand gehäuft auftreten. In zwei Feldversuchen – der eine in einer Jobvermittlungsagentur, der andere bei einer Lernwebseite für Medizinstudenten – erreichte der Algorithmus eine Vorhersagegenauigkeit von rund 80 Prozent.
Flow erzeugt im Körper eine ganze Reihe messbarer Veränderungen. “Wir sehen bei Menschen, die im Flow sind, auch eine Zunahme der Hautleitfähigkeit”, sagt Georg Grön, Leiter der Sektion Neuropsychologie und funktionelle Bildgebung am Universitätsklinikum Ulm. “Zugleich sehen wir eine Minderung der Aktivität in Hirnbereichen, die sonst bei emotionaler Erregung und selbstreflexivem Denken aktiv werden”, sagt er. Es könnte, so vermuten Grön und andere Experten, diese Diskrepanz zwischen hoher körperlicher und niedriger emotionaler Erregung sein, die den Flow-Zustand angenehm macht.
Die Flow-Messung am Arbeitsplatz reiht sich ein in Versuche, den Mitarbeiter überwachbar zu machen.
Oliver Zöllner, Medienethiker
Die Versuche in Karlsruhe laufen darauf hinaus, den körperlich-geistigen Zustand von Mitarbeitern am Arbeitsplatz in bestimmte Bahnen zu lenken. Der Ethiker Oliver Zöllner von der Hochschule der Medien in Stuttgart sieht das kritisch. “Die Flow-Messung am Arbeitsplatz reiht sich ein in Versuche, den Mitarbeiter überwachbar zu machen, um den Leistungsoutput zu kontrollieren”, sagt der Leiter des Instituts für Digitale Ethik. “Vordergründig heißt es dann, das sei zum Wohle des Mitarbeiters, damit der weder unterfordert noch überfordert ist.” In Wahrheit heiße das aber: noch mehr aus Mitarbeitern herausholen.
Den Mitarbeiter entlasten oder alles aus ihm rausholen?
Mädche widerspricht: “Wir wollen nicht nur die Performance der Mitarbeiter optimieren, sondern wissen, in welchen Umgebungen Menschen überhaupt in den Flow kommen.” Der Zustand sei schließlich ein starker Indikator dafür, dass Mitarbeiter ihre Aufgaben als sinnvoll erleben. “Es geht ja auch darum zu erkennen, wie man Aufgaben und Arbeitsumgebungen so verändern kann, dass Mitarbeiter sich wohler fühlen.”
Laut Csíkszentmihályi braucht es dafür Aufgaben, an denen man die eigene Leistung stetig steigern kann, wie beim Musizieren oder beim Leistungssport. “Wenn die Aufgabe es nicht mehr zulässt, dass man die Anforderungen immer wieder etwas höher legt, dann wandert man irgendwann in den Bereich der Unterforderung und damit der Langeweile und der grübelnden Selbstreflexion”, betont auch Neuropsychologe Grön.
Auch Langeweile und Überforderung sind messbar
Mädche und seine Kollegen nutzen ihre Herzalgorithmen deshalb nicht nur dazu, Flow zu messen, sondern auch Langeweile und Überforderung. “Aber die Performance liegt dabei noch recht niedrig”, sagt der IISM-Direktor. Überhaupt fehlten große Datenmengen, um die Genauigkeit des Herzalgorithmus weiter zu verbessern. Deshalb baue man aktuell an einer App, die Herzdaten mit einem Sportbrustgurt erhebt. Damit sollen Menschen künftig ihren Flow beim Arbeiten oder Lernen selbst optimieren – wenn sie bereit sind, einen Algorithmus mit ihren Herzdaten zu füttern.
Flow hat aber auch seinen Preis: Oft bleibt dabei nämlich die Kreativität auf der Strecke – das produktive Tagträumen, das manchmal zu guten Einfällen führt.