Mehr als 5000 Tote

Darum war das Erdbeben in der Türkei und in Syrien so verheerend

Rauch steigt aus dem Hafen von Iskenderun, südwestlich von der Zwei-Millionen-Stadt Gaziantep in der Türkei, auf. Ein Erdbeben der Stärke 7,8 ereignete sich in den frühen Morgenstunden des Montags (6. Februar) in der Nähe von Gaziantep, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,5 kurz nach Mittag.

Rauch steigt aus dem Hafen von Iskenderun, südwestlich von der Zwei-Millionen-Stadt Gaziantep in der Türkei, auf. Ein Erdbeben der Stärke 7,8 ereignete sich in den frühen Morgenstunden des Montags (6. Februar) in der Nähe von Gaziantep, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,5 kurz nach Mittag.

Es ist eine Katastrophe historischen Ausmaßes: das Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Die Region gilt als eine der aktivsten Erdbebenzonen der Welt. Doch so heftig hat die Erde auch dort schon lange nicht mehr gebebt. 1144, vor fast 1000 Jahren, soll sich das letzte Beben von vergleichbarer Stärke von 7,7 ereignet haben.

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Nun ereignete sich am frühen Montag, 6. Februar, in dieser Region ein Beben der Stärke 7,8, dem um 13.24 Uhr ein zweites schweres Beben der Stärke 7,5 folgte: Tausende Häuser stürzten ein, über 5000 Menschen verloren ihr Leben, 13,5 Millionen Menschen sind zumindest indirekt betroffen, bisher gab es über 200 Nachbeben. Wie konnte es zu diesem verheerenden Ausmaß kommen?

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Knautschzone mehrerer Kontinentalplatten

Die geologische Ursache von Erdbeben sind plattentektonische Bewegungen. Die Erde besteht aus sieben großen und mehreren kleinen beweglichen Platten. Eine der größten ist die Eurasische Platte, auf der auch Deutschland liegt. Im betroffenen türkisch-syrischen Grenzgebiet treffen gleich mehrere Platten aufeinander: die Eurasische, die Anatolische und die Arabische.

„Die Kollision der Arabischen Platte nach Norden in Eurasien drückt die dazwischen liegende Anatolische Platte mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei Zentimetern pro Jahr nach Westen“, erklärt der britische Geowissenschaftler David Rothery.

Durch die Reibung entlang der Bruchlinien (auch Verwerfungen genannt) bauen sich über die Jahre lokal Spannungen auf – bis die aufgestaute Spannung groß genug ist, um den Widerstand zu überwinden und die Gesteinsmassen mit einem plötzlichen Ruck aufeinanderprallen. Das ist der Moment, in dem sich ein Erdbeben ereignet. Ein Grund für die Schwere des Bebens ist also auch, dass das letzte schon so lange her ist. So konnte sich viel Spannung aufbauen.

Geringe Tiefe und große Energie

Zudem ereignete sich das Beben in einer Tiefe von nur 17,9 Kilometern – der Abstand zur Erdoberfläche war also vergleichsweise gering. „Die Kombination aus hoher Stärke und geringer Tiefe machte das Beben extrem zerstörerisch“, sagt der britische Professor für Bauingenieurwesen und Erdbebenforschung, Mohammad Kashani.

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Außerdem ist viel mehr Energie freigesetzt worden, was das Ausmaß noch verschlimmerte. „Das Erdbeben in der Türkei hatte eine Stärke von 7,8 und setzte etwa 250-mal mehr Energie frei als das Erdbeben der Stärke 6,2, das am 24. August 2016 Amatrice in Mittelitalien erschütterte und 300 Menschenleben forderte“, sagt Joanna Faure Walker, Direktorin des britischen UCL-Instituts für Risiko- und Katastrophenmanagement. „Die höhere Stärke und die freigesetzte Energie haben zur Folge, dass ein viel größeres Gebiet betroffen ist“.

Tausende Tote nach Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien

Zahlreiche Länder sagten Unterstützung zu, auch aus Deutschland machten sich inzwischen Hilfsteams auf den Weg.

Die Magnitudenskala, die die Stärke von Erdbeben misst, ist nicht linear. „Jeder Schritt nach oben entspricht dem 32-fachen der freigesetzten Energie. Das bedeutet, dass ein Beben der Stärke 7,8 etwa 6000-mal mehr Energie freisetzt als die moderateren Beben der Stärke 5, die normalerweise in der Region auftreten“, schreibt die Geowissenschaftlerin Jenny Jenkins (Durham University) in einem Gastbeitrag für „The Conversation“. Das Beben habe sich über eine Länge von 190 Kilometern und eine Breite von 25 Kilometern erstreckt, die Erschütterungen seien bis ins 950 Kilometer entfernte Kairo in Ägypten zu spüren gewesen.

Ein weiterer Faktor ist die lokale Infrastruktur. In den vergangenen 50 Jahren ereigneten sich die tödlichsten Erdbeben der Welt in der Türkei. Das lag aber nicht daran, dass die Beben am stärksten waren. „Die Zahl der Todesopfer hängt nicht nur vom Ausmaß der Katastrophe ab, sondern vor allem von der Zahl der Menschen in dem betroffenen Gebiet sowie von der Qualität und Bauweise der Gebäude“, sagt Walker.

Instabile Infrastruktur in der Türkei

Im türkisch-syrischen Erdbebengebiet liegen mehrere Metropolen: das syrische Aleppo und die türkischen Städte Adana und Gaziantep nahe dem Epizentrum des Bebens. Mehrere Tausend Gebäude sind bereits eingestürzt, Nachbeben könnten weitere zum Einsturz bringen.

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Gebäude in der Türkei müssen eigentlich seit 2004 modernen, erdbebensicheren Standards entsprechen. Doch es gibt auch viele ältere Gebäude. „Die Fotos zeigen, dass einige der eingestürzten Gebäude möglicherweise vor den modernen Erdbebenvorschriften gebaut wurden und daher für ein Erdbeben dieser Stärke nicht ausreichend geplant und konstruiert waren“, sagt Kashani.

Und auch neuere Gebäude sind nicht erdbebensicher. „Selbst moderne Gebäude, die bei Einhaltung der Bauvorschriften einem Beben dieser Stärke eigentlich standhalten müssten, sind wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen und haben ihre Bewohner unter sich begraben“, berichtet RND-Korrespondent Gerd Höhler. Gründe dafür seien zum Beispiel falsche statische Berechnungen oder Pfusch am Bau. In Syrien war die Infrastruktur durch den jahrelangen Bürgerkrieg ohnehin in einem extrem schlechten Zustand.

Hätten Frühwarnsysteme helfen können?

Die Türkei ist bekannt dafür, dass es immer wieder zu Erdbeben kommt. Vor allem entlang der Nordanatolischen Verwerfung und der Ostanatolischen Verwerfung (an der sich jetzt das Erdbeben ereignete) kommt es immer wieder zu Erschütterungen. Die Millionenmetropole Istanbul zum Beispiel liegt sehr nahe an der Nordanatolischen Verwerfung. Die Seismologinnen und Seismologen rechnen deshalb mit einem größeren Beben in der Zukunft – nur wann genau, wissen sie nicht.

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Denn Erdbeben lassen sich bislang nicht vorhersagen. Allerdings gibt es Frühwarnsysteme, die die sogenannte Primärwelle messen. Doch bis zur zerstörerischen Sekundärwelle vergehen oft nur wenige Sekunden. Das reicht nicht, um den Ort zu verlassen, aber zum Beispiel, um Strom- und Gasleitungen abzuschalten und so Folgeschäden zu minimieren. Das berichtet der Forschungsbereich Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft.

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Das Erdbeben in der Türkei und in Syrien traf die Menschen unvorbereitet. „Die einzige Warnung, die die Menschen hatten, war das lange Ausbleiben eines richtig großen Bebens“, sagt die Wissenschaftlerin Patricia Martinez Garzon vom GZF Potsdam im Gespräch mit der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (MAZ). Ein Frühwarnsystem hätte ihrer Meinung nach kaum etwas geändert. Denn von Vorbeben über Stärke 3 sei nichts bekannt und die Vorwarnzeit sei zu kurz gewesen, weil Gaziantep zu nah am Epizentrum des aktuellen Bebens lag.

Erdbebenprävention: Vorbereitung und Reaktion

Andere, wie der führende türkische Ingenieur Huseyin Alan, kritisieren jedoch, dass die Regierung die Warnungen nicht ernst genug genommen habe. Ein Flughafen liege beispielsweise auf einer Demarkationslinie. Das sei völlig inakzeptabel.

Erdbeben können noch nicht sicher und mit ausreichendem Vorlauf vorhergesagt werden. Wie folgenschwer ein Beben ist, hängt nach Einschätzung der britischen Vulkanologin Carmen Solana vor allem von zwei Faktoren ab: Vorbereitung (wie erdbebensichere Infrastruktur) und effektive Reaktion.

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„Leider ist die widerstandsfähige Infrastruktur in der Südtürkei und vor allem in Syrien lückenhaft, sodass die Rettung von Menschenleben jetzt hauptsächlich von der Reaktion abhängt“, sagt Solana.

Es ist auch eine Warnung für den Westen der Türkei. Sollte es zu dem prognostizierten Erdbeben kommen, könnte es bis zu 100.000 Tote geben.

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