Nobelpreis: Diese Personen der Zeitgeschichte gingen leer aus
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Sie taten viel für die Gesellschaft, prägten ihre Zeit - ob in der Wissenschaft, Medizin oder Politik. Während der Nobelpreiswoche lohnt sich nicht nur der Blick auf die ehrwürdigen Sieger, sondern auch auf all' jene, die stets hochgehandelt waren, aber nie mit diesem Preis ausgezeichnet worden sind.
© Quelle: imago/dpa/RND Montage
Stockholm. Jedes Jahr Anfang Oktober, kurz bevor die Nobelpreisträger in den Kategorien Chemie, Physik, Literatur, Medizin und Frieden bekannt gegeben werden, wird wild spekuliert: Wer bekommt den begehrten Preis dieses Mal? Welche Errungenschaften hat es zuletzt gegeben? Wer hätte ihn grundsätzlich verdient? Die Liste der Nominierten ist lang, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat es allein für den Medizinnobelpreis etwa 6000 Vorschläge gegeben. In der Datenbank des Nobelpreiskomitees sind die Namen aller Nominatoren und Nominierten aufgelistet, samt Begründung – allerdings nur von 1901 bis 1966, im Bereich Medizin sogar nur bis 1953. Die schwedische Akademie hält die Informationen nämlich 50 Jahre lang geheim.
Das Archiv zeigt: Es ist bei Weitem nicht die Regel, dass die Menschen mit den meisten Nominierungen auch einen Nobelpreis erhalten. Im Gegenteil, viele gingen trotz unzähliger Nominierungen leer aus. Den Rekord hält der französische Immunologe Ramon Gaston, der Impfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus entwickelt hatte. 155-mal wurde er zwischen 1930 und 1953 für den Nobelpreis vorgeschlagen. Er erhielt ihn nie. Wie Gaston erging es auch anderen Medizinern, Politikern und Autoren:
Sigmund Freud (1856–1939)
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Der Psychoanalytiker Sigmund Freud gilt als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts.
© Quelle: imago images / United Archives International
33-mal wurde Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, für einen Nobelpreis vorschlagen. „Seine Arbeit hat eine neue Ära der Medizin angestoßen“, schrieb der amerikanische Psychologe William White als Begründung, der ihn 1915 zum ersten Mal nominierte. Nach knapp einem Dutzend erfolglosen Nominierungen beauftragte das Nobelkomitee 1929 sogar einen Experten, sich mit Sigmund Freuds Arbeit zu befassen. Der Freud’sche Versprecher, der Ödipus-Komplex, der Sexualtrieb als zentrale Motivation menschlicher Handlungen – mit seinen Theorien des Unbewussten hat Freud die Psychologie revolutioniert. Zumindest aus heutiger Sicht. Der Experte von damals hielt fest, dass die Forschungen Freuds wissenschaftlich nicht nachweisbar seien und er deshalb für einen Nobelpreis nicht mehr in Betracht gezogen werden sollte. Trotzdem wurde der Österreicher, der 1939 im Londoner Exil starb, noch 22-mal für den Nobelpreis vorgeschlagen. Und 1936 sogar für den Literaturnobelpreis.
Ferdinand Sauerbruch (1875–1951),
Ferdinand Sauerbruch, dessen Name durch die ARD-Serie „Charité“ neue Bekanntheit erfahren hat, war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Mediziner des 20. Jahrhunderts. Sein sogenanntes Unterdruckkammer-Verfahren hat die Chirurgie revolutioniert. Dass im Brustraum Unterdruck herrscht und beim Öffnen die Lunge in sich zusammenfällt, galt für Operateure lange als unlösbares Problem – was Sauerbruch mit einer neuen OP-Technik in einer Unterdruckkammer 1905 weltberühmt machte.
Auch die von ihm entwickelten beweglichen Prothesen fanden – vor allem in der Zeit nach beiden Weltkriegen – international Verbreitung. Für beide medizinischen Errungenschaften ist der legendäre Chirurg insgesamt 56-mal für den Medizinnobelpreis vorgeschlagen worden – ohne Erfolg.
Erich Kästner (1899–1974)
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Erich Kästner am 2. September 1943 auf der Terrasse der Villa von Edith und Erich Stückrath in Neu-Babelsberg (heute Potsdam).
© Quelle: Nachlass Werner Ruhre/ Repro: Mathias Michaelis
Er war mehr als nur ein Kinderbuchautor. Erich Kästner war Lyriker, Romanschriftsteller, politischer Autor und Zeitkritiker, vor allem aber war er einer der wenigen Intellektuellen, die sich öffentlich dem NS-Regime widersetzten, indem sie Deutschland trotz starker Repressionen nicht verließen. Schon in der Weimarer Republik hatte Kästner gesellschaftskritische und antimilitaristische Gedichte, Glossen und Essays veröffentlicht und tat dies auch im Dritten Reich weiter, teilweise unter Pseudonym. Er war selbst dabei, als die Nazis bei der zentralen Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 seine Werke in Flammen aufgehen ließen.
Erst nach dem Ende des Dritten Reichs wurde Erich Kästner populär, vor allem durch seine (bereits zuvor veröffentlichten) Kinderbücher „Emil und die Detektive“ (1929), „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) und „Das doppelte Lottchen“ (1949). Etliche seiner Werke wurden verfilmt, Straßen wurden nach ihm benannt, Dutzende Preise an ihn verliehen. Viermal war er in den 60er-Jahren dann für den Literaturnobelpreis nominiert. Anders als seine Zeitgenossen wie Thomas Mann, Hermann Hesse und Heinrich Böll blieb Erich Kästner die größte literarische Ehrung zeitlebens verwehrt.
Zahlen und Fakten rund um den Nobelpreis
Jedes Jahr im Oktober wird er verliehen: der Nobelpreis. Aber warum durften vier Personen den Nobelpreis nicht annehmen? Und wieso lehnten zwei ihn gar ab?
© Quelle: dpa/Marie Schiller
Adolf Hitler (1889–1945)
Tatsächlich taucht auch Adolf Hitler als „Chancellor and Führer of Germany (1933–1945)“ in der offiziellen Liste des Nobelpreiskomitees bei den Nominierten auf. Hitler wurde demnach ein halbes Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, am Stichtag des 1. Februar 1939, für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Die Einreichung geht zurück auf den schwedischen Politiker Erik Brandt, der später seinen Vorschlag für Satire erklärte und zurückzog. Brandt selbst setzte sich vehement gegen den Nationalsozialismus ein.
Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007)
Er war Physiker, Philosoph und nach 1945 vor allem Friedensforscher. Im Dritten Reich allerdings hatte Carl Friedrich von Weizsäcker noch andere Ziele. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte er die Möglichkeit erkannt, Atombomben herzustellen, war 1937 mit der nach ihm benannten Weizsäcker-Formel für die Bindungsenergie der Atomkerne berühmt geworden. Von 1939 bis 1942 gehörte er zusammen mit dem berühmten Physiker Werner Heisenberg und dem Chemiker Otto Hahn dem „Uranprojekt“ zur Erforschung der Kernspaltung an. Einem Kreis „sagenhafter Männer“, wie Adolf Hitlers Rüstungsminister Albert Speer über die drei einst sagte. Seine Mitarbeit an dem Projekt bezeichnete Weizsäcker später offen als Fehler: „Eine göttliche Gnade“ sei es gewesen, dass der Bau einer Bombe technisch nicht zu realisieren war.
In den 50er-Jahren vollzog Weizsäcker, der ältere Bruder des späteren Bundespräsidenten, einen radikalen Wandel. Bis zu seinem Tod 2007 trat er für einen Diskurs über die moralische Verantwortung der Wissenschaft ein und erhielt für sein Engagement als Pazifist etliche Ehrendoktorwürden und Auszeichnungen, etwa die Max-Planck-Medaille, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Für den Physiknobelpreis war er 1953, 1959, 1964 und 1965 nominiert worden – erhielt ihn aber nie. Im Gegensatz zu seinen einstigen Kollegen Werner Heisenberg und Otto Hahn.
Helmut Kohl (1930–2017)
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Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit und ewige Nobelpreisanwärter, während einer Wahlkampfveranstaltung 1994 in Bonn.
© Quelle: imago stock&people
Wiedervereinigung, Gemeinschaftswährung, grenzenloses Europa – Helmut Kohl ist vieles zu verdanken. Nach ihm wurden Straßen und Brücken benannt, es wurden Sonderbriefmarken gedruckt, ihm wurden 20 Ehrendoktortitel verliehen und mehr als 50 Würdigungen aller Art. Seit 1990 wurde der „Kanzler der Einheit“ praktisch jedes Jahr als Anwärter auf den Friedensnobelpreis gehandelt. 2007 soll er von Michail Gorbatschow vorgeschlagen worden sein, der Umstand ist – wie die Zahl seiner Nominierungen insgesamt – aber aufgrund der 50-Jahre-Geheimhaltung-Regel (noch) unbekannt.
Im Gegensatz zu Altkanzler Willy Brandt, Friedensnobelpreisträger 1971, blieb Helmut Kohl die Auszeichnung zeit seines Lebens verwehrt. Zumindest in originaler Form, eine Kopie des Friedensnobelpreises erhielt Kohl schon. Nachdem der Friedensnobelpreis 2012 an die Europäische Union ging, überreichte der damalige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy dem Altkanzler eine Replik des Preises – als Ehrung für dessen Schlüsselrolle bei der Wahrung des europäischen Friedens seit sechs Jahrzehnten.
Mahatma Gandhi (1869–1948)
1939 wurde er als Verfechter des Friedens beim Nobelpreiskomitee vorgeschlagen: Mahatma Mohandas Karamchand Gandhi, genannt „die große Seele“. Als Soldat für den Frieden, wie er sich selbst bezeichnete, setzte er sich zeit seines Lebens ohne Waffen und Gewalt für ein freies, unabhängiges Indien ein. Für den friedlichen Widerstand gegen die britische Kolonialmacht konnte er die Massen mobilisieren. Er rief etwa seine Landsleute auf, die Anordnungen der Briten nicht mehr zu befolgen. Aufsehen erregte auch seine Spinnrad-Kampagne: Um Indien vom britischen Textilimport unabhängig zu machen, warb Gandhi für Heimspinnerei. Die Herrscher knickten tatsächlich ein, 1947 wurde Indien unabhängig.
Schon 1937 war Gandhi für den Friedensnobelpreis nominiert worden und – mehreren Berichten zufolge – auch in die engere Auswahl gekommen. Das Komitee entschied sich aber gegen ihn, weil er „Freiheitskämpfer und Diktator, Idealist und Nationalist“ zugleich sei. 1947 wurde er wieder vorgeschlagen, aber mitten im indisch-pakistanischen Konflikt verzichtete das Komitee darauf, einer Person aus einem dieser Länder den Friedensnobelpreis zu überreichen.
Am 30. Januar 1948 wurde Mahatma Gandhi von einem Fanatiker ermordet – zwei Tage, bevor die Nominierungsfrist für den Friedensnobelpreis ablief. Da die Einreichung nicht posthum erfolgen darf, wurde in diesem Jahr überhaupt kein Friedensnobelpreis vergeben mit der Begründung: „Es gibt keinen geeigneten lebenden Kandidaten.“
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Charles de Gaulle (1890–1970)
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Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle (r.) und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags am 22. Januar 1963 im Élysée-Palast in Paris.
© Quelle: UPI/dpa/dpa
Auch der erste Staatspräsident Frankreichs wäre beinahe Nobelpreisträger geworden – für Literatur. Auch wenn die Errungenschaften der deutsch-französischen Freundschaft durch den Élysée-Vertrag mit Konrad Adenauer 1963 eher für den Friedensnobelpreis gesprochen hätten – nominiert wurde de Gaulle im selben Jahr für die wichtigste Auszeichnung im Literaturbetrieb. Kurz zuvor war sein dreibändiges Werk „Mémoires de Guerre“ erschienen, die Erinnerungen an den Krieg. Anders als der britische Premier Winston Churchill zehn Jahre vorher, der für seine Memoiren tatsächlich den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, ging der damalige französische Staatschef aber leer aus.