Virologe Osterhaus: “Das wird nicht das letzte Virus sein”

Der niederländische Virologe Ab Osterhaus ist seit 2014 Gründungsdirektor des Forschungszentrums für neu auftretende Infektionen und Zoonosen der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover sowie Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Der niederländische Virologe Ab Osterhaus ist seit 2014 Gründungsdirektor des Forschungszentrums für neu auftretende Infektionen und Zoonosen der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover sowie Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Hannover. Herr Osterhaus, kommt Ihnen folgendes Zitat bekannt vor? “Dies ist einer von vielen Weckrufen, die wir in den letzten Jahren erhalten haben.”

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Ja, absolut. Ich weiß, dass ich das so oder ähnlich viele Male gesagt habe, aber ich weiß nicht, wann genau dieser Satz fiel.

Es war in einem Interview im Jahr 2005, bei der Ausbreitung des Vogelgrippe-Erregers H5N1. Oder: “Wenn jemand an Lungenentzündung stirbt und ein Virus ausgemacht wird, das wir noch nie beim Menschen gesehen haben, natürlich schrillen da die Alarmglocken.”

Da ist es ähnlich.

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Das war 2013, beim Ausbruch von H7N9. Das liest sich fast wie eine Blaupause für das, was jetzt geschehen ist.

Das stimmt. Wissen Sie, in den Niederlanden wurden vor ein paar Wochen Ausschnitte eines Films wiederholt, zur besten Sendezeit am Sonntagabend, in dem wir bereits vor 15 Jahren das Szenario einer „Chinesischen Grippe“ im Jahr 2020 durchdekliniert haben. Man konnte alles genau sehen: Geschlossene Schulen und all die drakonischen Maßnahmen, genau wie jetzt.

“Es hieß nur: Ach, das geschieht doch in der heutigen Zeit nicht mehr”

Wann haben Sie begonnen, vor einer Pandemie zu warnen?

Als Vorsitzender der European Scientific Working Group on Influenza habe ich mit Kollegen jedenfalls schon 1998 bei der Weltgesundheitsorganisation eine Konferenz organisiert, um darauf zu drängen, dass sich die Welt besser auf eine Pandemie vorbereitet. Aber damals wurden wir mit großen Augen angeschaut. Es hieß: Ach, das geschieht doch in der heutigen Zeit nicht mehr.

Wann ist Ihnen klar geworden, welche Gefahr von Tierviren für den Menschen ausgeht?

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Als junger Tierarzt in den Niederlanden war ich mit Maul- und Klauenseuche-Ausbrüchen konfrontiert. Der Erreger verbreitete sich wahnsinnig schnell. Da habe ich mich gefragt: Kann so etwas eigentlich auch beim Menschen geschehen? Später haben wir Viren gefunden, die tatsächlich vom Tier auf den Menschen übergehen, zum Beispiel das H5N1-Vogelinfluenzavirus. Das Mers-Coronavirus haben wir bei Menschen entdeckt, das Sars-Coronavirus haben wir mitentdeckt. Aber der Anfang war die Maul- und Klauenseuche.

Wann war das?

In den Siebzigerjahren. Vor fast einem halben Jahrhundert.

“Wir haben uns nie wirklich darauf vorbereitet”

Haben Sie den Eindruck, dass die Welt heute versteht, wovor Sie seit Jahrzehnten warnen?

Ich hoffe das. Wir haben in den letzten 20 Jahren viele Vorträge gehalten über die Gefahr. Da haben wir oft gehört: Das wäre ja sehr schlimm! Aber wir haben uns nie wirklich darauf vorbereitet. Ich verstehe es selbst nicht. Ich führe oft das Beispiel aus den Niederlanden an: 1953 hatten wir einen großen Dammbruch, dessentwegen etwa 2000 Menschen gestorben sind. Das war natürlich schrecklich. Danach hat man den großen Deltaplan in den Niederlanden gefasst und gibt pro Jahr mindestens eine Milliarde Euro aus, um die Deiche anzupassen. Das waren 2000 Menschen im Jahr 1953! Seitdem ist so etwas in Holland nicht mehr passiert. Aber jedes Jahr sterben natürlich viel mehr Menschen an der Grippe. Das nimmt nur keiner wahr. Wenn wir uns vorbereitet hätten, wenn wir genug investiert hätten in die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen, die sehr breit gegen eine ganze Virusgruppe wirken, dann hätten wir heute einen großen Vorteil.

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Ist dieser Verlauf dieser Pandemie so, wie Sie es befürchtet haben?

Er hat uns doch noch überrascht. Als wir die ersten Fälle in China gesehen haben, haben wir gedacht, dass es wie bei Sars-I verlaufen könnte, dass es also irgendwann unter Kontrolle gebracht werden könnte. Aber was wir jetzt sehen, ist genau das, was wir damals in dem Film prophezeit hatten.

“Dass es aus einem Labor stammen könnte, erscheint mir höchst unwahrscheinlich”

Was weiß man inzwischen über den genauen Ursprung des Virus?

Dass diese Arten von Viren ursprünglich aus Fledermäusen kommen. Außerdem ist es sehr wahrscheinlich, dass es eine Tierart zwischen Fledermäusen und Mensch gibt, wahrscheinlich ein Säugetier, wie bei Sars-I die Civetkatzen und bei Mers die Dromedare. Aber welches es war, wissen wir nicht.

Was sagen Sie zu dem Verdacht, das Virus könne aus einem chinesischen Labor stammen?

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Die Möglichkeit, dass es aus einem Labor in Wuhan entkommen oder freigesetzt worden sein könnte, erscheint mir sehr abwegig und höchst unwahrscheinlich.

“Das wird nicht das letzte Virus sein, das so einen großen Ausbruch verursacht”

Wenn die gefährlichen Viren immer vom Tier auf den Menschen übergegangen sind: Was bedeutet das? Müssen wir unsere Art und Weise überdenken, mit Tieren umzugehen?

Die Lehre daraus geht eigentlich viel weiter. Unser ganzer Planet hat sich geändert. Es ist nicht allein der Kontakt mit den Tieren. Es gibt natürlich das Problem mit dem Wildtierkonsum. Aber das Aids-Virus zum Beispiel ist wahrscheinlich auch schon in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts auf den Menschen übergegangen. Aber erst in den Achtzigerjahren hat es eine Pandemie verursachen können. Zuerst geht das Virus von Tieren auf Menschen über – und dann muss es sich unter Menschen verbreiten können. Das wiederum hat sehr viel damit zu tun, wie der Mensch sich verhält. Bei Aids kamen als begünstigende Faktoren zum Beispiel die sexuelle Revolution und der intravenöse Drogenkonsum dazu. Dann hat es zum Beispiel auch damit zu tun, dass Menschen immer häufiger in sehr großen Städten leben und fast unbegrenzt reisen. Das heißt: Sowohl die Möglichkeit für ein Virus, vom Tier auf den Menschen überzugehen, als auch die Chance, sich dann zu verbreiten, haben enorm zugenommen. Deshalb wird das Coronavirus jetzt sicher nicht das letzte Virus sein, das so einen großen Ausbruch verursacht.

Eine Lebensweise, die verhindern würde, dass Viren auf den Menschen übergehen und sich verbreiten, erscheint Ihnen nicht realistisch?

Es wäre vielleicht wünschenswert, aber es ist nicht realistisch. Deshalb müssen wir “in Friedenszeiten” viel massiver in die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten investieren, aber uns auch wirklich vorbereiten in dem Sinne, dass wir die Pflege gut ausstatten und schnell weitere Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen aufbauen können. Wie wir uns heute verhalten, das ist fundamental anders als vor 100 Jahren. Das kann man nicht zurückdrehen. Also muss man in wissenschaftlich fundierte Lösungen investieren.

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“Es würde sich lohnen, Milliarden zusätzlich in die Forschung zu investieren”

Wäre ein weitgehender Verzicht auf Fleisch ein Ansatz, um solche Seuchen unwahrscheinlicher zu machen?

Ja, das könnte vielleicht dazu beitragen, aber wer könnte den Menschen weltweit das Fleisch wegnehmen? Und wir sehen natürlich auch: Wenn sich eine Tierart oder auch der Mensch so rasant vermehrt, dann gibt es Infektionskrankheiten. Das ist eine ganz natürliche Sache. Wenn es zu viele Lebewesen auf zu engem Raum gibt, dann ist es fast unvermeidlich, dass es Infektionskrankheiten geben wird.

Das klingt, als sei das neue Coronavirus eine Rache der Natur…

Man könnte das so sagen. Aber als Wissenschaftler akzeptieren wir das natürlich nicht. Heute können wir neue Impfstoffe und Medikamente entwickeln. Wenn man sich anschaut, was diese Krise ökonomisch kostet, und wenn man sich dann anschaut, was für Forschung in diesem Bereich ausgegeben wird, dann muss man sagen: Es würde sich lohnen, jedes Jahr Milliarden von Euro zusätzlich in diese Forschung zu investieren.

Sie arbeiten sowohl an einem Medikament als auch an einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus. Wie weit sind Sie?

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Bei unserer Arbeit am Sars-I-und am Mers-Coronavirus im Rahmen eines europäischen Projekts, IMI ZAPI, sind wir auf einen Antikörper gestoßen, der, wie sich jetzt gezeigt hat, zufälligerweise auch gegen Sars-CoV-2 aktiv ist.

“Der Druck ist riesig”

Das haben Sie im Labor schon nachweisen können?

Ja, das wurde in dieser Partnerschaft von zwei niederländischen Gruppen nachgewiesen, und jetzt wird es gerade produziert. Dann muss es durch die Tierversuche und dann durch die klinischen Tests an Menschen gehen. Normalerweise würde das drei bis zehn Jahre dauern. Jetzt sind wir guten Mutes, dass es binnen eines Jahres zu schaffen ist.

Wie weit sind Sie bei dem Impfstoff?

Ich bin an zwei Projekten beteiligt. Bei dem ersten arbeiten wir mit einer Methode, die an der TU München entwickelt wurde: Die Verwendung eines Vektorimpfvirus…

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… also eines erprobten Trägers, in das Merkmale des neuen Coronavirus eingesetzt werden…

… mit dem wir einen Impfstoffkandidaten gegen das Mers-Coronavirus entwickelt haben. An diesem Modell haben wir vier Jahre gearbeitet, es befindet sich gerade in der klinischen Prüfung. Jetzt müssten wir schneller sein, der Druck ist riesig. Aber wir haben da viel gelernt, und von diesen Vorarbeiten können wir jetzt profitieren.

Die ersten klinischen Tests in einem halben Jahr

Mit den ersten klinischen Tests am Menschen rechnen Sie…

… in einem halben Jahr, vielleicht etwas länger.

Und in dem zweiten Projekt, mit Ihren holländischen Kollegen?

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Da hoffen wir, eine andere Methode verwenden zu können, die auch in der europäischen IMI-ZAPI-Allianz entwickelt wurde. Da bereiten wir gerade die Tierexperimente vor.

Es bleibt also dabei: Kein Impfstoff vor Frühjahr 2021? Trotz auch der ersten klinischen Studie, die bereits jetzt in Deutschland genehmigt wurde?

Vor Ablauf eines oder von anderthalb Jahren wird man keinen Impfstoff für den großflächigen Einsatz bei Menschen haben. Schließlich müssen wir Impfstoffe dann in Milliarden von Dosen produzieren.

“Auch bei den Medikamenten können wir viel schneller werden”

Das könnte für diese Pandemie fast zu spät sein. Dabei arbeiten weltweit mehr Initiativen an einem Impfstoff, die Behörden haben das Zulassungsverfahren schon verkürzt. Ist auch die Macht der Wissenschaft gegen eine solche Seuche begrenzt?

Eigentlich nicht. Bei der letzten Grippeepidemie hatten wir in sechs Monaten wirksame Impfstoffe. Das gelang, weil man genau weiß, wie man Impfstoffe gegen Influenza produzieren kann. Wenn man dasselbe macht für andere Virengruppen, zum Beispiel für bestimmte Arboviren…

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… die von Insekten und Zecken übertragen werden und sehr gefährliche Erkrankungen auslösen können…

… oder Paramyxoviren…

… zu denen die Erreger von Masern und Mumps gehören…

… dann weiß man genau, wo man ansetzen muss. In einem neuen europäischen Projekt arbeiten wir an einem universellen Impfstoff gegen Influenza, den wir als Grundmodell gegen eine Vielzahl von Influenzaviren einsetzen können. Wir hoffen, dass uns das gelingt. Auch bei den Medikamenten können wir viel schneller werden. Denkbar sind Mittel gegen prinzipiell alle Bunyaviren, oder gegen alle Coronaviren. Sehr interessant ist zum Beispiel auch die Arbeit einer Gruppe in Leuven, Belgien, die gerade mithilfe von Robotern damit beschäftigt ist, binnen kurzer Zeit eine Vielzahl bestehender Medikamente auf ihre Wirksamkeit zu screenen. Wenn man solche Methode früher, “in Friedenszeiten”, mehr gefördert hätte, lägen darin große Möglichkeiten.

“Wir geben dem Virus immer wieder neue Chancen”

Herr Osterhaus, zum Abschluss eine prophetische Frage: Da auch künftig Pandemien offenbar fast unausweichlich kommen werden, von welchem Virus droht den Menschen künftig die größte Gefahr?

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Es ist fast sicher, dass wir in Zukunft wieder eine Influenzapandemie bekommen werden. Das heißt nicht, dass von den anderen Virusgruppen keine Bedrohung ausgeht. Aber Influenzaviren kennen viele Tricks. Die können mutieren, genetisches Material mit verwandten Viren austauschen, und sie kommen bei sehr vielen Tieren vor. Sie können in Zugvögeln stecken, die unsere Haustiere infizieren, Nutztiere, Schweine, auch den Menschen direkt. Außerdem haben wir im vergangenen Jahrhundert viermal eine solche Pandemie gesehen. Mit unserer Lebens- und Wirtschaftsweise geben wir dem Virus immer wieder neue Chancen. Deshalb arbeiten wir so hart an diesem Virus und den Möglichkeiten, es zu kontrollieren.

Interview: Thorsten Fuchs

RND

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