Immunität nach Corona-Infektion? Warum sich Wissenschaftler zurückhalten

So sieht ein Teströhrchen für einen Covid-19-Antikörpertest aus.

So sieht ein Teströhrchen für einen Covid-19-Antikörpertest aus.

Aufregung um eine Erklärung der Weltgesundheitsorganisation (WHO): In einem für wissenschaftliche Verhältnisse kurzen Statement, das ungefähr eine DIN-A4-Seite umfasst, warnte die WHO am Wochenende vor sogenannten Immunitäts-Ausweisen. Als Begründung zitierten Agenturen, es gebe aktuell keine Beweise dafür, dass von Covid-19 genesene Patienten mit Antikörpern im Blut vor einer zweiten Infektion geschützt seien.

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Die Meldung sorgte unter anderem deshalb für Unruhe, weil die Antikörper- und Blutplasma-Forschung auf dem Weg zu einem potenziellen Wirkstoff gegen das Coronavirus schon vielerorts positive Zwischensignale gibt. Zudem wird in Politik und Öffentlichkeit auch darüber diskutiert, inwieweit nachweislich Covid-19-Genesene als freiwillige Helfer, etwa bei Risikogruppen, eingesetzt werden könnten.

Antikörper und Immunität: Was ist zur Corona-Infektion bekannt?

Dass nun also die WHO vorgeblich die Immunität nach überstandener Covid-19-Erkrankung in Frage stellt, sorgt für erneute Verunsicherung in Zeiten, in denen uns die Nachrichtenflut auch mit vielen Widersprüchlichkeiten überschwemmt. Aber behauptet die WHO wirklich das, was in verkürzter Form zitiert wird?

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Dazu hier ein Auszug aus dem WHO-Dokument:

"Die WHO sucht fortlaufend nach Beweisen für Antikörper-Reaktionen auf eine Sars-CoV-2-Infektion. Die meisten dieser Studien zeigen, dass Menschen, die eine Infektion überstanden haben, Antikörper gegen das Virus gebildet haben. Allerdings weisen einige dieser Personen recht niedrige Werte an neutralisierenden Antikörpern in ihrem Blut auf. Dies deutet darauf hin, dass die zelluläre Immunität auch für die Genesung von entscheidender Bedeutung sein kann. Jedoch hat bis zum 24. April 2020 keine Studie bewerten können, ob die Präsenz von Antikörpern gegen Sars-CoV-2 Menschen wirklich die Immunität gegenüber weiteren Infektionen dieses Virus verleiht.

Labortests, die Antikörper gegen Sars-Cov-2 in Menschen nachweisen – das gilt auch für immundiagnostische Schnelltests, bedürfen einer weiteren Überprüfung, um ihre Präzision und Zuverlässigkeit zu ermitteln. Ungenaue immundiagnostische Tests könnten Menschen auf zweierlei Art falsch kategorisieren. Erstens bestünde das Risiko, dass Infizierte fälschlicherweise als negativ eingestuft werden könnten und zweitens könnten Nichtinfizierte irrtümlicherweise als positiv bewertet werden. Beide Fehler-Optionen hätten schwere Konsequenzen und würden die Kontroll-Erfolge beeinträchtigen.

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Diese Tests sollten akkurat zwischen vergangenen Infektionen mit Sars-Cov-2 und solchen zu unterscheiden in der Lage sein, die durch die bisher sechs bekannten Human-Coronaviren verursacht wurden. Vier dieser Viren sind die Verursacher normaler Erkältungen und weit verbreitet. Die verbleibenden zwei sind Viren, die das “Middle East Respiratory Syndrome” (Nahost-Atemwegssyndrom-Coronavirus, MERS-CoVs) und das “Severe Acute Respiratory Syndrome” (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom, SARS) verursachen. Menschen, die mit einem dieser beiden Viren infiziert sind, könnten Antikörper produzieren, die eine Kreuzreaktion mit Antikörpern erzeugt, die in Folge einer Sars-CoV-2-Infektion gebildet wurden.

Viele Länder testen derzeit Sars-CoV-2-Antikörper entweder flächendeckend oder an spezifischen Gruppen wie Beschäftigten im Gesundheitswesen, engen Kontakten von bekannten Fällen oder innerhalb von Haushalten. Die WHO unterstützt diese Studien, da sie unerlässlich für das Ausmaß der Infektion und die damit verbundenen Risikofaktoren sind. Diese Studien werden Daten über die Prozentzahl von Personen mit nachweisbaren Covid-19-Antikörpern liefern. Allerdings sind die meisten von ihnen nicht darauf angelegt, nachzuweisen, ob diese Personen auch wirklich immun gegenüber Zweitinfektionen sind."

Kein Nachweis der Wirksamkeit von Blutplasma-Therapie

Zudem, so die Argumentation der WHO, könnten Personen, die einen solchen Ausweis besäßen, möglicherweise eher die Hygienevorgaben ignorieren und somit das Risiko einer Virus-Ausbreitung gegebenenfalls wieder steigern. Die Feststellung der WHO in diesem Zusammenhang, dass es noch keine letztgültigen Beweise für eine Folge-Immunität gäbe, ist zurückhaltend formuliert – ebenso wie etwa die Bemerkung des Paul-Ehrlich-Instituts, dass es erste ermutigende Hinweise auf einen Nutzen des Therapieansatzes mit Blutplasma gebe.

Allerdings fehle bisher ein Wirksamkeitsnachweis. Dieser könne nur in kontrollierten klinischen Prüfungen erbracht werden. Die genehmigte CAPSID-Studie habe das Ziel, sowohl Wirkprinzip als auch Wirksamkeit und Sicherheit der Anwendung von Covid-19-Rekonvaleszenten-Plasma zu prüfen.

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Dunkelziffer: RKI führt Antikörper-Studien durch

Die Ergebnisse der Antikörper-Studien sind von großer Bedeutung, um den Verlauf und Schwere der Pandemie genauer abschätzen und die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen besser bewerten zu können

Lothar Wieler, RKI-Präsident

Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) forscht derzeit an mehreren groß angelegten Studien. „Von diesen Studien erwarten wir uns ein genaueres Bild über das SARS-CoV-2-Geschehen in Deutschland“, sagt Prof. Lothar H. Wieler, Präsident des RKI. „Die Ergebnisse der Antikörper-Studien sind von großer Bedeutung, um den Verlauf und Schwere der Pandemie genauer abschätzen und die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen besser bewerten zu können", so Wieler. Auch diese Umschreibung eines wissenschaftlichen Mammutprojekts ist vorsichtig formuliert.

Die Zurückhaltung der Formulierung mag für alle, die dieser Tage auf die eine oder andere erlösende Nachricht warten, unzulänglich wirken. Allerdings wird sie auch der großen Verantwortung gerecht, die Wissenschaft und Forschung derzeit haben.

Immunität: Vielversprechende Studie mit Rhesusaffen

Hinweise auf eine Immunität nach einer Covid-19-Infektion liefern nicht zuletzt Experimente mit vier Rhesus-Affen. Chinesische Wissenschaftler infizierten die Tiere mit dem Virus, warteten die Krankheitsphase ab und infizierten die Affen nach 28 Tagen erneut mit einer überdurchschnittlich hohen Virus-Dosis. “Und diese hohe Virus-Dosis hat bei allen Tieren dennoch keine Infektion mehr hervorgerufen”, erklärte auch Charité-Virologe Christian Drosten in seinem NDR-Podcast. Aber erst mindestens drei Monate andauernde klinische Studien am Menschen könnten definitive Antworten liefern.

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Scheinbar einfache Lösungsvorschläge sind bei einer dermaßen dynamischen Entwicklung wie der aktuellen unverantwortlich. Das gilt etwa auch für die Idee, durch vielfältige Ansteckungen eine sogenannte Herdenimmunität herzustellen, bei der die Mehrzahl immuner Menschen das Virus zurückdrängt. Zudem unterschlagen Befürworter eines solch schlichten Vorschlags im Falle von Sars-CoV-2 den entscheidenden Unterschied, etwa zur erfolgreichen Herdenimmunität bei Masern: Herdenimmunität erzeugt man in der Regel durch Impfungen. Dabei hat man den Vorteil, dass der Impfstoff getestet und kontrolliert wurde. Bei Covid-19 ist der bekanntermaßen noch nicht in Sicht.

Trotz Corona-Pandemie: Forschung braucht Zeit

Was die Immunität nach überstandener Covid-19-Infektion anbelangt, so sagt die WHO mit keiner Silbe auf ihrer Website, dass sie die Antikörper-Forschung in Sachen Covid-19 für einen Irrweg oder falsch hielte. Dass man sich mit eindeutigen Statements in einer Situation zurückhält, die schon allein wegen des bisher kurzen Zeitraums des Ereignisses Corona-Pandemie keinerlei finale Schlüsse zulässt, ist ein eigentlich eher gutes Zeichen.

Denn es ist Geduld gefragt dieser Tage, gerade in der Forschung. Oder, wie es der RND-Experte Matthias Stoll, Infektiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) jüngst in einem RND-Interview formulierte. “Glauben Sie niemandem, der behauptet, er wüsste schon jetzt, wie lange es dauert.”

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