Wiederholte Verpaarung: DNA-Analysen zeichnen Evolutionsgeschichte von Eis- und Braunbären nach
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Bei den Hybridbären (auch Cappuccinobären) handelt es sich um eine Mischung aus Eisbär und Braunbär – im Zuge des Klimawandels könnten diese Verpaarungen künftig sogar zunehmen.
© Quelle: dpa
Eine neue Studie befasst sich mit der verschlungenen Evolutionsgeschichte von Eis- und Braunbären: Dass die beiden Arten sich auch nach ihrer Trennung noch kreuzten, war bereits bekannt. Doch wie ein Forschungsteam nun im Fachblatt „PNAS“ berichtet, ging der Genfluss vor allem von den generalistischen Braunbären in Richtung der auf die Arktis spezialisierten Eisbären. Solche Hybridisierungen finden auch heute noch statt und werden aufgrund der Erderwärmung künftig wahrscheinlich häufiger zu beobachten sein.
Eisbären (Ursus maritimus) sind wie kaum eine andere Tierart zum Sinnbild für die Folgen der Klimakrise geworden, hängt ihr Überleben doch von der Stabilität der großen arktischen Regionen ab. Ein Hinweis darauf, wie die Raubtiere reagieren, wenn das Meereis in Zukunft immer weiter schmilzt, könnte in der Vergangenheit zu finden sein: Im Pleistozän, einem Zeitalter der Erdgeschichte, das vor 2,6 Millionen Jahren begann und vor etwa 11.700 Jahren endete, wechselte das Klima zwischen Eiszeiten und Zwischeneisperioden. In den wärmeren Perioden, in denen das arktische Eis schrumpfte, überschnitten sich die Verbreitungsgebiete der damaligen Polar- und Braunbären (Ursus arctos), was eine Kreuzung der beiden Arten ermöglichte. Ob und wie moderne Eisbären dadurch geformt wurden, war bislang umstritten.
Genomanalyse moderner Braun- und Eisbärarten
Ein internationales Team um Charlotte Lindqvist von der US-amerikanischen Universität Buffalo, Luis Herrera-Estrella von der Texas Tech University und Kalle Leppälä von der finnischen Universität Oulu hat sich nun der komplexen Entstehungsgeschichte der Tiere angenommen. Die Wissenschaftler analysierten die Genome von 64 modernen Eis- und Braunbären, darunter mehrere Genome aus Alaska, einem US-Bundesstaat, in dem beide Arten vorkommen. Basierend auf der einem Zahn entnommenen DNA erstellten sie auch ein neues, vollständigeres Genombild eines Eisbären, der vor 115.000 bis 130.000 Jahren auf Spitzbergen lebte.
Anhand dieses Datensatzes schätzen die Forschenden, dass Polar- und Braunbären vor etwa 1,3 bis 1,6 Millionen Jahren begannen, sich zu verschiedenen Arten zu entwickeln, und aktualisierten damit frühere Schätzungen. Das Alter der Trennung bleibe ein Thema der wissenschaftlichen Debatte, wobei frühere Kreuzungen und begrenzte fossile Funde von urzeitlichen Eisbären zu den Faktoren gehörten, die es schwer machten, den Zeitpunkt genau zu bestimmen, erklärt Evolutionsbiologin Lindqvist.
Verbreitungsgebiete können sich künftig häufiger überschneiden
Die Trennung stellte aber keine endgültige Scheidelinie zwischen den beiden Arten dar. Vielmehr bestätigten die Analysen frühere Studien, denen zufolge sich Eis- und Braunbären auch danach noch paarten. Diese Kreuzungen hinterließen Spuren im heutigen Genom beider Arten, vor allem aber in dem der Polarbären. „Unsere Ergebnisse zeigen eine komplizierte, verflochtene Evolutionsgeschichte zwischen Braun- und Eisbären, wobei der Genfluss hauptsächlich von Braunbären zu Eisbären geht“, so Lindqvist.
Das Phänomen, dass an die Arktis angepasste Eisbären genetisches Material von an das Leben in niedrigeren Breitengraden angepassten Braunbären übernehmen, sei eine von mehreren Erkenntnissen, die für Wissenschaftler interessant sein könnten, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf bedrohte Arten befassen – vor allem, da sich deren Verbreitungsgebiete im Zuge der Erderwärmung künftig stärker überschneiden könnten.
Wie die Studienautoren und ‑autorinnen betonen, bedeuteten solche Hybridisierungen aber keinen Ausweg für den bedrohten Eisbär. Sie schreiben: „Wichtig ist jedoch, dass der Selektionsdruck, der durch den Lebensraumverlust und andere klimabedingte Auswirkungen entsteht, höchstwahrscheinlich jedes Potenzial für adaptive evolutionäre Veränderungen, die durch Hybridisierung ausgelöst werden, überwiegt.“
Nach wie vor gibt es vereinzelte Paarungen
Tatsächlich sind vereinzelte Paarungen zwischen den Arten auch heute zu beobachten. So wurden etwa 2006 und 2010 Bären in arktischen Regionen geschossen, die sich per DNA-Analyse als Mischung aus Polarbär und Grizzly entpuppten. Und im Jahr 2004 wurde ein hybrides Bärengeschwisterpaar im Osnabrücker Zoo geboren, der bis dahin verschiedene Bärenarten in einem Gehege gehalten hatte, diese Praxis nach der Geburt der beiden aber einstellte.
Darüber hinaus zeigten die Genomanalysen, dass die Eisbären, nachdem sie zu einer eigenen Art geworden waren, einen dramatischen Populationsrückgang und damit einhergehend einen lang anhaltenden genetischen Engpass erlitten. Eben jener genetische Engpass zeige sich in modernen Eisbären allerdings noch ausgeprägter als bei den urzeitlichen Vertretern – eine Entwicklung, die sich den Studienautoren und ‑autorinnen zufolge wahrscheinlich künftig noch verstärken wird: „Die derzeitige Fragmentierung des Lebensraums Meereis wird voraussichtlich den Genfluss zwischen den Eisbärpopulationen verringern, was zu verstärkter lokaler Inzucht und einem allgemeinen Verlust an Vielfalt führt.“
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