Angst- und Stressbewältigungstrainerin im Interview

Raus aus dem Kopf, rein ins Bauchgefühl: Wie man Angst im Alltag bezwingen kann

Sich den eigenen Ängsten zu stellen fällt vielen Menschen schwer – doch es kann dabei helfen, mit ihnen umzugehen.

Sich den eigenen Ängsten zu stellen fällt vielen Menschen schwer – doch es kann dabei helfen, mit ihnen umzugehen.

Frau Fleisch, Sie helfen Menschen dabei, weniger Angst zu haben. Wie schafft man es denn, dass Angst einen nicht überwältigt?

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Für den Körper ist Angst ja ein purer Hormoncocktail, der sich – je nach Intensität – anders anfühlt. Wenn wir Angst haben, atmen wir schneller, das Herz schlägt schneller und manche spüren ein Engegefühl im Brust- oder Bauchbereich – ein durchaus sehr intensives Gefühl. Als Angst- und Stressbewältigungstrainerin und psychologische Beraterin behandle ich nach Ansätzen der kognitiven Verhaltenspsychologie und dem systemischen Coaching. Die kognitive Verhaltenstherapie geht davon aus, dass Gedanken Gefühle auslösen und Gefühle Verhalten. Jedes Verhalten kann also erlernt und auch wieder verlernt werden, wenn die Gedanken verändert werden. Das heißt, es geht darum, viel Gedankenarbeit zu leisten, um sich nicht überwältigen zu lassen.

Was heißt das konkret?

Es geht darum, sich genau anzuschauen, welche Gedanken das Gefühl der Angst genau auslösen – und diese gegebenenfalls zu verändern. Man muss sich fragen: Welche Ängste sind wirklich vorhanden und warum? Was für Haltungen oder Einstellungen habe ich? Wie beeinflussen meine Glaubenssätze meine Angst? Ist das realistisch? Das Gefühl der Angst nimmt man meist schnell wahr, aber sie ist trotzdem nicht so gut greifbar. Es ist aber wichtig, ganz genau zu schauen: Was sind meine Gedanken zu dem Gefühl, und diese dann auch auszuformulieren. Das hilft sehr, die Dinge etwas klarer zu sehen. Beim Abnehmen geht es beispielsweise eigentlich oft darum, dazugehören zu wollen und anerkannt zu sein. Nicht um Schönheit. Wenn man das weiß, kann man andere, hilfreichere Wege finden, um das Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen.

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Warum stellen wir uns schwierigen Gefühle nicht einfach?

Weil sie sich nicht unbedingt gut anfühlen und wir Angst haben, verletzlich zu wirken. Und weil wir es nie gelernt haben. Besonders bei Gefühlen oder Haltungen, die gesellschaftlich nicht anerkannt sind oder waren, fällt es vielen Menschen sehr schwer, ihnen Raum zu geben. Männer wollen zum Beispiel klassischerweise nicht schwach oder traurig sein. Frauen haben häufiger Angst, dass sie eine Belastung sind, und versuchen immer nett, hilfsbereit und freundlich zu sein. Bei anderen ist es vorgekommen, dass die Gefühle mal viel zu intensiv waren. Eine Strategie kann dann sein, dass man dazu tendiert, Gefühle ganz auszuschalten. Denn das hat früher vielleicht tatsächlich mal geholfen, wenn es zu viel wurde. Aber leider führt das dazu, dass man auch alle anderen Gefühle nicht mehr gut spürt und nur noch die Extreme wahrnimmt.

Was passiert, wenn man Gefühle so stark wegschiebt?

Das ist auf Dauer nicht gut, denn dann stauen sie sich an wie in einem Luftballon. Und wenn man einmal nicht genug Kraft hat, die unerwünschten Empfindungen wegzudrücken, platzt er – und man wird von den ganzen aufgestauten Gefühlen nahezu überwältigt.

Angenommen, man macht sich Sorgen, dass eine Kollegin oder Freundin schlecht über einen denkt. Dabei gibt es ganz andere Gründe für ihre schlechte Laune. Warum sollte man diesem Gefühl dann Raum geben, wenn es – objektiv betrachtet – unrecht hat?

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Weil es die eigenen Interpretationen zeigt. Die muss man sich anschauen, damit man sich entweder damit beruhigen kann, dass es sich dabei nur um die eigene Unsicherheit handelt, die man projiziert. Oder im Zweifel das Gespräch suchen und den wahren Grund für ihre schlechte Laune erfahren kann. Wenn wir das nicht tun, glauben wir, dass unsere Interpretation wahr ist. Und das ist oft nicht hilfreich.

Die Gefühle stauen sich an wie in einem Luftballon. Und wenn man einmal nicht genug Kraft hat, sie wegzudrücken, platzt er – und man wird von den ganzen aufgestauten Gefühlen nahezu überwältigt.

Sabrina Fleisch,

Angst- und Stressbewältigungstrainerin

Nicht alle Horrorszenarien, die sich unser Kopf ausmalt, können durch ein Gespräch gelöst werden. Wie geht man damit um, wenn einem beispielsweise ein möglicher Umzug Angst macht oder ein möglicher Atomkrieg?

Die Frage ist: Ist es hilfreich, jetzt dieses Gefühl zu haben? Kann ich daraus eine konkrete Handlung ableiten? Oder sind meine Gedankenkreise ergebnislos? Dann macht es Sinn, sich klarzumachen, dass sich immer zahlreiche Faktoren verändern, sodass eigentlich kaum etwas haargenau so wird, wie man es sich vorgestellt hat. Denn Angst ist ein Gefühl, das nur in der Zukunft existiert. Manchmal hilft es auch, absurde Dinge in die Horrorgeschichten einzubauen. Beispielsweise: Türstopper, Avocado und Heizung. Dann merkt man schnell, wie unrealistisch das Szenario ist.

In Ihrem Buch „Sei stärker als die Angst“ (2022) geht es an einer Stelle um ein Kind, bei dem vermutet wird, dass es ADHS hat. Nach der Sitzung mit Ihnen schien es so zu sein, dass die Unruhe vor allem auch eine Ablenkung von negativen Gefühlen sein könnte. Nehmen wir unsere Gefühle auch manchmal falsch wahr?

Ja, das passiert häufiger. Ich achte immer sehr darauf, dass das, was erzählt wird, mit dem Körper zusammenpasst. Der Junge sollte drei Minuten still sitzen und sagte danach, ihm sei langweilig gewesen. Er war aber offensichtlich traurig, denn sein Oberkörper war zusammengesunken und seine Mundwinkel zeigten nach unten. Das passte nicht zusammen.

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Wir neigen dazu, unsere Gefühle zu unterdrücken, wenn sie nicht zu dem Bild, was wir von uns haben oder was gefordert wird, passen.

Sabrina Fleisch,

Angst- und Stressbewältigungstrainerin

Wie sind Sie damit umgegangen?

Wenn Verhalten und Gefühl nicht zusammenpassen, geht es darum, zu ergründen, was dahintersteckt. Hat er in der Familie oder im Freundeskreis gelernt, dass manche Gefühle nicht okay sind? Hat dieses Gefühl vielleicht in der Vergangenheit mal so wehgetan, dass es von einem anderen überschattet wird? Wir neigen dazu, unsere Gefühle zu unterdrücken, wenn sie nicht zu dem Bild, was wir von uns haben oder was gefordert wird, passen. Und das ist ein Teufelskreis: Jedes Mal, wenn wir uns anders verhalten, als unser Gefühl es uns sagt, sagen wir uns damit: „Es ist nicht okay, wie ich denke und fühle.“ Das macht auf Dauer unglücklich, weil wir nicht erleben, dass wir so angenommen werden, wie wir sind. In vielen Fällen steht die Angst dahinter, dass uns das, was wir fühlen oder denken, zu einer schlechteren Schwester, Freundin oder Kollegin machen würde. Und, wenn wir uns nicht dazu entscheiden, uns authentischer zu verhalten, machen wir nie die Erfahrung, dass es nicht so ist.

Sabrina Fleisch "Sei stärker als die Angst"

Stress- und Angstbewältigungstrainerin Sabrina Fleisch aus Linz (Österreich) hilft Menschen dabei, ihre Ängste in den Griff zu bekommen.

Angenommen, man liegt nachts wach und verfängt sich in einer Grübelschleife nach der anderen. Wie kommt man da wieder raus?

Es gibt viele Strategien. Da muss jeder selbst herausfinden, was für ihn oder sie passt. Man kann zum Beispiel laut oder auch in Gedanken „Stopp“ sagen. Das hilft tatsächlich vielen schon sehr. Oder man stellt sich dazu einen Lichtschalter im Kopf vor, mit dem man die Sorgen ausschalten kann. Grundsätzlich sind innere Bilder häufig sehr hilfreich, um mit schwierigen Gefühlen umzugehen. Ein Mann hat mal gesagt, seine Wut fühle sich an, als ob eine Faust auf seine Brust schlägt. Mit diesem Bild arbeitet man dann, indem man versucht, die Faust in etwas Schöneres zu verwandeln, das sich anders anfühlt. Der Mann hat die Faust gedanklich dann in eine Babyhand verwandelt – und damit haben sich auch seine Wutgefühle in Luft aufgelöst. Anderen hilft es, sich eine Wand oder einen Berg vorzustellen, den man umwandert oder für den man sich eine Leiter holt, um drüberzusteigen. Man kann sich auch vorstellen, dass das Gefühl verdampft oder in den Boden hinein abfließt.

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Was ist die größte Herausforderung bei der Bewältigung von Angst?

Konsequent das Bewusstsein für die eigenen Gedanken und diese kleinen Warnzeichen, die einem der Körper gibt, zu schaffen. Sich regelmäßig zu fragen „Was brauche ich?“ und es sich dann auch zu geben. Achtsam sein – das ist wirklich eine Challenge, weil wir dazu neigen, immer funktionieren zu wollen. Viele Angstpatientinnen und -patienten hören etwa zu wenig auf ihr Bauchgefühl und sind zu sehr im Kopf gefangen zwischen Für und Wider. Da muss man ein Mittelmaß finden, und das ist das eigentlich Schwierigste. Also sich seine Ängste anzusehen, aber nicht darin zu versinken. Eine Mischung aus reingehen und anschauen, aber auch wieder rausgehen und ablenken. Beides allein ist auf Dauer kontraproduktiv.

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