Uefa untersagt Anpfiff unter dem Regenbogen: Wie politisch darf Sport sein?
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Keine Regenbogenfarben für die Allianz-Arena: Beim Spiel des DFB-Team in München erstrahlt das Stadion erneut in den Nationalfahnen.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Hannover. Kein Anpfiff unter dem Regenbogen: Das Münchner Fußballstadion sollte beim Spiel gegen die Ungarn, wo Homosexuelle kriminalisiert werden, in den Regenbogenfarben erstrahlen – als Zeichen für Toleranz. Das aber möchte die Uefa nicht. Die Begründung lautet: Die elf EM-Stadien sollen nur in den Farben des europäischen Fußballverbandes und der teilnehmenden Nationen leuchten.
Kurz vorher hatte die Uefa bereits die Regenbogen-Kapitänsbinde von Nationaltorwart Manuel Neuer kritisch unter die Lupe genommen. Das symbolträchtige Stück wurde für seinen Arm freigegeben. Sie werde „als Zeichen der Mannschaft für Vielfalt und damit für good cause bewertet“, teilte der DFB via Twitter mit. Für das gesamte Stadion aber scheint kein guter Grund zu bestehen.
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Doch wer bestimmt, was „gut“ ist?
Und wie politisch darf der Sport sein? „Traditionell hieß es ja lange Zeit, dass Politik und Sport zwei getrennte Welten seien. Aber das war schon immer eine Schimäre“, sagt Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS).
„Besonders Großereignisse, die viele Menschen faszinieren, sind auch immer politisch. Hier werden Dinge ausgetragen, die weit über den Sport hinausgehen.“ Das treffe zurzeit besonders bei der EM zu, die in den unterschiedlichsten Ländern ausgetragen werde. „Hier vermischt sich der Sport mit den Debatten über Menschenrechte, die in der EU ja immer wieder eine Rolle spielen.“
Hintergrund ist ein neues ungarisches Gesetz, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität einschränkt und das erst vor Kurzem vom dortigen Parlament gebilligt wurde. Das Gesetz gilt als besonderes Anliegen von Ministerpräsident Viktor Orbán.
Fußball als Bühne
Beginnt der Sport mit der bunten Stadionbeleuchtung nicht zu spalten, statt zu vereinen? Für Sportwissenschaftler Mittag ist das kein Widerspruch. „Sport kann beides: integrieren, aber auch Konflikte befördern.“ Und beides zeige sich besonders bei dieser Fußball-EM. „Das sieht man schon an den Einschaltquoten: Einerseits werden die Spiele zu gemeinsamen Erlebnissen, zur Alltagsflucht in der Pandemiezeit.“ Andererseits würde das Großereignis Abgrenzungstendenzen sichtbar machen. „Der Fußball ist eine Bühne, auf der zunehmend Konflikte ausgetragen werden, die nicht unbedingt etwas mit dem Sport zu tun haben.“
Die Uefa sei in einer schwierigen Situation, glaubt Sportexperte Mittag. „Sie stellt sich gegen rassistische Positionen, muss aber auch schauen, wo die Grenze verläuft, damit nicht künftig alle möglichen Ziele und Interessen aufs Spielfeld drängen.“ Das werde auch in Zukunft eine ganz große Herausforderung sein, so der Kölner Wissenschaftler.
Zur Frage, ob es richtig oder falsch sei, das Stadion nun nicht in den Regenbogenfarben zu beleuchten, meint Mittag: „Das wäre natürlich ein wichtiges Symbol gewesen, hätte aber das Spiel gegen die Ungarn stark politisiert.“ Grundsätzlich sei ein politisches Statement sinnvoll, aber nicht um jeden Preis.
„Hass ist keine Meinung“
Die Queer Football Fanclubs (QFF) haben dazu eine ganz klare Haltung: „Hass und Homophobie sind keine Meinung und kein politisches Statement“, sagt Daniel Hofmann, Mitglied des QFF-Sprecherrates. „Hier geht es um Grundwerte – um die Basis, damit Menschen überhaupt zusammenfinden können.“ Für ihn sei es deshalb total wichtig, diese Einstellung auch zu demonstrieren, „damit man die Leute zum Nachdenken bringt“.
Hofmann würde sich von der Uefa wünschen, „dass sie voll hinter ihren Werten steht, die sie sonst auf ihre Fahne schreibt: Toleranz, Vielfalt, Offenheit, Akzeptanz“. Doch er schränkt gleichzeitig ein: „Wir hatten schon damit gerechnet, dass die Uefa ihren Ersatzspielort für das Finale in Budapest nicht verlieren wollte ...“ Da gehe es um viel Geld und um Macht, weniger um Werte.
Angst vor Ablehnung
„Homophobie ist immer noch ein großes Thema in den Stadien“, sagt QFF-Sprecher Hofmann, „obwohl sich der DFB in den letzten Jahren deutlich offener und toleranter zeigt.“ Trotzdem habe sich bisher noch kein aktiver Profifußballer geoutet. „Das liegt zum einen daran, dass man Angst hat, im Team könnte jemand ablehnend reagieren. Das kann ja schnell beim Miteinander zum Problem werden.“ Zum anderen müsse man sich immer an dem Vorurteil abkämpfen, schwule Fußballer würden zu soft für diesen Sport sein, keinen harten Schuss haben.
EM-Studio, Folge 3 mit Rummenigge und Rafati: Deutsche Euphorie und Regenbogen-Eklat
In der dritten Folge des EM-Studios geht der Blick auf das letzte deutsche Gruppenspiel gegen Ungarn. Auch die Diskussion um den Regenbogen-Protest ist Thema.
© Quelle: RND
Diese Frage scheint sich bei den Fußballerinnen nicht zu stellen. Nach einer Onlinebefragung des Instituts für Soziologie und Genderforschung an der DSHS in Köln sei generell zu beobachten, dass homosexuelle Frauen im Leistungssport eine größere Akzeptanz finden als homosexuelle Männer. Auch gebe es im Frauenfußball weniger diskriminierende Beleidigungen.
Es beginnt beim Stadionvokabular
Anders beim Männerfußball: Bei den Fans sei es oft Gedankenlosigkeit, für viele würden Beleidigungen wie schwuler Pass oder Schwuchtel zum Stadionvokabular dazugehören, meint Hofmann. „Ich glaube, das wird oft einfach so daher gesagt und gar nicht böse gemeint.“ Aber genau deshalb müsste der Fußball – als bindendes Element in der Gesellschaft – bei diesem Thema aktiv werden und sensibilisieren. „Nicht böse gemeint ist eben auch oft das Gegenteil von gut.“