Zitternd in den Winter: Wie der Energiepreisschock Verbraucher und Firmen belastet
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Gasflamme und Euromünze: Die Preise steigen und steigen.
© Quelle: imago images / imagebroker/Stefan Klein
Frankfurt. Die Erdgaspreise sind gefallen. Allerdings nur für ein paar Tage am Ende der vergangenen Woche. Inzwischen explodieren die Notierungen an den Energiebörsen wieder. Vieles spricht dafür, dass sich die Lage frühestens im Frühjahr beruhigen wird. Zugleich stehen mit der beispiellosen Verteuerung von Gas und Strom Klimaschutzprojekte auf dem Spiel.
Das ist die Lage zum Anfang der letzten Oktoberwoche: Nach Berechnungen des Verbraucherportals Check 24 wird der Durchschnittspreis für Erdgas im Großhandel im Oktober bei gut 63 Euro pro Megawattstunde liegen; vor einem Jahr waren es 11,20 Euro.
Teuerster Winter aller Zeiten? Gas- und Strompreise steigen kräftig
Vergleichsportal: Gas- und Strompreise steigen kräftig, Der Preis für Erdgas und Strom steigt und steigt.
© Quelle: dpa
Heizöl war im September fast doppelt so teuer wie vor einem Jahr. Strom wird an der Börse gut 300 Prozent mehr kosten als im Oktober 2020. Die Folge: Versorger haben bislang Gaspreise um mehr als 13 Prozent und Strompreise um rund 9 Prozent erhöht. Beides zusammen bedeutet zusätzliche Kosten von rund 350 Euro im nächsten Jahr (fast 30 Euro im Monat) für einen Standardhaushalt mit einem Verbrauch von etwa 4000 Kilowattstunden.
Meldungen von weiteren Hunderten Energieunternehmen werden bald kommen, in der Regel werden die Preise zum Jahresende erhöht. Für Experten ist klar: Der Trend wird sich fortsetzen.
Schuld ist Corona - aber nicht nur
Wie konnte es so weit kommen? Entscheidend ist ein bislang einmaliger Effekt, der durch die Pandemie hervorgerufen wurde: zuerst die monatelangen Lockdowns weltweit, dann die Lockerungen, die durch üppige Hilfs- und Konjunkturprogramme flankiert wurden. Das trieb Mobilität und Nachfrage nach allen möglichen Gütern schlagartig und fast überall auf der Welt gleichzeitig in die Höhe.
Doch es kam weiteres hinzu. Simon Göß vom renommierten Beratungsunternehmen Energy Brainpool schreibt in seinem Blog von einem „perfekten Sturm“. Also von einem Zusammentreffen vieler verschiedener Faktoren.
Zum Beispiel außergewöhnlich viele laue Lüftchen und weniger steife Brisen in ganz Europa. Die Windstromproduktion ging 2021 deutlich zurück. Um die zugleich steigende Nachfrage nach elektrischer Energie zu decken, mussten mehr Kohle und Erdgas eingesetzt werden, was deren Preise auf Rekordniveau trieb. Ausgerechnet in dieser Situation kündigte die EU-Kommission ihr „Fit für 55″-Programm an. Ein Element soll sein, CO2-Emissionen zu verteuern.
Das Instrument dafür sind Verschmutzungszertifikate, die an Rohstoffbörsen gehandelt werden. Betreiber von Kraftwerken müssen diese Papiere kaufen, um das Klimakillergas in die Luft blasen zu dürfen. Händler nahmen höhere CO2-Notierungen voraus und deckten sich mit den Papieren ein, was deren Preise und damit die für Strom hochschnellen ließ. Zudem verteuerte sich Steinkohle auf Höchstwerte – auch wegen Streiks und Naturkatastrophen in wichtigen Förderländern wie Südafrika oder Kolumbien.
Putins politisches Kalkül
Beim Brennstoff Gas, so Göß, komme zum Tragen, dass es in Europa eine „sehr lange Heizperiode“ bis in den Mai hinein gegeben habe. Fast übergangslos sei dies von einer starken Nutzung von Klimaanlagen in Asien abgelöst worden. Die Befüllung der riesigen Gasspeicher, die für die kalte Jahreszeit auf der Nordhalbkugel benötigt werden, konnte deshalb erst sehr spät einsetzen. Wachsende Nachfrage aus Asien nach verflüssigtem Erdgas (LNG) führte überdies dazu, dass Schiffe mit LNG an Bord nach China oder Japan umgeleitet wurden.
Das alles geschah in einer Phase, da der Bedarf nach Gas sowohl zur Stromerzeugung als auch für die chemische Industrie stieg. Inzwischen kommt der Beginn der Heizperiode hinzu. Und der Streit um die neue Gaspipeline Nord Stream 2.
Der russische Monopolist Gazprom „nahm trotz der hohen Preise in Europa keine über die bestehenden Verträge hinausgehenden Kapazitätsbuchungen an Gaspipelines über die Ukraine und Polen vor“, sagt Brainpool-Experte Göß. Stattdessen gab es Minimallieferungen nach Vorschrift.
Hinter dieser Zurückhaltung steckt politisches Kalkül: Russlands Präsident Wladimir Putin will eine möglichst schnelle finale Genehmigung für Nord Stream 2 erzwingen. Derzeit prüft die zuständige Bundesnetzagentur. Im Zentrum steht Insidern zufolge ein Ärgernis für Putin, das er aushebeln will: die Entflechtungsregeln der EU, die beim Erdgas eine Aufteilung des Netzbetriebes und Vertriebs in verschiedene Unternehmen vorschreibt.
Der Winter wird lang
Lässt sich dieses Knäuel aufdröseln? Kommt die Zertifizierung für Nord Stream 2, könnten die Gaslieferungen laut Putin sofort hochgefahren werden. Auch Equinor, staatlicher norwegischer Gasförderer, will mehr pumpen – das Unternehmen ist nach Gazprom der zweitwichtigste Lieferant in Europa.
Mehr Gas, das könnte theoretisch die Kosten für die Verbraucher sowohl bei der elektrischen Energie als auch beim Heizen drücken. Allerdings kann es einige Monate dauern, bis da etwas durchschlägt.
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Patrick Graichen, Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, sagt denn auch: „Beim Erdgas dürften die Endverbraucherpreise Anfang 2022 noch steigen, insbesondere für die Kundinnen und Kunden von Gasvertrieben, die nicht genügende langlaufende Lieferverträge abgeschlossen haben.“ Warum?
Die eingangs genannten enormen Preissprünge beziehen sich weitgehend auf Energie, die kurzfristig gehandelt wird. Viele Versorger setzen indes auf eine Mischkalkulation und decken sich weitgehend über langfristige Lieferverträge ein, die auch bei Engpässen relativ günstige Preise garantieren. Nur Restkontingente werden kurzfristig dazugekauft. In Bedrängnis gekommen sind aber Versorger, die auf Risiko gespielt haben und jetzt auf die Schnelle Gas und Strom einkaufen müssen.
Alle schauen aufs Wetter
Nun hängt vieles vom Wetter ab. Göß betont: „Sollte ein milder Winter vor der Tür stehen und sollten sich die Füllstände der Gasspeicher dem langjährigen Mittel annähern, ist mit einer Reduktion oder zumindest einer Stabilisierung der Gas- und Strompreise zu rechnen.“ Diese Hoffnungen allerdings dämpfen die Meteorologen. „Wir erwarten kältere Temperaturen als normal in diesem Winter im gesamten Bereich von Nordost-Asien“, sagte Renny Vandewege vom US-Wetterprognosespezialisten DTN dem Finanzdienst Bloomberg. Wettervorhersagen seien entscheidend dafür, wie viel Kapazitäten benötigt werden.
Verantwortlich für die Kälte ist das Wetterphänomen La Niña, das im Pazifik kaltes Wasser nach oben spült. Die niedrigen Temperaturen würden vor allem China und Japan treffen. Aber Energie weltweit weiter verteuern.
Ernüchternde Rekordwerte: Beim Klimaschutz drängt die Zeit
Das Wirtschaftsleben stand im ersten Corona-Jahr zwar wochenlang still, aber den Trend immer dramatischerer Klimaveränderungen hat das nicht aufgehalten.
© Quelle: dpa
Erste Vorzeichen sind erkennbar: Die Internationale Energieagentur (IEA) hat gerade berichtet, dass die steigende Nachfrage nach elektrischer Energie auch auf die Rohölpreise überspringt. Öl werde insbesondere in China vermehrt in Kraftwerken zur Stromproduktion eingesetzt. Die IEA prognostiziert, dass in den nächsten sechs Monaten der Rohölbedarf zusätzlich um etwa 500 000 Fass (159 Liter) pro Tag steigen wird.
Das heißt, die ohnehin von hohen Benzin- und Dieselpreisen gebeutelten Autofahrer müssten mit weiteren Aufschlägen rechnen. Ferner soll der 2021 eingeführte CO-Preis auf Sprit und Gas zum Heizen von 25 Euro pro Tonne auf 30 erhöht werden. Derzeit schlägt er schon mit sieben bis acht Cent pro Liter zu Buche.
Eine Frage der Sozialpolitik
Graichen indes relativiert die Aufregung über die Preise für Öl und Gas. Sie seien vor zehn Jahren schon einmal dort gewesen, wo sie jetzt seien. Und sie würden auch in Zukunft schwanken, „vermutlich sogar mehr als früher“. Denn der Weg zur Klimaneutralität bedeute weniger Investitionen in fossile Energieträger, „und dann kann es immer wieder zu kurzfristigen Lieferengpässen kommen“.
Insofern sei der schnelle Ausbau der Erneuerbaren zentral, er sichere gegen diese Schwankungen ab. Die geplante Erhöhung des CO-Preises jetzt auszusetzen hält er für falsch. Denn dieser werde bei vermutlichen Verbilligungen von Öl und Gas 2023 die Rolle übernehmen, „den Umstieg in Richtung Erneuerbare anzureizen“. Zugleich darf für Graichen der Klimaschutz nicht auf dem Rücken einkommensschwacher Haushalte ausgetragen werden. Klimapolitik müsse von guter Sozialpolitik flankiert werden.
Ähnlich argumentiert Jürgen Trittin, der für die Grünen bei den Ampelkoalitionsverhandlungen für Klima und Energie zuständig ist. Er fordert unter anderem eine Erhöhung des Wohngeldes und des steuerfreien Existenzminimums. Das sei zielgenau und helfe denjenigen, die von steigenden Energiepreisen betroffen seien und das nicht wegstecken könnten.