Wirtschaftswissenschaftler skeptisch: “Die Mehrwertsteuersenkung ist kein geeignetes Instrument”
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/5QY4DV7TNZCTLF3PSNSZNXAOUA.jpg)
IMK-Direktor Sebastian Dullien fürchtet, dass die Mehrwertsteuersenkung nicht beim Verbraucher ankommt.
© Quelle: dpa
Sebastian Dullien, Jahrgang 1975, ist seit April 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung und seit 2007 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Nach seinem Studium in Bochum, Berlin und Paris arbeitete er mehrere Jahre als Redakteur bei der Financial Times Deutschland. Seine Promotion schrieb er an der Freien Universität Berlin zur Geldpolitik in der Europäischen Währungsunion.
Herr Dullien, Konjunkturpakete sind gut, wenn mit dem eingesetzten Geld eine möglichst hohe Wirkung erzielt wird. Ist dieses Kriterium erfüllt?
Bei Investitionsmitteln beispielsweise für mehr Kinderbetreuung oder den Ausbau der Wasserstoffindustrie stimmt das Verhältnis. Es wird positive Angebotseffekte sowie positive Renditeerwartungen bei Unternehmen geben. Und es wird positive Nachfrageeffekte geben, wenn die von der Koalition geplanten Mittel tatsächlich eingesetzt werden. Auch den Kinderbonus begrüße ich. Die Eltern werden das Geld vom Staat sehr wahrscheinlich ausgeben. Bei anderen Teilen des Konjunkturpakets bin ich skeptisch.
Welche Elemente meinen Sie?
Wenn die Mehrwertsteuersenkung, wie CSU-Chef Markus Söder betont, tatsächlich das Herzstück sein soll, dann muss man sich Sorgen machen und Angst haben, dass das Paket in sich zusammenfällt. Wir haben eine nur sechs Monate währende Senkung. Es ist überhaupt nicht klar, ob die Unternehmen die Senkung überhaupt weitergeben, zumal es im Einzelhandel vielfach Schwellenpreise gibt: Was vorher 99 Euro kostete, wird man nun nicht für 97,50 Euro verkaufen. Die Senkung kann wirken bei Handwerkerleistungen, weil da die Preise zunächst netto verhandelt werden und nachträglich dann die Mehrwertsteuer draufgeschlagen wird.
Werden auch Autos jetzt billiger?
Da ist das Problem, dass die teuren Autos und übrigens insgesamt zwei Drittel aller verkauften Neuwagen gewerblich zugelassen werden, da kommt die Mehrwertsteuer gar nicht zum Tragen. Bei privat gekauften Pkw macht das bei einem Preis von 30.000 Euro gerade einmal 900 Euro aus, das ist viel weniger als etwa bei der Abwrackprämie vor zehn Jahren. Die Wirkung wird deshalb sehr begrenzt sein.
Wäre eine stärkere Mehrwertsteuersenkung besser gewesen oder hätte die Koalition die Sache ganz anders anpacken müssen?
Eine Mehrwertsteuersenkung ist eines der am wenigsten geeigneten Instrumente, um gegenwärtig die Konjunktur anzukurbeln. Besser wäre gewesen, den Kinderbonus von 300 Euro deutlich höher zu ziehen. Das wäre Familien unmittelbar zugute gekommen, und man wäre nicht darauf angewiesen, auf eine günstige Preisgestaltung von Unternehmen zu hoffen.
Sie hatten sich für mehr Klimaschutz durch ein Konjunkturpaket ausgesprochen. Ist die Koalition da auch zu kurz gesprungen?
Beim Klimaschutz bin ich positiv von der Vielzahl der geplanten Maßnahmen überrascht. Das ist ein relevantes Element, das die Transformation in der Wirtschaft voranbringt.
Aber etwa die Senkung der EEG-Umlage, die Stromkunden bezahlen, soll erst im nächsten Jahr wirksam werden. Kommt das nicht zu spät?
Ich sehe generell ganz klar die Gefahr, dass Maßnahmen zu spät kommen könnten. Das Konjunkturprogramm von 2009 zeichnete sich durch eine gute Mischung von sofort wirksamen und mit Verzögerung wirksamen Maßnahmen aus. Die Abwrackprämie wirkte sofort und generierte etwa 25 Milliarden Euro an Nachfrage. Grundsätzlich ist es gut, Projekte, die geplant sind, vorzuziehen – wie der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Dadurch entstehen Impulse. Aber der kurzfristige Impuls ist beim aktuellen Paket extrem schwach ausgeprägt. Die Koalition hat sich zu stark auf das nur wenig wirksame Instrument der Mehrwertsteuersenkung eingeschossen.
Ein großer Posten ist die Entlastung von Kommunen. Wird damit die Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden gewährleistet?
Aus meiner Sicht gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Vor der Krise waren viele Kommunen wieder handlungsfähig. Das droht jetzt verloren zu gehen. Den Kommunen wird ein Teil der Belastung abgenommen, aber bei weitem nicht genug. So bleiben sie auf den Kosten, die sich durch das Infektionsschutzgesetz ergeben, sitzen. Es wird zudem weitere Ausfälle bei der Gewerbesteuer geben, etwa wegen der stärkeren Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen. Das wird die Investitionstätigkeit der Kommunen bremsen. Es ist überdies sehr bedauerlich, dass sich die Koalition nicht dazu durchringen kann, das Altschulden-Problem anzugehen.
Reichen die zahlreichen Hilfsprogramme auf verschiedenen Ebenen nun, um die Krise zu überwinden?
Für den Bundeshaushalt 2021 müssen wir noch über einige Dinge reden, die bis zum nächsten Jahr auflaufen. Die Konsumschwäche, die durch Einkommensausfälle wegen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit kommen wird, wird spürbar werden. Das kann mit dem Konjunkturpaket nicht aufgefangen werden. Deshalb muss auch geklärt werden, wie es mit der Kurzarbeitsregelung weitergeht. Der zweite Punkt: Wie gehen wir mit arbeitslosen Jugendlichen um, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben? Und: Wie gehen wir mit Arbeitslosen um, die keinen neuen Job finden und in Arbeitslosengeld II abzurutschen drohen? Das müssen wir in den nächsten Monaten mit großer Intensität angehen.