Wirtschaftsweise Grimm: Wenn die Regierung nicht handelt, scheitert der Kohleausstieg 2030
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In Jänschwalde wird noch Kohle verstromt – und das könnte länger so bleiben als gewünscht.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Für das Klima ist kein Energieträger so schädlich wie Kohle – weshalb SPD, Grüne und FDP 2030 „idealerweise“ aus der Verstromung des fossilen Brennstoffs aussteigen wollen, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Doch seit dem russischen Angriff auf die Ukraine seien die Voraussetzungen alles andere als ideal, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm. Ihr zufolge braucht es nun womöglich die politischen Entscheidungen, die die Bundesregierung bislang umgehen konnte.
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Denn schon der Kohlekompromiss war mühsam errungen: Über Jahre stritten Industrie, Gewerkschaften, Klimabewegung und Politik über den Ausstieg, schlussendlich landete das Jahr 2038 als Enddatum im Gesetz. Zu spät sei das, monierten damals Kritiker. Und tatsächlich sorgten steigende Preise für CO₂‑Zertifikate dafür, dass Kohle im Vergleich zu anderen Energieträgern immer unwirtschaftlicher wurde. Zahlreiche Studien prognostizierten deshalb ein nahezu vollständiges Ende der Kohleverstromung 2030 ohne weitere politische Eingriffe – mit Sicherheit auch zur Freude der Ampelkoalition.
Der Markt regelt den Kohleausstieg doch nicht
„Ein marktgetriebener Kohleausstieg 2030 ist definitiv nicht zu erwarten“, sagt nun aber Grimm. Mit Kolleginnen und Kollegen von der Universität Nürnberg-Erlangen hat die Wirtschaftsweise durchgerechnet, wie sich die infolge des russischen Angriffskriegs gestiegenen Gaspreise auf die Energiewende auswirken. Sofern politisch nicht anders entschieden wird, dürften Kohlekraftwerke bis 2038 eine signifikante Rolle im deutschen Stromsystem spielen, heißt es in der Studie.
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Passiert das, sind sowohl die deutschen als auch die europäischen Klimaziele kaum zu halten. Denn wegen der höheren Preise wird genau der Energieträger unwirtschaftlicher, den sowohl Fachleute wie Grimm als auch die aktuelle Bundesregierung für die Energiewende nutzen wollten: Gaskraftwerke können schnell an- und abgeschaltet werden, eignen sich deshalb als Ergänzung zu Solar- und Windkraftwerken. Zugleich wird bei der Gasverstromung weniger CO₂ ausgestoßen – und die Gasinfrastruktur könnte mit grün erzeugtem Wasserstoff in Zukunft auch emissionsfrei genutzt werden.
Gewerkschaft kritisiert „praxisferne“ Studie
Doch der Studie zufolge bleibt Gas langfristig teuer, nicht zuletzt, weil verlässlichere, aber wohl teurere Lieferanten als Russland benötigt werden. Einst wurde meist mit 15 Euro pro Megawattstunde gerechnet, nun kalkuliert Grimms Team mit 40 bis 65 Euro im Jahr 2030. Dadurch werde Gas nicht völlig unwirtschaftlich, verliere aber seinen Kostenvorteil gegenüber Kohle, meint Grimm. Die Bundesregierung müsse deshalb den Energieversorgern per Beschluss eindeutige Rahmenbedingungen vorgeben, „sonst wird kein Gaskraftwerk gebaut und die Infrastruktur für Wasserstoff würde auch nicht entstehen“.
Einfach wird das nicht, wie die Reaktion der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) erahnen lässt: Die Studie reihe sich in eine Riege praxisferner Arbeiten zu Energiefragen in jüngerer Vergangenheit ein, sagte Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Nach den Gasembargo-Forderungen im Frühjahr solle ausgerechnet jetzt, wo die Zukunft der Energieversorgung unklarer denn je sei, der Kohleausstieg unwiederbringlich vorgezogen werden. „Das ist nicht zu verantworten“, kritisierte Vassiliadis, der maßgeblich am einstigen Kohlekompromiss beteiligt war.
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Stattdessen müssten zunächst offene Fragen des Ausbaus der Erneuerbaren und Netze, der Gasversorgung und der Energiepreise gelöst werden, sagte Vassiliadis weiter. „Davon sind wir heute Lichtjahre entfernt“, so der Gewerkschaftschef.
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