Warum waren die Speicher fast leer?

Wie Russland sich auf den Wirtschaftskrieg vorbereitete – und Deutschland es übersah

Hat den Wirtschaftskrieg wohl lange vor dem Angriff auf die Ukraine vorbereitet: Russlands Präsident Putin.

Hat den Wirtschaftskrieg wohl lange vor dem Angriff auf die Ukraine vorbereitet: Russlands Präsident Putin.

Im Dezember 2021, so schilderte es jüngst die „Süddeutsche Zeitung“, schrillten im Kanzleramt die Alarmsirenen: Die russische Führung zog an der ukrainischen Grenze immer mehr Truppen zusammen – und der Bundesregierung dämmerte, dass im Kriegsfall auch die Gasversorgung Deutschlands auf der Kippe stehen könnte. Rückblickend meinen Fachleute, dass Russland genau dieses Szenario vorbereitet hatte – um ein Druckmittel in der Hand zu haben.

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Dabei ist klar, dass Deutschland seit knapp einem Jahr „Wirtschaftskriegspartei“ ist, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) es Ende März 2022 formulierte. Weniger klar ist, wie es dazu kam: Sowohl Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht als auch zahlreiche AfD-Politiker machen die Bundesregierung verantwortlich. Zugleich drohten auch russische Politiker und Propagandisten seit dem 24. Februar 2022 immer wieder, die europäische Unterstützung für die Ukraine unter anderem mit einem Gaslieferstopp zu vergelten.

Dass Deutschland über die Jahre in eine fatale Abhängigkeit insbesondere von – freilich sehr günstigem – russischem Gas geraten ist, ist zugleich bekannt: 2021 bezog die Bundesrepublik 55 Prozent des Verbrauchs aus Russland, immer mehr Pipelines brachten über die Jahre immer mehr Erdgas hierher – während dem russischen Staatsunternehmen Gazprom erlaubt wurde, hierzulande große Gasspeicher unter seine Kontrolle zu bringen.

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Wirtschaftsweise Grimm: Energie als Waffe eingesetzt

Weniger bekannt ist, wie die russische Führung womöglich schon eine Weile vor dem 24. Februar 2022 die Grundlage für das gelegt hat, was seitdem als Wirtschaftskrieg firmiert. Das RND hat dazu mit verschiedenen Fachleuten gesprochen, auf den Punkt bringt es die Wirtschaftsweise Veronika Grimm: „Russland dürfte den Einsatz von Energie als Waffe schon länger vorbereitet haben“, sagt die Energiemarktspezialistin – und verweist unter anderem auf die schon im Herbst 2021 gesunkenen Liefermengen.

„Die Vorbereitungen begannen mindestens ein Dreivierteljahr vor der Invasion“, meint auch der Energieexperte Lion Hirth von der Berliner Hertie School. Auch er betont, dass schon im Herbst 2021 die Gaslieferungen gesunken seien. Gazprom habe ab Oktober nur noch langfristig geschlossene Verträge erfüllt: „Ökonomisch ergab das überhaupt keinen Sinn, die Preise waren damals bereits exorbitant hoch, sodass Lieferanten eigentlich einen Anreiz hatten, möglichst viel zu verkaufen“, meint Hirth.

Was war bei den Gasspeichern los?

Und auch die „selektive Pipeline-Nutzung“ gibt Hirth rückblickend zu denken: Nord Stream 1 sei im Herbst 2021 unter Volllast gelaufen, durch die Ukraine und Polen sei hingegen „fast nichts mehr“ gekommen. „Ich erkläre mir das damit, dass West- und Osteuropäer so gespalten werden sollten“, so Hirth.

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Am schwersten wiegen ihm zufolge allerdings die Füllstände der Gasspeicher in der Hand von Gazprom: Anders als sonst habe der russische Staatskonzern nicht Ende März mit der Einspeicherung in Deutschland begonnen. „Stattdessen wurden die Speicher bis zur 30. Kalenderwoche immer leerer – und wurden dann nur sehr zögerlich aufgefüllt“, schildert Hirth. Während andere Betreiber sich ausreichend bevorrateten, seien die Speicher von Gazprom im Herbst 2021 nur zu 25 Prozent befüllt gewesen.

Es deutet alles darauf hin, dass wir uns zu sehr in Sicherheit gewiegt haben. Aus den Ereignissen müssen wir dringend unsere Lehren ziehen

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise

Gasspeicher waren gefährlich leer

Das schlug sich deutlich in der Gesamtbilanz der deutschen Speicher nieder, wie aus Daten der Betreiber hervorgeht. Die zeigen, dass die Füllstände seit April 2021 deutlich langsamer als sonst stiegen. In den Vorjahren erreichten sie stets mehr als 92 Prozent, bevor sich die Speicher mit Beginn der Heizsaison wieder leerten. Im Herbst 2021 waren es nur 72 Prozent, die – wie im Winter üblich – weiter fielen, um am Tag des Angriffs auf die Ukraine bei 32 Prozent zu stehen.

Entlang von Zahlen der Bundesnetzagentur war das das Niveau, das gerade so bis zum Ende der Heizperiode ausgereicht hätte – keine unangenehmen Überraschungen bei der Witterung vorausgesetzt. „Mit vollen Speichern wäre ein Lieferstopp am 24. Februar bis zum darauffolgenden Winter wahrscheinlich kein Problem gewesen. In der Realität waren die Füllstände gefährlich niedrig“, sagt denn auch Hirth – der außerdem betont, dass Deutschland im Winter 2021/2022 Glück mit dem Wetter hatte.

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All das waren Entwicklungen, die Fachleuten durchaus nicht verborgen blieben. Doch aus Moskau kamen 2021 immer wieder plausibel anmutende Erklärungen: Mal sprach Gazprom vom russischen kalten Winter, wegen dem Liefermengen reduziert worden seien. Im Juli verknüpfte der Konzern ausbleibende Lieferungen mit den Verzögerungen wegen des Streits um die Nord-Stream-2-Pipeline. Den versuchte das Bundeskanzleramt noch im Herbst zu Russlands Gunsten zu beenden. Als dann weiter Lieferungen ausblieben, betonte Wladimir Putin selbst, dass es ihm ja vor allem um eine Wiederaufnahme der seit 2018 reduzierten langfristigen Lieferverträge gehe.

Auch Fachleute ärgern sich rückblickend

Zu dem Zeitpunkt, das ist mittlerweile klar, marschierten schon russische Truppen nahe der Ukraine auf. Und womöglich hätten die Alarmsirenen in der von der Pandemie durchgerüttelten und mit dem Regierungswechsel beschäftigten Bundesrepublik schrillen müssen. „Das war damals nicht offensichtlich, aber rückblickend ergibt alles Sinn“, sagt aber auch Fachmann Hirth – und ärgert sich, dass auch er selber zu dem Zeitpunkt noch verschiedenste Erklärungen für die Turbulenzen am Gasmarkt für plausibel hielt.

ARCHIV - 25.02.2021, Berlin: Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), blickt am Rande eines Interviews mit einem Journalisten der Deutschen Presse-Agentur in die Kamera des Fotografen. (zu dpa "BND-Chef fordert: Unsere Warnungen nicht mehr als «Panikmache» abtun") Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Nachrichtendienstchef: „Es ist ein sehr grausamer, brutaler Abnutzungskrieg“

Der Chef des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl spricht im RND-Exklusivinterview über die Erkenntnisse des BND zu Putins Plänen und über die Spionagegefahr aus China. Kahl schildert auch, warum er am Tag des russischen Überfalls in Kiew war und wie er aus der Stadt entkommen ist.

Wie ihm ging es damals zahlreichen Fachleuten, kaum eine Veröffentlichung hielt russische Vorbereitungen auf einen Wirtschaftskrieg für wahrscheinlich. „Es deutet alles darauf hin, dass wir uns zu sehr in Sicherheit gewiegt haben. Aus den Ereignissen müssen wir dringend unsere Lehren ziehen“, sagt Topökonomin Grimm.

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Grimm warnt vor neuen Abhängigkeiten

Sie warnt zugleich vor weiteren Abhängigkeiten, insbesondere bei der Energiewende: Kritische Rohstoffe und Solarpanels kämen überwiegend aus China, auch bei Wasserstoff und erneuerbaren Energieträgern könnte Deutschland künftig zu sehr auf einzelne Lieferanten angewiesen sein. „Es muss daher dringend darauf geachtet werden, bestehende Abhängigkeiten abzubauen und keine neuen Abhängigkeiten entstehen zu lassen“, meint Grimm.

Allein auf unternehmerische Entscheidungen will sie sich dabei nicht verlassen, stattdessen müssten die EU und die Mitgliedsstaaten lenkend eingreifen. „Dies muss angesichts der veränderten geopolitischen Lage schnell geschehen“, betont Grimm außerdem.

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