Wie funktioniert eigentlich ein Konjunkturpaket?
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Die große Koalition trifft sich im Bundeskanzleramt, um über eine Konjunkturpaket zu diskutieren.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Die Bundesrepublik plant ein gigantisches Konjunkturpaket, am Dienstag konnte sich die große Koalition allerdings nicht darauf einigen, wie der Wirtschaft konkret unter die Arme gegriffen werden soll. Eines steht fest: Die Wirtschaftsleistung in Deutschland ist eingebrochen. Zugleich wanken wichtige Handelspartner wie die USA, was die deutsche Wirtschaft auch künftig massiv belasten könnte.
Ein Konjunkturpaket soll Abhilfe schaffen. Doch wie genau funktioniert das eigentlich? Darüber streiten Ökonomen schon lange. Denn wenn der Staat Milliarden in die Hand nimmt, kann allerlei schiefgehen. Ein Überblick über den Stand der Wissenschaft.
Was ist ein Konjunkturpaket?
„Konjunkturpaket” ist eine Wortschöpfung der Politik, die ihre Konjunkturprogramme während der Finanzkrise 2008/2009 so getauft hat. Grundsätzlich zielen solche Programme darauf ab, das Wirtschaftswachstum zu fördern, wenn aufgrund unerwarteter Krisen die Wirtschaft schwächelt und die Arbeitslosigkeit steigt. Die Idee dahinter ist, dass staatliche Ausgaben in solchen Situationen die Probleme abfedern können, bis die Wirtschaft sich wieder erholt hat.
Wie funktionieren Konjunkturprogramme genau?
Im Prinzip gibt es zwei Arten von Konjunkturprogrammen: Bei direkten Hilfen überweist der Staat den Unternehmen Geld oder trägt einen Teil ihrer Kosten, so wie es bei Kurzarbeit der Fall ist. Ähnlich wirkt es, wenn Steuern oder Sozialabgaben gesenkt werden. Der Vorteil daran: Die Unternehmen können langfristig günstiger produzieren, die sogenannte Angebotsseite wird entlastet. Alternativ kann der Staat die Nachfrage nach Waren anschieben. Das geschieht entweder, indem der private Konsum mithilfe von Kaufprämien oder Steuersenkungen für Privatpersonen befeuert wird. Oder, indem der Staat selber Geld - etwa für die Sanierung von Schulen - ausgibt. In beiden Fällen steigt die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, die Absätze von Unternehmen steigen.
Welche Risiken gibt es bei Konjunkturprogrammen?
Alle genannten Konjunkturprogramme bergen Risiken. Stützt der Staat die Unternehmen, könnten Betriebe und Konzerne profitieren, die eigentlich keine Hilfe brauchen. Auch droht eine Verzerrung des Wettbewerbs. Werden Steuern für Bürger gesenkt, sei nicht gesetzt, dass das Geld auch ausgegeben wird. Schließlich könne das auch auf dem Sparbuch landen, sagt der Göttinger Ökonom Kilian Bizer. Bei öffentlichen Investitionsprogrammen wie Schulsanierungen gebe es außerdem recht aufwendige Planungs- und Entscheidungsprozesse. Deshalb kämen die zusätzlichen Gelder möglicherweise zu spät bei den Unternehmen an.
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Die große Koalition will erst am Mittwoch über ein milliardenschweres Konjunkturpaket zur Wiederankurbelung der Wirtschaft nach der Viruskrise entscheiden.
© Quelle: Reuters
Auf was sollte der Staat achten?
„Timely, targeted and temporary” sei der allgemeine Grundsatz, erklärt Bizer. Übersetzt heißt das: Konjunkturprogramme müssen zeitnah kommen, zielgenau und zeitlich befristet sein. Zeitnah sei wichtig, weil sich eine Krise im Laufe der Zeit verfestigen kann. „Statt einer kurzen Rezession hat man es dann mit einer ausgewachsenen Depression zu tun”, sagt Bizer. Zielgenau sollten Hilfen sein, weil sonst Geld verschwendet wird. Und wenn der Staat zu spät oder gar nicht aus Konjunkturprogrammen aussteigt, riskiert er, dauerhaft Geschäftsmodelle am Leben zu halten, die eigentlich keine Zukunft haben. Das würde Investitionen in neue Konzepte bremsen, was langfristig kontraproduktiv für eine Volkswirtschaft wäre.
Wieso gibt es ständig Streit über Konjunkturprogramme?
Grundsätzlich obliegt die Entscheidung über ein Konjunkturpaket der gewählten Regierung, die dabei zahlreichen Interessengruppen gerecht werden muss. Zugleich lässt sich die Politik - besonders seit Ausbruch der Corona-Krise - von zahlreichen Ökonomen beraten, um die Maßnahmen zu überprüfen. Die Fachleute haben es nicht einfach, sagt Bizer: Krisen ereignen sich vergleichsweise schnell, im Regelfall sei deshalb die Datenlage diffus. Zugleich gilt für die Ökonomie, was für jede Wissenschaft gilt: Im Regelfall gewichten die Experten einzelne Details unterschiedlich - was dann zu unterschiedlichen Meinungen führt.
Was ist mit den Kosten?
Für Konjunkturprogramme werden meist neue Schulden aufgenommen, in der Hoffnung, dass sich die Ausgaben langfristig selbst finanzieren. Denn durch den Schub für die Wirtschaft steigen die Steuereinnahmen, zugleich sinken die Ausgaben etwa für die Unterstützung von Arbeitslosen. Oft wird ein staatlich ausgegebener Euro mehrfach wirksam: Beauftragt der Staat einen Handwerker mit der Sanierung einer Schule, hat dieser mehr Geld. Das gibt er aus, wenn er beispielsweise öfter in ein Restaurant geht - wovon wiederum Gastronomen und Kellner profitieren. Und die wiederum könnten häufiger oder teurer einkaufen gehen, was den Einzelhandel freut. Dieser sogenannte Multiplikatoreffekt ist schwer zu beziffern, was die Bereitstellung von Konjunkturprogrammen zusätzlich erschwert.
Droht eine Überschuldung des Staates?
„Es gibt keine wissenschaftlich begründbare harte Grenze für Überschuldung, das obliegt den Märkten”, sagt Bizer. Denn die Zinsen, die ein Staat auf seine Schulden zahlen muss, hängen letztendlich davon ab, wie viele Anleger gerade gern in Staatsanleihen investieren wollen - und, für wie riskant sie die Anleihe eines Landes halten. Deutschland ist dabei gerade in einer doppelt komfortablen Situation: Einerseits gelten die Finanzen der Bundesrepublik als ausgesprochen solide, andererseits suchen momentan sehr, sehr viele Akteure auf den Kapitalmärkten nach sicheren Anlagemöglichkeiten.
Welche Rolle spielen Klimaschutz und Co?
Abseits des Hauptziels, die Wirtschaft zu stabilisieren, ist es denkbar, dass Konjunkturprogramme weiteren Zielen der Politik dienen. Statt veraltete Industrien zu erhalten, könnte man Programme auch so ausrichten, dass sie Unternehmen auf zukünftige Herausforderungen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung vorbereiten, meint Bizer. Die akademische Diskussion darüber sei zwar noch recht jung, aber mit dem Schlagwort „transformativ” würde dann ein weiterer Grundsatz hinzukommen.