„Ich nenne das Healthwashing“: Krankenkassen unterstützen Werbeverbot für mehr Kindergesundheit
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Essen Kinder durch Werbung mehr Süßigkeiten? Wirtschafts- und Gesundheitsverbände sind sich uneinig.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
Bald sollen Kinder keine Werbung mehr für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett oder Salz sehen – das sieht ein neuer Gesetzentwurf von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vor. Im Fernsehen soll zwischen 6 und 23 Uhr keine Werbung mehr für solche Lebensmittel laufen. In Radio, Printmedien und sozialen Netzwerken soll außerdem keine Werbung für Ungesundes mehr zu sehen sein, die sich an Kinder richtet.
Für seinen Vorstoß hat Özdemir nun Rückenwind von Krankenkassen und Verbänden erhalten. Bei einem Pressetermin am Donnerstag sagte Carola Reimann, die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes: „Freiwillige Selbstverpflichtungen bringen nichts. Viele Unternehmen haben ihre Versprechen nicht eingehalten. Sie kennen ja den Begriff Greenwashing, ich nenne das Healthwashing!“
Kindermediziner: „Werbung trägt zu Adipositas bei“
Der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit, Berthold Koletzko, verwies auf wissenschaftliche Studien, denen zufolge Werbung zu einer erhöhten Kalorienzufuhr und mehr Adipositas bei Kindern und Jugendlichen beitrage. Zudem könnten Kinder unter vier Jahren nicht zwischen Programm und Werbung unterscheiden und Kinder bis acht Jahre den anpreisenden Charakter von Werbung noch nicht verstehen. Koletzko verwies zudem darauf, dass Kinder aus ökonomisch benachteiligten Familien viermal häufiger von Adipositas betroffen sind als Kinder aus Familien mit hohem Einkommen und Bildungsgrad. „Das ist ein beschämender Missstand, den wir angehen müssen“, so der Mediziner.
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Bei der Bundespressekonferenz zum Thema Kinderschutz in der Werbung für Lebensmittel: Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann (von rechts), Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Ramona Pop, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit und der DGKJ-Ernährungskommission, Berthold Koletzko, Politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, Oliver Huizinga, und Sprecherin von Bündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten DANK, Barbara Bitzer.
© Quelle: IMAGO/photothek
„Wir appellieren an die Koalitionspartner, die gut durchdachten Pläne des Ministers zu unterstützen“, sagt Barbara Blitzer, die Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch unterstützt das Vorhaben ebenfalls und sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Wir wollen Kinder besser vor Werbung schützen, damit ungesunde Lebensweisen gar nicht erst normalisiert werden.“
FDP und Industrie üben Kritik am Werbeverbot
Die dritte Ampelpartei, die FDP, ist jedoch skeptisch. „Statt undifferenzierter Verbote müssen wir die Kernprobleme von Übergewicht in der Gesellschaft, besonders bei Kindern, genauestens in den Blick nehmen“, sagte Carina Konrad, die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, dem RND. Es sei wichtiger, Medienkompetenz zu vermitteln und Kindersendungen anhand von Zuschauerquoten zu definieren, anstatt Werbung zu pauschalen Uhrzeiten zu untersagen. „Lebensmittel anhand der nicht praxistauglichen WHO-Kriterien in gesund oder ungesund einzuteilen ist in der Koalition nicht vereinbart“, so Konrad.
Kritik an dem Vorstoß kommt auch aus der Industrie. Eine Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie nannte den Vorschlag „nicht verhältnismäßig“. Sie sagte weiter: „Es existieren keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Werbeverboten auf die Entwicklung von kindlichem Übergewicht.“ Laut dem Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft könne Werbung erwiesenermaßen nicht das Ernährungsverhalten von Kindern ungünstig in Richtung Übergewicht beherrschen, sondern lediglich Marktanteile von Unternehmen beeinflussen.
Özdemir sieht breite Unterstützung hinter sich
Oliver Huizinga, Politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, reagiert am Donnerstag darauf und sagte: „Die Werbeindustrie bedient sich hier an der Argumentation der Tabakindustrie. Damals hat man auch behauptet, es würde durch ein Werbeverbot nicht weniger geraucht werden. Das hat sich nicht bewahrheitet.“
Özdemir hatte kürzlich gegenüber dem RND darauf verwiesen, dass er eine breite Unterstützung für seinen Vorstoß habe. „Wir haben die Rückendeckung eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses von Wissenschaft und Ärztinnen und Ärzten über Krankenkassen bis hin zu Elternvertretungen, die nachdrücklich eine umfassende Regulierung fordern. Eine große Mehrheit der Bevölkerung befürwortet unsere Pläne“, sagte er dem RND. Seinen Plänen müssen allerdings noch SPD und FDP zustimmen.