Es gibt viel zu tun, um Schlimmeres zu verhindern
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Container werden an einem Container Terminal des Mainzer Hafens bewegt. Die Weltwirtschaft wird in diesem Jahr vor allem wegen des Kriegs in der Ukraine deutlich langsamer wachsen.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Frankfurt am Main. „Innerhalb weniger Wochen hat die Welt einen weiteren transformativen Schock erlebt“. Das schreibt Piere-Olivier Gourinchas, der neue Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), im aktuellen Prognosebericht seiner Organisation. Eine lange Liste von Maßnahmen sei nun nötig, um Schlimmeres zu verhindern.
Der IWF hat seine Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung deutlich nach unten korrigiert. Mit dem Schock ist der Ukraine-Krieg gemeint. Gourinchas und seine Leute erwarten jetzt noch ein globales Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent für 2022. Noch im Januar waren es 4,4 Prozent gewesen. Unter den wichtigsten Volkswirtschaften der Euro-Zone werde es Deutschland am heftigsten treffen: Der IWF sieht eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um lediglich 2,1 Prozent für dieses und ein Plus von 2,7 Prozent für das nächste Jahr. Begründung: Deutschland habe ebenso wie Italien einen relativ starken Industriesektor, der stark von russischen Energieimporten abhängig sei, heißt es im „World Economic Outlook“ (WEO), der am Dienstag vorgestellt wurde.
Krieg gegen die Ukraine: Autohersteller Stellantis stellt Betrieb in Russland ein
Der Autohersteller Stellantis, der in Russland die Marken Peugeot, Citroёn, Opel, Jeep und Fiat produziert und verkauft, stellt die dortige Produktion ein.
© Quelle: Reuters
Betroffen ist in erster Linie die Chemieindustrie, die Öl und Gas als Brennstoff und Rohstoff für Tausende von Vorprodukten benötigt, die wiederum in anderen Sektoren weiterverarbeitet werden. Insbesondere in der Automobilindustrie. Der Krieg hat dazu geführt, dass die ohnehin schon hohen Preise noch einmal einen massiven Sprung nach oben gemacht haben. Erdgas zur Lieferung im Mai kostete am Dienstag an der Börse mit 93 Euro pro Megawattstunde fünfmal mehr als vor einem Jahr. Brentöl hat sich binnen zwölf Monaten um 60 Prozent verteuert.
Inflation wird zum zentralen Problem
Gourinchas schreibt im „WEO“, die Folgen des Ukraine-Krieges breiteten sich wie die seismischen Wellen eines Erdbebens aus. Die Preisschocks für Energie und Getreide oder Pflanzenöl machten weltweit vor allem Haushalten mit geringen Einkommen zu schaffen. Zugleich drohten durch die Kämpfe Lieferketten zu zerreißen, was Produktionsunterbrechungen bringen könnte, die sich kaskadenartig von einem Land ins nächste fortsetzen könnten.
Solche Mechanismen würden die Preise auf breiter weiter in die Höhe treiben. Deshalb gehen die IWF-Experten nun von einer hohen globalen Inflation aus, die „erheblich länger“ anhalten werde, als zuvor taxiert. Die Teuerung wiederum zwinge die Notenbanken dazu, die Geldpolitik weiter zu straffen und Zinsen zu erhöhen.
Dadurch schrumpft die Handlungsfähigkeit vieler Regierungen – vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern, die von Energie- und Nahrungsmitteleinfuhren abhängig sind. Hinzu komme, dass auch Kredite für private Haushalte und Unternehmen teurer würden. Und deren Verschuldung habe sich vielfach ohnehin durch die Pandemie schon deutlich erhöht. Deshalb die dringende Forderung, die Finanzen angeschlagener Volkswirtschaften durch konzertierte Aktionen zu stützen.
Das sind aus Gourinchas‘ Sicht aber bei Weitem nicht die einzigen Herausforderungen. So müssten zielgerichtete staatliche Hilfen für Millionen von Kriegsflüchtlingen organisiert werden. Durch den Krieg würden zudem die internationalen Austauschbeziehungen neu sortiert, was hohe Anpassungskosten bringe: Unternehmen müssen neue Lieferanten suchen. Vielfach dürften Roh- und Grundstoffe teurer werden, denn Russland war vielfach ein Billiganbieter, auch für zahlreiche Metalle wie Stahl oder Nickel.
Und dann auch noch die nicht überwundene Pandemie. Covid sei immer noch präsent. Die starke Verbreitung des Virus „könnte das Auftreten einer tödlicheren Variante“ bringen, was neue Lockdowns und Produktionsunterbrechungen nach sich ziehe.
Erneuerbare sollen auch vor Preisschocks bewahren
Der IWF-Chefvolkswirt richtet bei all dem ferner einem eindringlichen Appell an die Regierungen, den Klimaschutz nicht zu vergessen: „Es ist ein Imperativ, die Lücke zwischen den Ankündigungen und den konkreten politischen Schritten zu schließen“, so Gourinchas. Dazu brauche es ein internationales System zur Bepreisung von Treibhausgas-Emissionen und verstärkte Investitionen in erneuerbare Energien. Nur so könnten einerseits die Risiken von katastrophalen Wetterereignissen reduziert und anderseits viele Volkswirtschaften vor künftigen Preisschocks bei fossilen Energieträgern geschützt werden. Ansonsten drohten weitere Inflationsspiralen. Ein Faktor, der aus Sicht des IWF die Gefahr von sozialen Unruhen erheblich steigen lässt.
Auch hierzulande nimmt die Diskussion um die Teuerung zunehmend Fahrt auf. So hält der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, Lohnanpassungen als Ausgleich für die stark gestiegenen Preise für „absolut notwendig“. Das sei wichtig, „damit der Konsum weiterhin aufrechterhalten werden kann“, erklärte Fratzscher am Dienstag im Deutschlandfunk.
„Der Wunsch der Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer nach höheren Löhnen ist angesichts der allgemeinen Preisentwicklung mehr als verständlich“, sagte Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er betont: „Eine jedoch nicht durch Produktivitätssteigerungen gedeckte Lohnerhöhung würde die betroffenen Branchen und damit den dort Beschäftigten letztlich mehr schaden als nützen.“ Zu hohe Abschlüsse würden die Unternehmen dazu veranlassen, ihre Preise anzuheben, was zu Lohnnachforderungen und am Ende zu weiteren Preiserhöhungen führen könnte. „So setzt sich eine Spirale zwischen höheren Löhnen und höheren Preisen immer weiter fort“, sagte Völz zum Start der diesjährigen Lohnrunde.