Dieselprozess gestartet: Winterkorn ist nicht da, aber allgegenwärtig

Das Landgericht hat die Braunschweiger Stadthalle für den Prozess gebucht.

Das Landgericht hat die Braunschweiger Stadthalle für den Prozess gebucht.

Braunschweig. Die Hauptfigur ist nicht da, aber allgegenwärtig, als vor dem Braunschweiger Landgericht der Strafprozess um den Dieselskandal beginnt. Immer wieder fällt der Name Winterkorn, während Oberstaatsanwältin Elke Hoppenworth die Anklageschrift verliest.

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Doch das Verfahren gegen den früheren VW-Chef soll wegen dessen gesundheitlicher Probleme später geführt werden. Vorerst hat die Anklägerin vier seiner früheren Untergebenen im Blick. Bis ins Jahr 2023 hinein sind mehr als 100 Verhandlungstage geplant.

Spärlich besetzte Stadthalle

Deren Anwälte sind über Martin Winterkorns Abwesenheit genauso erbost wie die Staatsanwaltschaft. „Sich der Verantwortung für das eigene Handeln zu stellen sieht anders aus“, wird ein Verteidiger später sagen. Jeder Angeklagte sitzt mit mehreren Rechtsbeiständen im großen Saal der Braunschweiger Stadthalle – vor spärlich besetzten Rängen, denn Winterkorn ist ja nicht zu sehen.

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Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde gegen die Abtrennung seines Verfahrens eingelegt und schließt auch nicht aus, den 74-Jährigen vom Amtsarzt untersuchen zu lassen. Aber auch die Ankläger werden in ersten Stellungnahmen von Verteidigern angegangen. Schon die Anklageschrift zeige, dass die Staatsanwaltschaft das Thema nicht durchdrungen habe, sagt ein Anwalt.

Das Thema erstreckt sich über Jahre und diverse Hierarchiestufen eines Weltkonzerns. Wer dort für wessen Handeln einzustehen hat, dürfte ein Kernpunkt des Mammutprozesses sein. Vor Gericht stehen ehemalige VW-Manager von der unteren bis zur höchsten Führungsebene.

Gemeinsam ist ihnen die Verbindung zum Dieselmotor EA189 – als Teamleiter in der Abgastechnik, Leiter Antriebstechnologie, Hauptabteilungsleiter Dieselmotoren, Chef der Aggregatentwicklung und später Entwicklungsvorstand der Marke VW. Eineinhalb Stunden lang arbeitet sich Hoppenworth durch ein VW-Jahrzehnt, das in den Dieselskandal 2015 führte.

Er sei das Ergebnis systematischen Betrugs, lautet der wichtigste Punkt der Anklage. Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich nur schweren Betrug angenommen, das Gericht verschärfte die Anklage sogar auf banden- und gewerbsmäßigen Betrug. Denn manipuliert wurde jahrelang, um – so die Anklage – den Unternehmensgewinn zu maximieren und damit die persönlichen Bonuszahlungen. Millionen manipulierte Fahrzeuge werden jedem Angeklagten vorgeworfen und Milliardensummen an betrügerisch erzieltem Umsatz.

Das Verfahren gegen Martin Winterkorn soll später geführt werden.

Das Verfahren gegen Martin Winterkorn soll später geführt werden.

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2005 begann bei VW die Entwicklung des neuen Dieselmotors, und schon im Sommer 2006 war laut Anklage klar, dass er wegen seines hohen Stickoxidausstoßes nie eine Zulassung für die USA bekommen würde. Die Trickserei auf dem Prüfstand begann und wurde nach Überzeugung der Anklage jahrelang verfeinert – noch bis kurz vor dem großen Knall. Zwei der Angeklagten sollen von Beginn an beteiligt gewesen sein, ihr Chef sei 2007 informiert worden. Der vierte Angeklagte steht ab 2011 unter Verdacht, als er Leiter der gesamten Aggregateentwicklung wurde.

Die These von den kleinen Bastlern zerbröselt

In der Anklageschrift zerbröselt die lange von der VW-Spitze verbreitete These, in den USA habe sich ein Häuflein Bastler in Grauzonen verirrt. Die Handlung spielt in Wolfsburg und reicht mit den Jahren immer höher in der Hierarchie. Den Beteiligten sei klar gewesen, was sie da taten, auch von Bedenken und lautstarkem Konflikt berichtet die Anklageschrift. „Sie fanden sich mit dem Gesetzesverstoß ab“, sagt Hoppenworth.

Das zieht sich durch die Jahre: „Er äußerte, dass er nicht alles wissen wolle“, heißt es über den Aggregatechef, der 2011 nach Amtsantritt eingeweiht worden sei und „äußerst ungehalten“ reagiert habe. Ein anderer zog „den Schluss, die Software weiter zu verwenden“.

Nach Treffen hätten Teilnehmer um Vernichtung der Unterlagen gebeten. Der Kreis der Beteiligten ging demnach weit über die vier Männer hinaus. Die Staatsanwaltschaft hat weitere Anklagen erhoben, die aber noch nicht zur Hauptverhandlung zugelassen sind. Unter anderem gegen einen Chef, der seinen Leuten schon 2007 geraten haben soll: „Lasst euch nicht erwischen.“

Ihr Antriebsfritzen, was habt ihr jetzt wieder angestellt?

Martin Winterkorn,

laut Anklageschrift

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Das gelang bis 2014, als das private US-Institut ICCT bei Routinetests mit VW-Fahrzeugen unerklärlich überhöhte Stickoxidwerte feststellte. Die Umweltbehörden Carb und Epa begannen zu forschen und zu bohren. Spätestens ab Mai 2014 soll Winterkorn mehrmals informiert worden sein.

Doch „der befürchtete Wutanfall blieb aus“, berichtet die Anklage. Zwei Mitarbeiter soll er mit den Worten empfangen haben: „Ihr Antriebsfritzen, was habt ihr jetzt wieder angestellt?“ Wenn er dann doch noch vor Gericht erscheinen muss, wird der einstige Konzernchef das wohl als Beleg seiner völligen Ahnungslosigkeit anführen.

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