VNG-Chef Heitmüller: „Wir sollten viele Wege gehen, um schnell viel CO₂ zu reduzieren“

Ulf Heitmüller (55) ist seit 2016 Vorstandsvorsitzender der VNG AG Leipzig.

Ulf Heitmüller (55) ist seit 2016 Vorstandsvorsitzender der VNG AG Leipzig.

Berlin. Die VNG AG mit Sitz in Leipzig ist ein traditionsreicher Gaskonzern, der 2020 mit rund 1300 Mitarbeitern knapp 10 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete. Der Konzerngewinn belief sich auf 45 Millionen Euro. Entlang der Gaswertschöpfungskette konzentriert sich VNG auf die vier Geschäftsbereiche Handel und Vertrieb, Transport, Speicher und Biogas. Wie sich die Zukunft des Unternehmens angesichts der ehrgeizigen Klimaziele der Bundesregierung weiter gestaltet, darüber sprach das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit VNG-Vorstandschef Ulf Heitmüller (55).

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Herr Heitmüller, bis 2030 soll der CO₂-Ausstoß in Deutschland gegenüber 1990 um 65 Prozent schrumpfen. Bis 2045 streben wir völlige Klimaneutralität an. Welche Rolle wird Erdgas in diesem Prozess noch spielen?

Eine sehr große, da bin ich sicher. Erdgas sorgt bereits heute für eine vergleichsweise emissionsarme Energie- und Wärmeversorgung und ist der ideale Partner der Erneuerbaren auf dem Weg in ein dekarbonisiertes Energiesystem. Heute mit Erdgas und morgen mit erneuerbaren Gasen wie Biogas und Wasserstoff. Es geht ja in diesem Prozess um den Gesamtenergieverbrauch in Deutschland und darum, wie diese Energie erzeugt wird.

Wir verbrauchen in Deutschland etwa 2500 Terrawattstunden Energie pro Jahr. Daran hat Gas einen Anteil von 1000 Terawattstunden. Und Erdgas kann beim Thema Einsparung von C0₂-Emissionen durchaus punkten. Durch einen vollständigen Wechsel von Kohle zu Gas ließe sich der Kohlendioxidausstoß um 70 Prozent senken. Das ist ein sehr substanzieller Beitrag. Aber auch in anderen Sektoren gibt es Potenziale.

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Woran denken Sie da?

Ein simples Beispiel: Wenn wir alle alten Ölheizungen in Deutschland auf Gas umrüsten, also in allen Häusern die alten Ölkessel durch moderne Gasbrennwerttechnik ersetzen, können wir bis zu 20 Millionen Tonnen CO₂ zusätzlich pro Jahr einsparen. Und das könnten wir schon morgen angehen.

Damit setzen wir dann aber weiter auf Erdgas und nicht auf Wind oder Sonne.

Den anstehenden Energiebedarf werden wir nicht komplett durch Wind und Sonne abdecken können. Ganz generell brauchen wir neben Elektronen auch die Moleküle, wie beispielsweise Gas. Durch Gas wird eine sichere und bezahlbare Energieversorgung parallel zum Kohle- und Atomausstieg erst möglich. Gas ermöglicht als sicheres Back-up den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien.

Ist der deutsche Markt ausreichend mit Gas versorgt?

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Wir sehen in Europa eine deutliche Absenkung der Eigenproduktion von Erdgas. Sowohl in den Niederlanden als auch in Norwegen und Großbritannien geht die Förderung runter, und in Deutschland ist sie schon gar nicht mehr der Rede wert. Als ich angefangen habe, in der deutschen Gaswirtschaft zu arbeiten, wurden noch rund 25 Prozent des Bedarfs selbst produziert. Das ist lange her. Heute sind wir bei knapp 5 Prozent. Hinzu kommt der Wegfall von Energie aus den Atom- und Kohlekraftwerken. Das heißt, es wird sich perspektivisch eine Versorgungslücke auftun. Wir reden da etwa von 120 Milliarden Kubikmetern bis 2030 in der EU, die wir durch höhere Importe kompensieren müssen.

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Und dafür brauchen wir dann die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2?

Bei mindestens konstantem Bedarf und sinkender heimischer Förderung steigt der Importbedarf. Vor diesem Hintergrund benötigen Deutschland und Europa zusätzliche Erdgasimporte. Nur so können der erwartete Energiebedarf, aber auch die Versorgungssicherheit für Wirtschaft, Industrie und Privathaushalte gewährleistet werden.

Einen großen Teil des zusätzlich benötigten Erdgases, und perspektivisch sogar Wasserstoffs, könnten Lieferungen über die Nord Stream 2 im Wettbewerb mit anderen Importrouten und LNG-Terminals abdecken. Nord Stream 2 kann also als weitere Infrastruktur die bestehende ergänzen und das Angebot erhöhen. Und wenn das der Fall ist, dann kann man auch davon ausgehen, dass die Preise sinken. Wenn sie mehr Gas im Markt haben, ist das für die Preisgestaltung natürlich besser, als wenn es zu einer Verknappung kommt.

Wie lange werden wir denn noch Gaskraftwerke brauchen?

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Das ist schwer zu sagen. Aber Fakt ist, wir brauchen Versorgungkapazitäten auch für die Zeit, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Wir müssen durch ausfallende Grundlast aus Kohle und Strom neue Gaskraftwerke bauen, und das geschieht ja auch bundesweit. Berechnungen sagen, dass wir bis 2035 etwa 39 Gigawatt Leistung benötigen. Das ist eine große Aufgabe.

Um das zu verdeutlichen: Ein typisches Atomkraftwerk hat etwa ein Gigawatt. Das neue Gaskraftwerk, das die Leipziger Stadtwerke gerade bauen, hat etwa 125 Megawatt elektrischer Leistung. So ein Kraftwerk hat normalerweise eine Laufzeit von 20 bis 40 Jahren. Aber ich kann mir vorstellen, dass künftig vielleicht auch Kraftwerke gebaut werden, die speziell nur für eine Interimszeit gedacht sind und eben nur acht bis zehn Jahre laufen.

Aber Gas ist dennoch ein Energieträger von gestern.

Erdgas ist ein fossiler Brennstoff. Und somit ist es auch unter dem Blickwinkel der Klimaneutralität nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber es gibt ja auch erneuerbares Gas. Wir haben zur Zeit mehr als 9000 Biogasanlagen in Deutschland, die vor allem Strom erzeugen. Aber man kann sie natürlich auch dafür nutzen, erneuerbares Biogas zu Biomethan aufzubereiten und in die reguläre Gasinfrastruktur einzuspeisen und damit beispielsweise zu heizen oder Autos anzutreiben.

Wir haben in Deutschland heute bereits ein Potenzial für die Erzeugung von 100 Terawattstunden Biomethan pro Jahr. Das ist bezogen auf derzeit 1000 Terrawattstunden Gas nicht so ein Riesenschritt. Aber wir erzeugen momentan in Deutschland auch erst 250 Terawattstunden erneuerbaren Strom. Und in der Relation ist das dann schon wieder ganz ordentlich.

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Würde man diese 100 Terrawattstunden Biomethan komplett zum Heizen nutzen, wäre das Gas in der Gasheizung schon zu einem Drittel erneuerbar. Das wäre ein echt toller Beitrag für den Klimaschutz im Gebäude. Wir sehen da gute Perspektiven und haben deshalb in den letzten Jahren rund 160 Millionen Euro in 37 Biogasanlagen investiert, die wir überwiegend in Ostdeutschland betreiben.

Jetzt spricht alle Welt von Wasserstoff, weil das der einzige Brennstoff ist, bei dessen Verwertung kein CO₂ entsteht. Wie sieht man das bei der VNG?

In unserer gut ausgebauten Gasinfrastruktur könnte zunehmend Wasserstoff transportiert werden. Wir haben in Deutschland ein riesiges Pipelinesystem und sehr große Speicherkapazitäten. Schon heute ist es technisch möglich, dem Gasnetz etwa 10 Prozent Wasserstoff beizumischen. Es ist aus unserer Sicht auch volkswirtschaftlich sinnvoller, die bestehende Gasinfrastruktur für Wasserstoff tauglich zu machen, als neue Parallelstrukturen aufzubauen.

Sie bauen in Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt einen Energiepark auf. Was hat es damit auf sich?

Gemeinsam mit Partnern, unter anderem Uniper und Terrawatt entwickeln wir dort ein Modellprojekt zur Herstellung, Speicherung und Transport von grünem Wasserstoff. Die Firma Terrawatt baut den Windpark, Uniper die Elektrolyseanlage und wir stellen über die VNG Gasspeicher GmbH die Speicherkapazitäten in einer unterirdischen Kaverne, einem ehemaligen Salzstock, und über den unabhängigen Fernleitungsnetzbetreiber Ontras den Transport in den nahe gelegenen Chemiestandort in Leuna sicher.

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Als Konsortium wollen wir im unteren dreistelligen Millionenbereich in das Projekt investieren. Mit dem Projekt können wir unter realen Bedingungen sehen, wie unsere Gasinfrastruktur und das verwendete Material mit Wasserstoff funktionieren, und parallel wichtige Erfahrungen in der Vermarktung sammeln.

Mit grünem Wasserstoff sind Sie geradezu vorbildlich, denn Anhänger der reinen Lehre lehnen ja Wasserstoff aus Kohle oder gar Kernspaltung ab. Wird es denn zu schaffen sein, den künftigen Bedarf an Wasserstoff ausschließlich auf grünem Wege zu decken?

Das ist ein wichtiger Punkt. Ich denke, wir würden gut daran tun, uns auch in Deutschland verschiedene Technologien offen zu halten, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass uns die Zeit wegläuft. Man kann beispielsweise auch bei der Herstellung von Wasserstoff, die heute oft über die Dampfreformierung als sogenannter grauer Wasserstoff auf der Basis von Erdgas vorgenommen wird, anfallendes Kohlendioxid abscheiden und speichern oder sogar stofflich weiter verwerten und so auch eine CO₂-neutrale Produktion sichern. Es gibt viele Möglichkeiten, und wir sollten verschiedene Wege beschreiten, um möglichst schnell viel CO₂ zu reduzieren.

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