Vier-Tage-Arbeitswoche: Das sagt ein Arbeitspsychologe
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Der Arbeitspsychologe Thomas Rigotti ist nicht generell gegen die Vier-Tage-Woche. Er sieht in dem Vorschlag von Katja Kipping Chancen, aber auch Risiken.
© Quelle: privat/Thomas Rigotti
Linken-Chefin Katja Kipping hält die Corona-Pandemie für einen guten Zeitpunkt für eine flächendeckende Einführung der Vier-Tage-Arbeitswoche. Mit einem neuen Kurzarbeitergeld als Anschubfinanzierung soll die kürzere Arbeitswoche finanziert werden, erklärte Kipping am Dienstag gegenüber der “Rheinischen Post”. Ein Jahr sollten Unternehmen, die die Arbeitszeit entsprechend anpassen, einen Lohnzuschuss bekommen. Nach dieser einjährigen staatlichen Förderung muss Kipping zufolge die Vier-Tage-Woche oder ein Arbeitszeitmodell mit höchstens 30 Stunden dann in einem Tarifvertrag beziehungsweise einer Betriebsvereinbarung geregelt werden.
Ihre Argumentation: Wirtschaft und Arbeitnehmer haben einen Nutzen von der staatlichen Co-Finanzierung. “Die Vier-Tage-Woche macht Beschäftige glücklicher, gesünder und produktiver”, betonte Kipping. Die Mitarbeiter würden weniger Fehler machen, motivierter und seltener krank seien, und somit profitierten auch die Unternehmen von der Regelung, ist sich Kipping sicher.
Vier-Tage-Woche pauschal nicht angenehmer
Weniger Arbeitstage gleich mehr Erholung? So einfach ist die Rechnung nicht, betont Thomas Rigotti, Arbeitspsychologe an der Universität Mainz. “Der Vorschlag klingt schön. Doch wenn die Mitarbeiter an den vier Tagen bis zur Erschöpfung arbeiten müssen, um die Aufgaben zu erledigen, tritt kein Erholungseffekt ein und die Arbeitnehmer sind vermutlich nicht leistungsfähiger”, sagt der 45-jährige Arbeitsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR).
Einfach gesagt: Je mehr ein Mensch in der kürzeren Zeit leisten muss, desto ausgelaugter könnte er an den freien Tagen sein. Somit bräuchte er dringend den dritten freien Tag für die Regeneration. “Dazu gibt es keine konkrete Studie, jedoch wäre es aus den bisherigen Forschungen anzunehmen”, sagt Rigotti.
Genaue Absprachen erforderlich
Der Arbeitspsychologe ist dennoch nicht generell gegen den Vorschlag: “Wie in vielen Fällen kommt es auf die genaue Umsetzung an – individuell und im Unternehmen.” Denn bei der Gleichung spielen Faktoren wie Arbeitszeiten, Tätigkeitsfeld und Gehalt eine wesentliche Rolle.
Arbeitsmodell genau beachten
Kipping plädiert für eine Reduzierung der Arbeitszeit – ob als Vier-Tage-Woche oder einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 30-Stunden-Woche. Alles andere wäre laut Rigotti auch kontraproduktiv. An vier Tagen zehn Stunden zu arbeiten, sei kritisch: “Wahrscheinlich sind die Mitarbeiter in vielen Arbeitstätigkeiten in acht Stunden leistungsfähiger als in zehn Stunden, weil eine gewisse Ermüdung einsetzt und die Konzentration und Aufmerksamkeit schwinden”, so der Mainzer.
Balance zwischen Stress und Freizeit
Diese Schlussfolgerung lässt sich auch aus einer Studie ableiten. Bereits nach einem deutlich anstrengenderen Arbeitstag traten bei den Probanden häufiger Schlafstörungen auf als nach einem regulären arbeitsintensiven Tag. Daher sollte täglich auf die Balance zwischen Anforderung und Erholung geachtet werden. Und dieses gelingt natürlich nur, wenn nach der Arbeit noch Zeit für Entspannung bleibt. “Insbesondere mit Blick auf die psychische und physische Gesundheit sollte ein Gleichgewicht aufrecht erhalten werden”, bekräftigt Rigotti. Denn sonst führe der länger anhaltende Stress zu chronischem Stress mit gesundheitlichen Folgen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden oder psychosomatischen Belastungen.
Schnelle Erholung im Urlaub
Zudem zeigen Erkenntnisse der Erholungsforschung, dass neben den täglichen Verschnaufpausen auch der Urlaub nicht zu kurz angesetzt werden darf. Ein Erholungseffekt habe eine logarithmische Funktion, sagt Rigotti. Das bedeutet, dass die Erholung relativ schnell einsetzt und dann auch relativ schnell ein Plateau erreicht. Das heißt, die ersten Tage sind erholsam, nach einer Woche ist dabei das Maximum erreicht. Doch sobald die Arbeit wieder in Sicht rückt, kreisen die Gedanken manchmal schon wieder darum. Nach nur wenigen Tagen zurück auf der Arbeit verliert sich der Urlaubseffekt.
Genaue Absprache mit dem Arbeitgeber
Die Arbeitszeit und der mögliche freie Tag sollten genau mit dem Arbeitgeber abgesprochen werden. “Macht dann jeder am gleichen Tag frei oder kann der Tag ausgesucht werden? Diese Rahmenbedingungen müssen auf jeden Fall im Vorfeld geklärt werden”, bekräftigt Rigotti. Wichtig ist außerdem, dass der zusätzliche freie Tag wirklich nicht für die Arbeit genutzt wird. Einige Mitarbeiter neigen dazu, Aufgaben nach Feierabend oder an den freien Tagen zu erledigen – ohne Lohnausgleich oder Anrechnung der Überstunden. Diese Selbstausbeutungstendenzen nehmen in klassischen Bürojobs laut Rigotti zu.
Kippings Plan nicht in jeder Branche umsetzbar
Dabei geht es auch anders: Viele Unternehmen bieten flexible Arbeitszeiten und -orte an. Die Corona-Krise hat gezeigt: “Die Chefs haben gemerkt, dass auch zu Hause gearbeitet wird. Jedoch wurde die Flexibilisierung durch Corona nicht erfunden, die Pandemie wirkte aber als Katalysator”, erklärt der Arbeitspsychologe.
Doch in manchen Branche sind flexibles Arbeiten oder eine Vier-Tage-Woche schwieriger umsetzbar. Als Beispiel nennt Rigotti die Polizei, Müllabfuhr, den Einzelhandel oder bestimmte Berufe im Krankenhaus. “Wenn die Mitarbeiter weniger Tage arbeiten und womöglich noch weniger Stunden, müssen mehr Beschäftigte angestellt werden. Und ob die Arbeitgeber damit einverstanden sind, ist eine ganz andere Frage”, sagt Rigotti.
Gehalt oder Freizeit
Zu Diskussionen führe auch das Gehalt. Nach Kippings Vorschlag würde es einen staatlichen Lohnzuschuss im ersten Jahr geben. So könnten die Unternehmen den weniger arbeitenden Mitarbeitern weiter den gleichen Lohn zahlen. Doch was passiert nach dem einen einjährigen Experiment? “Manche verzichten vielleicht auf den höheren Lohn und genießen die zusätzliche Freiheit. Andere dagegen sind auf das volle Gehalt einer 40-Stunden-Woche angewiesen”, betont der 45-Jährige.
Die gewonnene Zufriedenheit könnte zudem schnell verfliegen: Laut einer Studie wurde zwar eine höhere Zufriedenheit bei Mitarbeitern festgestellt, die nur vier Tage arbeiten. Jedoch hatten sie sich nach einem Jahr an den neuen Arbeitsalltag gewöhnt.
Die Reduzierung von Arbeitszeit wirft auch eine gesellschaftliche Frage auf. “Bei Millionen Überstunden und Millionen Arbeitslosen kann ein gewisses Missverhältnis festgestellt werden. Mit Kippings Konzept könnten alle ein bisschen weniger arbeiten, aber sie wären in Arbeit”, sagt Rigotti.