Ungewisse Zukunft für Opel im neuen Großkonzern Stellantis
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Einst wurden bei Opel jährlich 1,5 Millionen Fahrzeuge verkauft, voriges Jahr waren es noch genau 632.687.
© Quelle: Michael Reichel/dpa
Das waren in dieser Woche zwei schmerzhafte Meldungen für Opelaner: Erst musste der traditionsreiche Autobauer zahlreiche Bestellungen für den nagelneuen Elektro-Mokka stornieren. Die Nachfrage nach dem Stromer wurde völlig unterschätzt. Man könne keinen Liefertermin nennen, soll der Vertrieb Interessenten mitgeteilt haben. Überdies ist der Absatz der Autos mit dem Blitzlogo insgesamt so heftig wie nie eingebrochen. Um fast 40 Prozent im vergangenen Jahr in Europa. Und all dies unmittelbar vor dem Vollzug der Fusion, mit der Opel ein Teil des neuen Stellantis-Konzerns wird.
Stellantis-Aktie wird ab Montag gehandelt
An diesem Samstag wird die Fusion der Opel-Mutter Peugeot Société Anonyme (PSA) mit dem italoamerikanischen Fiat-Chrysler-Konzern (FCA) offiziell besiegelt. Von Montag an wird die neue Stellantis-Aktie zunächst an den Börsen in Mailand und Paris gehandelt. Tags drauf gibt es das Papier auch an der New Yorker Börse. Die Autos aus Rüsselsheim bilden künftig eine von 14 Marken im neuen Konzern – von Alfa Romeo bis Vauxhall. Stellantis wird die Nummer vier der Autowelt.
Die Fahrzeuge mit dem Blitz könnten in dem Konglomerat an den Rand gedrängt werden, vermuten viele Experten. Der Bedeutungsverlust war schon in der jüngeren Vergangenheit immens. Einst wurden jährlich 1,5 Millionen Fahrzeuge verkauft, voriges Jahr waren es noch genau 632.687, wohlgemerkt inklusive der britischen Schwester Vauxhall.
Kleinwagen vom Markt genommen
Der einst große Name verblasst mit dem schrumpfenden Marktanteil zusehends. Dies hat aber auch mit Aufräumarbeiten zu tun: Alte Modelle mit alter Technik noch von General Motors, die sich kaum lukrativ verkaufen ließen, musste Opel-Chef Michael Lohscheller vom Markt nehmen. Beispielsweise die Kleinwagen Karl und Adam im vorigen Jahr.
Das war ein weiterer tiefer Einschnitt, den PSA- und Stellantis-Chef Carlos Tavares den Rüsselsheimern zugemutet hat. Seit der Übernahme von Opel im Sommer 2017 hat er das Unternehmen zusammengestutzt. Sein Plan: Alles, womit sich kein Geld verdienen lässt, wird schnellstens plattgemacht.
Erreicht hat er damit, dass Opel nach mehr als einem Jahrzehnt in den roten Zahlen in Rekordzeit zwar wieder einen operativen Gewinn einfahren konnte. Dafür wurden aber auch mehr als 6000 der einst knapp 19.000 Arbeitsplätze hierzulande gestrichen.
Viele gleiche Teile für viele Modelle
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer befürchtet, dass die Zahl der gekappten Jobs bald auf 10.000 steigen könnte. Schließlich sei es Tavares’ Strategie – die er auch schon zuvor bei PSA umsetzte –, mehr Fahrzeuge mit weniger Arbeits- und Einkaufskosten abzusetzen. Möglichst viele gleiche Teile für möglichst viele Modelle. Und bei den Aufwendungen fürs Personal würden nur 11 bis 12 Prozent im Verhältnis zum Umsatz akzeptiert – bei Volkswagen seien es 17 Prozent.
Dudenhöffers Prognose: „Da wird ein sehr dicker Rotstift kommen.“ Immerhin soll Lohscheller kürzlich schon das Codewort für weitere Stellenstreichungen in einer virtuellen Betriebsversammlung genannt haben: „mehr Performance“. Insider vermuten, dass sogar die Fertigung in einzelnen Fabriken eingestellt werden könnte. Etwa am Standort Eisenach, wo der Stadtgeländewagen Grandland X gebaut wird. Das Stammwerk in Rüsselsheim könne zu einem Montagestandort für diverse Stellantis-Marken degradiert werden.
Gewerkschafter wollen weiteren Kahlschlag verhindern
Allerdings werden Betriebsräte und Gewerkschafter einen weiteren Kahlschlag in der Belegschaft nicht so einfach hinnehmen. „Bei Opel ist es nun wichtig, dass ein Niveau nicht unterschritten wird, das existenziell für einen Hersteller ist. Forschung und Entwicklung sind dabei von enormer Bedeutung“, sagte Gewerkschafter Jörg Köhlinger dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Verlorene Marktanteile müssen zurückgeholt werden.“
Der Leiter des IG-Metall-Bezirks Mitte macht darauf aufmerksam, dass der mit dem Management geschlossene Zukunftsvertrag nun von entscheidender Bedeutung sei. Die Vereinbarung sichere jeden einzelnen Standort. „Und betriebsbedingte Kündigungen sind demnach ausgeschlossen.“
Astra kommt künftig aus Rüsselsheim
Die Konsequenzen der Vereinbarung, die bis 2023 läuft: Der neue Astra soll nach Köhlingers Worten von Ende 2021 an in Rüsselsheim gebaut werden. Plus ein Modell der PSA-Marke DS und „ein weiteres großes Fahrzeug“. Am Standort Kaiserslautern müsse die angekündigte Batteriezellenproduktion endlich angegangen werden. Auch Forschung und Entwicklung für Batterien und E-Antriebe müssten dort angesiedelt werden. Für Eisenach werde entscheidend sein, dass das Nachfolgemodell für den Grandland dort produziert wird.
Einsparungen von 5 Milliarden Euro jährlich geplant
Die Frage ist allerdings, ob dies alles in die Konzernarchitektur von Stellantis passt. Tavares hat versprochen, die Kosten um die gigantische Summe von insgesamt 5 Milliarden Euro jährlich zu drücken. Nur mit einem Abbau der gewaltigen Überkapazitäten im gesamten Konzern könne erreicht werden, dass aus Stellantis nicht Atlantis werde, betont Frank Schwope, Analyst bei der Norddeutschen Landesbank in Hannover. Branchenkenner erwarten, dass im vorigen Jahr die Werke von PSA und FCA nur noch zur Hälfte ausgelastet waren, dass 2020 also Kapazitäten für mehr als fünf Millionen Autos brachlagen. Fragt sich nur, wo Fabriken dichtgemacht werden.
Wo werden Fabriken dichtgemacht?
Da wird es politisch: So steht für viele Beobachter fest, dass Standorte in Frankreich tabu sind – das war schon in der jüngeren Vergangenheit so, schließlich ist der französische Staat an PSA beteiligt. Italien? John Elkann, ein Spross des Agnelli-Clans, dürfte als Chef des Stellantis-Verwaltungsrats dafür sorgen, dass Werke in seinem Heimatland geschont werden. Die Agnellis sind eng mit der italienischen Politik vernetzt. Und Vizewirtschaftsminister Antonio Misiani hat bereits angekündigt, dass eine Beteiligung des Staats an dem neuen Großkonzern geprüft werde.
In den USA sind insbesondere die Werke der Marken Jeep und Ram enorm wichtig, denn sie sind die wichtigsten Gewinnbringer im Konzern. Und dieses Geld wird ganz dringend gebraucht, um den technischen Rückstand vor allem bei der Elektromobilität aufzuholen.
E-Autos im Fokus
Aber für Köhlinger gibt es just auf diesem Feld Hoffnung für Opel: „Die 2017 angekündigte Elektrifizierungsstrategie muss jetzt Früchte tragen.“ So sei es zwar bedauerlich, dass die Nachfrage nach dem neuen E-Mokka derzeit nicht gedeckt werden könne. „Das zeigt aber, dass in diesem Markt Musik drin ist.“ Keine Frage, die Stromer werden im Zentrum der Langfriststrategie bei Stellantis stehen. Tavares will seine Pläne im Sommer präsentieren.