50 Kilometer hinter der Front

Saporischstal – ein ukrainisches Stahlwerk ist zum Symbol des Widerstands geworden

Ein Arbeiter steht in einem Hochofen des Stahlwerks Saporischstal in der gleichnamigen Stadt. Saporischschja liegt weniger als 50 Kilometer von der Frontlinie entfernt, und ihre Wohngebäude und Energieinfrastruktur sind häufig Ziel russischer Angriffe. Die Auswirkungen des Krieges haben dazu geführt, dass die Kapazität des Werks nicht voll ausgelastet ist und ein Drittel der 10.000 Beschäftigten untätig ist.

Ein Arbeiter steht in einem Hochofen des Stahlwerks Saporischstal in der gleichnamigen Stadt. Saporischschja liegt weniger als 50 Kilometer von der Frontlinie entfernt, und ihre Wohngebäude und Energieinfrastruktur sind häufig Ziel russischer Angriffe. Die Auswirkungen des Krieges haben dazu geführt, dass die Kapazität des Werks nicht voll ausgelastet ist und ein Drittel der 10.000 Beschäftigten untätig ist.

Saporischschja. Der Eingang zum ukrainischen Hüttenwerk Saporischstal ist mit Panzersperren gesichert. Im Inneren stapeln sich Splitterschutzwesten. Wenn die Luftschutzsirenen heulen – und sie heulen jeden Tag – streben die Arbeiter in einen der 16 Bunker auf dem weitläufigen Gelände.

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Einige allerdings arbeiten weiter. Sie trotzen nicht nur der enormen Hitze aus den Hochöfen, sondern auch der Gefahr von Granatenbeschuss. Das geschmolzene Metall muss in Bewegung bleiben. Der Stahl wird zu allem Möglichen geschmiedet, vom Eisenbahnwaggon bis zum Haushaltsgerät.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Die Stadt Saporischschja, die dem Werk ihren Namen gegeben hat, liegt nicht einmal 50 Kilometer von der Front entfernt. Russische Invasionstruppen nehmen immer wieder Wohngebäude und Infrastruktur ins Visier. Saporischstal kann deswegen nicht mit voller Kapazität arbeiten. Etwa ein Drittel der 10.000 Angestellten hat nichts zu tun.

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Die Kriegsschäden lähmen die ukrainische Metallindustrie, einen lukrativen Sektor und wichtigen Arbeitgeber, der die vom Krieg zerrüttete Wirtschaft stützt. Für den Wiederaufbau des Landes ist es entscheidend, die Produktion wieder hochzufahren und Waren an Kunden in aller Welt auszuliefern.

Vor dem Krieg war die Metallindustrie eine Säule der ukrainischen Wirtschaft. Sie stand für ein Drittel der Exporte des Landes. Doch jetzt haben russische Truppen große Teile des Donbass unter ihre Kontrolle gebracht, das industrielle Herz der Ukraine.

Fabriken und Anlagen auf der Krim

Für das Stahl- und Bergbauunternehmen Metinvest sind die Einschränkungen bei Saporischstal nur ein Teil des Problems. Seit sich Russland 2014 die Halbinsel Krim einverleibte, hat das Unternehmen Fabriken und Anlagen in russisch kontrollierten Gebieten verloren. Mitarbeiter gingen an die Front. Für Investitionen in Wachstum fehlten die Sicherheiten.

Wenn dem Land Schaden zugefügt wird, leidet das Unternehmen nicht weniger darunter als unter direkten Granattreffern.

Jurij Ryschenkow,

Chef des Stahl- und Bergbauunternehmen Metinvest

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Der größte Schaden für das Unternehmen sei jedoch die Schwächung der ukrainischen Wirtschaft durch den Krieg, sagt Metinvest-Chef Jurij Ryschenkow der Nachrichtenagentur AP. „Wenn dem Land Schaden zugefügt wird, leidet das Unternehmen nicht weniger darunter als unter direkten Granattreffern“, sagt er.

Bei Saporischstal dreht sich immer noch alles um die Hochöfen, auch wenn nur noch drei von vier in Betrieb sind. Ein ständiges Zischen erfüllt die Luft. Über dem Werk liegt stechender Schwefelgeruch, der entsteht, wenn das Gusseisen von Ablagerungen getrennt wird. Die silbrigen Schutzanzüge der Arbeiter reflektieren den blendenden Feuerschein des flüssigen Metalls, das mit 1500 Grad in den Hochöfen brodelt.

Weniger Gusseisen als im Vorjahr

Das Werk sieht geschäftig aus, doch die Arbeiter wissen, dass sie weniger Gusseisen schmelzen als im vergangenen Jahr. „Wir sind eingeschränkt, sowohl bei den Rohstoffen als auch beim Absatz“, sagt Hochofenmeister Oleh Ilin.

In seiner fast 90-jährigen Geschichte hat Saporischstal seine Produktion nur zweimal aussetzen müssen – im Zweiten Weltkrieg und kurz nach Beginn der russischen Invasion im vergangenen Jahr. Damals stoppten ukrainische Truppen die russischen Angreifer nur wenige Dutzend Kilometer vor den Werkstoren.

Erholt hat sich die Fabrik davon noch immer nicht. Zwar ist Saporischstal im Gegensatz zu anderen Industriebetrieben von Artillerie- und Raketenangriffen verschont geblieben. Doch das Unternehmen leidet wie viele andere unter Stromausfällen durch russische Raketenangriffe, Schäden an der Infrastruktur und der Blockade von Häfen am Schwarzen Meer.

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Hafenblockaden als Problem

Besonders die Hafenblockaden setzen ihm zu. Es ist schwer geworden, die Produkte zu den Kunden zu bringen. Die Erzeugnisse müssen jetzt per Zug statt per Schiff verschickt werden. Das erhöht nicht nur den Transportpreis, auch Rohstoffe und Produktion sind teurer geworden.

Vor dem Krieg habe Saporischstal eine Ladung Stahlbänder, wie sie etwa für Kühlschränke verwendet werden, in ein oder zwei Monaten hergestellt und geliefert, sagt Generaldirektor Roman Slobodianiuk. Jetzt könne es drei Monate oder länger dauern.

„Nicht jeder Kunde ist bereit, solche Risiken hinzunehmen“, sagt er. Deshalb habe Saporischstal sein Liefergebiet einschränken müssen. Früher habe das Unternehmen Kunden in fast 60 Ländern beliefert, jetzt sei es noch die Hälfte.

Polens Seehäfen als Tor zur Welt

Dmytro Goriunow vom Zentrum für Wirtschaftsstrategie der Ukraine sagt: „Vor dem Krieg wurden etwa 90 Prozent der metallurgischen Produkte über den Seeweg exportiert, weil das viel billiger war.“ Jetzt konzentriert sich das Werk auf die näher gelegenen europäischen Länder und den US-Markt, der über die polnischen Seehäfen erreicht werden kann.

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Nach Angaben des Branchenverbandes Ukrmetallurhprom und von Oxford Economics ist etwa ein Drittel der ukrainischen Metallindustrie zerstört worden. Die Produktion ist um etwa 65 Prozent zurückgegangen. Das ukrainische KSE-Institut schätzt den durch den Krieg entstandenen Schaden für die ukrainische Wirtschaft insgesamt auf 12 Milliarden Euro. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte 2022 um etwa ein Drittel. Für dieses Jahr prognostiziert das Wirtschaftsministerium ein Wachstum von einem Prozent.

Asovstalwerk in Mariupol

Die Regierung in Kiew ist auf Spenden von Verbündeten wie der Europäischen Union und den USA angewiesen, um die Löhne und Renten zahlen zu können. Vergangene Woche erhielt die Ukraine vom Internationalen Währungsfonds ein Kreditpaket in Höhe von 14,5 Milliarden Euro.

Räumung von Stahlwerk Azovstal: Russische Soldaten beseitigen Minen und Sprengfallen
05.05.2022, Ukraine, Mariupol: Rauch steigt aus dem Stahlwerk Azovstal auf. Ukrainische Kämpfer haben russischen Truppen einen Bruch der vereinbarten Waffenruhe zur Evakuierung von Zivilisten aus dem Stahlwerk Azovstal vorgeworfen. Foto: Uncredited/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die Minen sollen kontrolliert gesprengt werden. Wege und Straßen des Stahlwerks werden mit Bulldozern von Trümmern befreit.

Metinvest muss zwei seiner wichtigsten Werke ersetzen, die von russischen Truppen erobert wurden, darunter das Asovstalwerk in Mariupol, wo ukrainische Truppen im vergangenen Jahr einer monatelangen Belagerung standhielten. Der 41-jährige Maksym Notschenko hat dort früher gearbeitet und und die russischen Angriffe aus der Ferne beobachtet. „Es war, als ob dir jemand Teile Deines Körpers abschneidet“, sagt er.

Notschenko floh und arbeitet seit April bei Saporischstal. Etwa 20.000 andere Metinvest-Arbeiter taten es ihm gleich und verließen von den Russen besetzte Territorien und Gebiete nahe der Front. Vor der Invasion hatte Metinvest 100.000 Angestellte, heute sind es noch 85.000.

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Es ist ein Wesenszug der Ukrainer, dass wir trotz allem, was uns zustößt, weiterarbeiten. Wir erfinden neue Arbeitsmethoden und wie wir in jeder Situation bestehen können.

Jurij Ryschenkow,

Chef des Stahl- und Bergbauunternehmen Metinvest

Vorstandschef Ryschenkow sagt, das Wiederherstellen von Lieferketten und insbesondere die Freigabe der Schwarzmeerhäfen werde das Unternehmen wieder aufleben lassen. „Es ist ein Wesenszug der Ukrainer, dass wir trotz allem, was uns zustößt, weiterarbeiten. Wir erfinden neue Arbeitsmethoden und wie wir in jeder Situation bestehen können“, sagt er.

Der einzige Weg, um die Sicherheit und Entwicklung von Metinvest sicherzustellen, sei die Befreiung aller von Russland besetzten Gebiete, die Krim eingeschlossen. Deshalb unterstütze Metinvest die ukrainischen Streitkräfte. Ihr „Sieg kann der Ukraine und den Unternehmen garantieren, dass sie sich hier entwickeln können“, sagt Ryschenkow.

RND/AP

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