Der Automarkt schrumpft, aber die Stromer boomen
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Eröffnung der Tesla-Gigafactory in Grünheide in der Nähe von Berlin.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Frankfurt am Main. Die Autokäuferinnen und -käufer haben den Rückwärtsgang eingelegt. Die Zahl der Neuzulassungen in der EU ist im März auf das zweitniedrigste Niveau in den vergangenen 20 Jahren geschrumpft. Aber: Der Markt ist zweigeteilt. Denn der E-Autoboom setzt sich weiter fort. Es fragt sich nur: Wie lange noch?
Nur noch 844.187 Pkw kamen nach Angaben des europäischen Branchenverbandes Acea im März in der EU auf die Straße. Das sind rund 20 Prozent weniger als vor einem Jahr. Weniger Autos wurden seit der EU-Osterweiterung in einem März nur zum Höhepunkt des ersten Pandemielockdowns im Jahr 2020 verkauft.
„Der Schwung ist raus. Die Autokonjunktur wird von zwei Seiten beeinträchtigt“, sagte Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er fügte hinzu, dass es einerseits Lieferprobleme bei allen Herstellern gebe, was die Preise in die Höhe treibe. Zudem sei die Kundschaft verunsichert. „Derzeit überlegt jeder potenzielle Käufer zweimal, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um 40.000 Euro oder mehr auszugeben“, so Dudenhöffer.
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Das Werk sei ein „Zeichen für den Fortschritt und die Zukunft der Industrie“ in Deutschland als starkem Standort.
© Quelle: Reuters
Neben der seit Monaten andauernden Chipkrise hätten sich im März erstmals die Folgen des Krieges in der Ukraine und das Fehlen wichtiger Zulieferteile ausgewirkt, erläutert Peter Fuß, Autoexperte bei der Prüfungs- und Beratungsfirma Ey. Mindestens bis Herbst werde sich die Situation nicht wesentlich verbessern. Er hält einen Rückgang der gesamten Neuzulassungen für 2022 von etwa 10 Prozent in der EU für realistisch. Auch für Dudenhöffer ist klar: „Es wird das ganze Jahr über schlecht bleiben.“
Steigender Absatz trotzt Chipkrise
Von all dem bislang weitgehend unbeeinflusst hält das Wachstum bei den reinen Stromern an. Sie verzeichneten im März in den fünf größten Märkten in Westeuropa (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien) ein Absatzplus um fast ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr und haben dort jetzt einen Marktanteil von gut 12 Prozent erobert. Dabei dürften die Spritpreise, die Rekordniveaus erreicht haben, eine wichtige Rolle spielen. Außerdem wächst die Modellvielfalt. Und laut Fuß hätte der Absatz sogar „noch deutlich höher“ liegen können, wäre da nicht die Chipkrise. Für Stromer werden erheblich mehr Halbleiterkomponenten als für konventionelle Pkw benötigt.
Hierzulande lag der Marktanteil bei 14,3 Prozent. 34.474 neue Batterieelektrische (BEV) kamen im März auf die Straße. Einsame Spitze ist Tesla mit rund 14.000 Neuzulassungen – für die ersten drei Monate. Auf etwas mehr als halb so viel kam VW, gefolgt von Hyundai, BMW, Renault und Audi. Mercedes schafft es gerade so unter die ersten Zehn.
Newcomer etablieren sich
Eine Reihe von Newcomern konnte sich in Deutschland und Europa etablieren. Dazu zählt die Firma Polestar, die so etwas wie der Elektroautobauer der Stunde ist: Denn der Autovermieter Hertz will für seine internationale Flotte in den nächsten fünf Jahren bis zu 65.000 Elektroautos des schwedisch-chinesischen Herstellers kaufen. In Europa werden die ersten Fahrzeuge demnächst ausgeliefert.
Entsprechend optimistisch ist Polestar-Chef Thomas Ingenlath: „Unsere Zusammenarbeit mit Hertz symbolisiert, dass die Elektromobilität aus der Nische herauskommt und in den Massenmarkt eintritt“, sagte Ingenlath dem RND. Die Nachfrage sei zu Beginn des Jahres überwältigend gewesen. Gerade für Flotten großer Unternehmen.
„Die Nutzer der Autos fragen jetzt verstärkt nach elektrischen Fahrzeugen und der CO₂-Fußabdruck der Firmen wird verringert.“ Das gelte für Großkonzerne wie Siemens oder SAP, aber auch für kleine und mittelständische Unternehmen. Ingenlath ist sich sicher, dass die Nachfrage nach E-Autos weiter steigen wird: „Jeder Autobauer hat erkannt, dass die Elektrifizierung die Zukunft ist.“
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Das Auto soll ab August in Europa und den Vereinigten Staaten auf den Markt kommen, in China im kommenden Januar. Der Preis ist noch nicht bekannt.
© Quelle: Reuters
Dudenhöffer macht aber darauf aufmerksam, wie fragil auch der E-Boom ist, denn er sei von Kaufprämien befeuert worden. Und über deren Zukunft wird derzeit in vielen Ländern diskutiert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Prämie für Plug-ins, die über einen Verbrenner und einen E-Motor verfügen, von 2023 an komplett abschaffen. Der staatliche Zuschuss für Vollelektrische soll von maximal 6000 auf 4000 Euro sinken. Finale Beschlüsse stehen noch aus. Dudenhöffer warnt allerdings schon jetzt, dass Autokäuferinnen und -käufer sich im nächsten Jahr dann doch wieder Verbrenner zulegen könnten, weil dann die Preisvorteile auch bei BEV wegfallen könnten. Auch Fuß erwartet den „Lackmustest für elektrifizierte Fahrzeuge“, sofern die Bundesregierung ihre Ankündigungen wahr mache. „Es könnte Rückschläge geben, wenn zu einer reduzierten Förderung auch noch deutlich niedrigere Kraftstoffpreise kommen“, sagte der Ey-Experte dem RND.
Richtig sei zwar, dass bei einer Gesamtkostenrechnung Elektroautos auch ohne Förderung billiger sein könnten. „Doch wer schaut auf den Gesamtpreis? Zumal dieser erst beim Verkauf des Autos realisiert wird.“ Dudenhöffer schlägt indes an Stelle der Kaufprämie als neues Instrument der E-Auto-Förderung eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für neue Verbrenner vor. Der Vorteil sei, dass sie flexibel angepasst werden könnte, um die höheren Ausgaben auszugleichen, die bei der Anschaffung eines Elektroautos anfallen.