#ToenniesEnteignen – Ein Twittertrend mit vielen Fragezeichen
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Der Fleischkonzern zieht sich den Unmut der Twitter-Nutzer zu.
© Quelle: Foto: David Inderlied/dpa | Collage: RND
Tönnies, Werkverträge und Corona. Seit Tagen oder besser gesagt Wochen ist das Thema in den Schlagzeilen. Neue Regelungen der Bundesregierung sollen jetzt der Ausbeutung und dem Wahn der Gewinnmaximierung einen Riegel vorschieben. Doch wie einfach ist das und kann es überhaupt funktionieren?
Ein etwas merkwürdig anmutender Twittertrend stellt genau das infrage. Aber der Reihe nach. Nach dem großen Corona-Ausbruch beim Fleischzerlegebetrieb Tönnies und einem dadurch ausgelösten Spotlight auf die Bedingungen für Arbeiter in der Branche sind die politischen Dämme gebrochen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessern zu wollen. Er wolle in der Branche “aufräumen”. Quasi im Eilverfahren fand der Vorschlag Zustimmung beim Bundeskabinett, Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen.
Schon nach ersten Äußerungen von Heil machte sich auch Kritik aus mehreren Richtungen breit. Die erhöhten Anforderungen an die Betriebe führten zu steigenden Fleischpreisen und Firmen könnten Schlupflöcher finden, um die Regelungen zu umgehen. Beides sah Heil nicht so. Kritik aus der Branche am geplanten Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit entkräftete er im “Morgenmagazin” des ZDF mit den Worten: “Anständige Arbeitsbedingungen alleine führen noch nicht zu höheren Fleischpreisen”. Es gehe um “eine milliardenschwere Branche”, in der auch bislang schon die Ketten von Sub-Sub-Sub-Unternehmen Geld verdient hätten.
Gesetzentwurf für Fleischindustrie sieht Ausnahmeregeln vor
Ausnahmen bestätigen vielleicht die Regel, öffnen aber auch die Tür für Schlupflöcher. Die Ausnahmeregelung besagt, dass bestimmte Betriebe in der Fleischerei mit maximal 49 Mitarbeitern von der beschlossenen Regelung ausgenommen sind.
Das Bundesarbeitsministerium hat Befürchtungen zurückgewiesen, die neuen Regeln für die Fleischindustrie könnten durch Ausnahmeregeln im Gesetzentwurf von den Unternehmen umgangen werden. Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium sagte gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): “Es wird der Fleischindustrie nicht gelingen, unser Gesetz zu umgehen. Es ist wasserdicht (...) Unser Gesetzentwurf ist eindeutig. Es wird verboten, Fremdpersonal im Kerngeschäft der Fleischindustrie einzusetzen.”
Genau das sehen zumindest einige Twitter-Nutzer anders. Mittwochabend braute sich in dem sozialen Netzwerk nach diesem Tweet etwas zusammen.
Deutschlands größter Fleischverarbeiter Tönnies hatte zuletzt 15 sogenannte Vorratsgesellschaften am Amtsgericht Gütersloh für Rheda-Wiedenbrück ins Handelsregister eintragen lassen, mit den kreativen Namen “Tönnies-Production I” bis “Tönnies-Production XV”. Die Befürchtung: Mit diesen Firmenneugründungen solle die Abschaffung von Werkverträgen und Leiharbeitern umgangen werden.
Staatssekretär Böhning setzt im RND-Gespräch auf mathematische Erklärungen: “Ein Unternehmen hat etwa 9000 Mitarbeiter, bei ihm werden etwa 100.000 Schweine wöchentlich geschlachtet. Es könnte natürlich versuchen, alle Mitarbeiter jeweils in 49er-Einheiten aufzuteilen, die dann aber auch unter Einhaltung aller Hygiene- und Kühlvoraussetzungen räumlich getrennt werden müssten. (...) Allein das ist schon unrealistisch.”
Diskussion auf Twitter sinnvoll oder entartet?
Unter dem Hashtag #ToenniesEnteignen findet die Diskussion auf Twitter inzwischen auf einer etwas bizarren Ebene statt. Nutzer fordern die Enteignung von Tönnies. Enteignung in Deutschland? Die Diskussion um eine mögliche Enteignung nahm das letzte Mal richtig Fahrt auf, als es um die Explosion von Mieten und die “Deutsche Wohnen” ging. Nach dem Abstieg der Lufthansa aus dem Dax rückte der umstrittene Immobilienkonzern nach. Auch hier war Enteignung als letztes Mittel im Gespräch.
Als letztes Mittel könnte man auch die Forderung nach Enteignung von Tönnies sehen. Nach jahrelanger Debatte um Werkverträge bringt die Politik einen Stein ins Rollen, den findige Konzernchefs direkt umgehen wollen. So hat es den Anschein - wozu die Firmenneugründungen von Tönnies tatsächlich gedacht sind, kann man (noch) nicht sicher sagen.
Während die Forderung, Tönnies zu enteignen, vermutlich ursprünglich auf dem Gedanken beruhte, seinen Unmut über das “Schlupfloch-Gen” von Firmenchefs auszudrücken, ist der Hashtag inzwischen auch beim linken Spektrum Twitters gern genutzt, die diese Forderung vielleicht nur zu gern in die Realität umsetzen wollen würden. Dies wiederum führt dazu, dass die Diskussion auf Twitter vielmehr darum geht, ob man Firmen enteignen darf und sollte - aber nicht mehr um das eigentliche Thema.
Der wohl pragmatischste Ansatz, der immer wieder als alternative zur Enteignung von Tönnies angeführt wird: Keine Produkte mehr kaufen, an denen der Fleischbaron beteiligt ist.
Ein Ende der Diskussion um das Verbot von Werkverträgen in der fleischverarbeitenden Industrie ist wohl noch nicht schnell in Sicht. Bis dahin empfehlen wir die Lektüre unserer beiden Artikel “Kann Tönnies die neuen Regeln für die Fleischindustrie umgehen?” und “Werksverträge der Fleischbarone - was sich jetzt ändern soll”.