Studie: Deutschlands Städte sind nicht besonders „smart“

Sicher, komfortabel, nachhaltig – und rundum überwacht: In Fujisawa ist die erste funktionsfähige Smart City der Welt entstanden. Ein Besuch.

Sicher, komfortabel, nachhaltig – und rundum überwacht: In Fujisawa ist die erste funktionsfähige Smart City der Welt entstanden. Ein Besuch.

Wer Klimawandel und Energiewende als gesellschaftliche Kernprobleme akzeptiert, kommt an Konzepten für intelligente Städte nicht vorbei. In Metropolen leben auch hierzulande immer mehr Menschen, die drängende Veränderungen annehmen müssen. Sind die 66 deutschen Großstädte im Jahrzehnt nach 2000 um 240.000 Bürger gewachsen, waren es von 2010 und 2016 schon 1,35 Millionen zusätzliche Bewohner, sagt Bert Rürup. Der Ex-Wirtschaftsweise ist heute Chef des Handelsblatt Research Institute (HRI). Das arbeitet an einer Reihe von Studien, die aus Sicht von Rürup hierzulande besonders vernachlässigte Politikfelder im Fokus haben. Die Studie „Die intelligente Stadt“ haben er und Mitstreiter nun in München vorgestellt.

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Smart Cities, wie sie auf Englisch heißen, haben weltweit Konjunktur. Immerhin 153 Metropolen dieser Erde planen, intelligent zu werden, erst 15 haben aber ein Konzept dafür und ganzen acht davon bescheinigt die Unternehmensberatung Roland Berger, in einem fortgeschrittenen Stadium zu sein. Deutsche Städte stehen dabei nicht weit vorn, kritisiert Rürup. „Es ist ein völlig ausgeblendetes Problem“, sagt der Politikberater. Technische Lösungen gebe es zwar vielfach und auch vereinzelte Leuchtturmprojekte. Aber es fehle an vernetztem Denken. Mit Insellösungen allein könne man keine wirklich nachhaltigen Veränderungen bewirken.

Weniger Individualverkehr in den Städten

HRI-Forscher Jan Kleibrink erklärt das am Beispiel innerstädtischer Verkehr, dessen Reduzierung ein Kernanliegen ist. Bisher sei es nicht gelungen, Individualverkehr in Städten zu reduzieren, weil Verkehrsträger kaum nutzerfreundlich miteinander verknüpft würden und das Umland von Städten oft außen vor bleibe. Pendler stiegen dann weiter ins eigene Auto. Wer mehrere Apps brauche, um von Bus und Bahn auf Leihrad oder Mitfahrgelegenheit zu wechseln, bleibe dann oft beim Privatwagen. Eher stehen lasse man ihn bei einer praktischen Multimobilitäts-App für alle Verkehrsträger.

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So seien auch bisherige Hoffnungen geplatzt, die Verkehrsplaner auf Carsharing als isolierte Einzelmaßnahme gesetzt haben, betont die Studie. Nur vier der gut 83 Millionen Deutschen seien heute Carsharing-Kunden oder könnten sich das vorstellen. Diese vier Millionen seien zudem oft Nutzer von öffentlichem Personennahverkehr und stiegen zulasten des ÖPNV in Carsharing-Fahrzeuge, was den Verkehr in Städten unter dem Strich eher noch erhöht.

Die Straßenlaterne weckt das Interesse der Forscher

In deutschen Städten fehle es zudem an Sensoren, die Verkehrsdaten erheben, diese intelligent analysieren und zu Datenportalen aufbauen. Dazu komme vielfach mangelnde Digitalkompetenz in Kommunen, um überhaupt intelligent planen zu können. „Die Straßenlaterne ist eine zentrale Infrastruktur für die intelligente Stadt“, betont die Studie. An ihr ließen sich Bewegungsmelder zur Beleuchtungssteuerung anbringen oder um freie Parkplätze zu melden. Zu Stoßzeiten entfällt gut ein Drittel des innerstädtischen Verkehrs auf Parkplatzsuche, was sich fast halbieren lasse. Zugleich könnten Laternen kostengünstig zu Ladesäulen für Elektroautos aufgerüstet werden. Gleiches gelte für Verteilerkästen der Deutschen Telekom.

Als ein Positivbeispiel für intelligente Stadtplanung identifiziert die Studie die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Die hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 die erste CO₂-neutrale Stadt der Welt zu werden und koordiniere ihre Digitalisierung entsprechend. Um zu intelligenten städtischen Systemen zu kommen, seien auch Kompromisse bei der Datenweitergabe nötig, räumt Kleibrink ein. Ohne Finanzpartnerschaften mit Unternehmen könnten hierzulande chronisch klamme Kommunen zudem nötige Investitionen kaum stemmen. Ohne solches Umdenken drohe die intelligente Stadt jedoch Flickwerk zu bleiben.

Bloß nicht zu kompliziert

Dringend berücksichtigen müsse man bei allen Planungen vor allem auch, dass die deutsche Gesellschaft immer älter wird, sagt Rürup. „Alle Konzepte erfordern ein Mitspielen der Bevölkerung, aber wenig technikfreudige Ältere sind da oft zurückhaltend“, warnt der Politikberater. Die intelligente Stadt dürfe nicht so kompliziert werden, dass sie ältere Bevölkerungsschichten überfordert. Vorrangig müssten viele deutsche Großstädte aber erst einmal aufwachen.

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