Start-up-Experte über Biontech: „Gründer mit Migrationshintergrund sind keine Seltenheit“

Özlem Türeci, medizinische Geschäftsführerin des Biotechnologie-Unternehmens Biontech, läuft durch ein Labor des Unternehmens.

Özlem Türeci, medizinische Geschäftsführerin des Biotechnologie-Unternehmens Biontech, läuft durch ein Labor des Unternehmens.

Die Mainzer Firma Biontech könnte als erste geschafft haben, worauf die ganze Welt wartet: Der Corona-Impfstoff, den das Unternehmen gemeinsam mit US-Pharmagigant Pfizer entwickelt hat, könnte bald zum Einsatz kommen. Den Erfolg hat das Unternehmen auch seinen Gründern Ugur Şahin und Özlem Türeci zu verdanken. Das Ehepaar hat türkische Vorfahren, die Eltern kamen zum Arbeiten nach Deutschland. Heute ist Şahin Vorstandsvorsitzender, sie leitet die medizinische Abteilung des mittlerweile milliardenschweren Unternehmens.

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Für Tobias Kollmann von der Universität Duisburg-Essen ist es keine Überraschung, dass Migranten mit Startups in Deutschland Erfolge feiern. Wie Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund die hiesige Gründerszene prägen, hat Kollmann zuletzt für den Deutschen Start-up Monitor (DSM) untersucht. Der erscheint regelmäßig, ist keine repräsentative Studie – bietet aber mit Tausenden Befragten einen tiefen Einblick in die Start-up-Landschaft Deutschland.

Herr Kollmann, seit gestern blickt gefühlt die halbe Bundesrepublik auf Biontech – und auch deren Entwickler. Ist es eine Seltenheit, dass Menschen mit Migrationshintergrund Unternehmen gründen?

Nein, Gründer mit Migrationshintergrund sind keine Seltenheit. Etwa jeder 10. Gründer besaß laut unserem Deutschen Start-up Monitor bei Geburt eine ausländische Staatsangehörigkeit. Und auch die erste Nachwuchsgeneration von Familien mit Migrationshintergrund ist inzwischen zahlreich in der deutschen Gründerszene angekommen. Zusammen geben sie wertvolle Impulse für das deutsche Start-up-Ecosystem und tragen dazu bei, dass wir in diesem Bereich aufholen können.

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Tobias Kollmann ist Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der deutschen Startup-Landschaft, zuletzt hat er unter anderem am Deutschen Startup Monitor (DSM) mitgewirkt.

Tobias Kollmann ist Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der deutschen Startup-Landschaft, zuletzt hat er unter anderem am Deutschen Startup Monitor (DSM) mitgewirkt.

Sind Menschen mit Migrationshintergrund damit überdurchschnittlich gründungsaktiv?

Das ist schwierig zu sagen, weil wir die Grundgesamtheit über unsere Studie hinaus nicht kennen. Aber wir wissen aus dem Global Entrepreneurship Monitor, dass die Gründungsneigung in anderen Kulturen deutlich höher ausgeprägt ist als bei uns. Das hängt insbesondere mit dem ausgereiften Arbeitsmarkt in unserer hoch entwickelten Wirtschaftsnation zusammen, was das Risiko einer eigenen Unternehmensgründung offenbar weniger attraktiv erscheinen lässt.

Und woher kommen die Gründer und Gründerinnen, die nicht aus Deutschland stammen?

Von den DSM-Gründern, die nicht in Deutschland geboren wurden kommen etwa doppelt so viele aus Russland wie aus den USA zu uns. Ansonsten dominieren unsere direkten europäischen Nachbarstaaten mit einem Anteil von rund 20%. Deren Integration erfolgt oftmals über die Sprache und deswegen ist es nicht verwunderlich, dass in fast einem Drittel der deutschen Start-ups heute schon hauptsächlich Englisch gesprochen wird – in Berlin sogar in sogar 62,9% der Startups.

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Sie haben sich eingehender mit den Biografien von Gründern auseinandergesetzt. Gab es weitere Auffälligkeiten?

Der Anteil weiblicher Gründerinnen ist mit 23,9% in der Gruppe der Gründer mit Migrationshintergrund deutlich höher als der weibliche Gründeranteil in der Gesamtgruppe des DSM. Dort sind es 15,9 Prozent. Offenbar haben weibliche Gründerinnen mit Migrationshintergrund mehr Mut zu einem eigenen Start-up als die Kolleginnen ohne Migrationshintergrund. Das könnte ein zentraler Ansatzpunkt für das Potenzial zukünftiger Start-ups sein.

Gibt es einen „typischen“ Gründer mit Migrationshintergrund?

Gründer und Gründerinnen mit Migrationshintergrund sind hoch gebildet und kommen meist direkt aus unseren oder fremden Hochschulsystemen zum eigenen Start-up in Deutschland. Eine überwiegende Mehrheit hat einen akademischen Abschluss und trägt zudem offenbar einen praxisorientierten Entrepreneurial-Spirit in sich. Sie sind damit eine Bereicherung für das Start-up-Ecosystem in Deutschland – sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht.

Was zieht internationale Gründer nach Deutschland?

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Die konkrete Motivation haben wir über den DSM leider nicht erfasst. Aus meiner Beobachtung heraus schätzen die internationalen Gründer die guten Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung. Der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften, die rechtliche und wirtschaftliche Stabilität sowie die finanzierbaren Rahmenbedingungen, also Lebenskosten, Mieten, Aufwendungen für Versicherungen, für ein Leben in unserem Land spielen dabei eine große Rolle.

Welche Hürden sehen diese im Moment in Deutschland?

An erster Stelle wird hier allgemein die Bürokratie genannt, angefangen von der Meldebescheinigung bis zum Eintrag des Unternehmens in die Register. Auch das alle diesbezüglichen Formulare meist nur auf Deutsch, nicht aber auf Englisch vorhanden sind, stellt ein spezifisches Problem dar. Hinzu kommt, dass es in Deutschland deutlich weniger Risikokapital gibt, als in anderen Ländern. Das gilt allerdings für alle Gründer.

Was für eine Rolle spielt Migration in der Start-up-Landschaft?

Start-ups denken, handeln und wachsen international. Deswegen ist der Migrationshintergrund von Gründern und Fachkräften wichtig für die eigene Entwicklung und das Start-up-Ökosystem insgesamt. Internationale Vielfalt ist in diesem Zusammenhang einfach ein wichtiger Mosaikstein für Start-ups in Deutschland.

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