So arbeiten Autolobbyisten und Bundesregierung zusammen
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Zwischen den Auto-Lobbyisten und der Bundesregierung herrscht rege Zusammenarbeit.
© Quelle: imago images/Joko/Jan Huebner/Arnulf Hettrich/Frank Sorge/Montage RND
Hannover. Angela Merkel, berichten Vertraute, war im Advent 2018 in einer seltsamen Stimmung. Auffallend häufig und mit wachsender Düsternis sprach sie damals in kleinem Kreis über Deutschlands Automanager. Über den Dieselskandal. Über Gier und Hierarchiedenken in den Konzernen. Über ein Elitenversagen, das Misstrauen in der Bevölkerung säe, leider weit über die Autobranche hinaus.
Und dann, man schrieb den 17. Dezember, passierte es. Als die EU-Regierungen mal wieder nächtens über Klimaschutz diskutierten, gab Merkel plötzlich grünes Licht für einen ehrgeizigen Plan der Brüsseler Kommission: Der Kohlendioxidausstoß von Neuwagen soll bis zum Jahr 2030 um steile 37,5 Prozent reduziert werden. Das war mehr als ein Gong. Es war das schrille Wecksignal für eine Branche, die aus Sicht der Kanzlerin trotz vieler Warnungen ihre Zukunft zu verschlafen drohte.
Kohlendioxidausstoß von Neuwagen soll reduziert werden
Am nächsten Morgen rang Bernhard Mattes, noch Chef des Verbands der Deutschen Automobilindustrie, mühsam um Luft. Minus 37,5 Prozent bis 2030? Das ist viel zu schnell, das geht beim besten Willen nicht.
Eilends sondierte die Industrie, ob Merkel allen Ernstes eine so harte neue Linie wolle. Aus dem Kanzleramt kam nicht nur ein kühles und klares Ja zurück, sondern auch noch der Hinweis, die Chefin sei es leid, sich für diese Branche in Brüssel in die Bresche zu werfen. Oft genug habe sie sich, wie einst der Autokanzler Gerhard Schröder, im Kreis der europäischen Regierungschefs isoliert. Allzu oft habe sie getan, was deutsche Regierungen jahrzehntelang immer taten in EU-Abgasdebatten: erst um möglichst milde Regelungen bitten und dann auch noch deren Inkrafttreten so gut es geht verzögern. Irgendwann sei es auch mal genug.
Die Branche war fassungslos. Vorstandschefs, Investoren, Zulieferer, aber auch Arbeitnehmervertreter schlugen Alarm. Vor einer „unkontrollierbaren Rutschpartie“ warnte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, es drohe der Wegfall von Hunderttausenden Arbeitsplätzen. War, was Merkel sich erlaubt hatte, eine „Kriegserklärung“ an die Konzerne, wie manche in der Industrie es damals ausdrückten?
„Zumindest war es ein Bruch mit den Gepflogenheiten“, sagt Thomas Steg, oberster VW-Lobbyist.
Thomas Steg und Eckart von Klaeden beseitigten die politischen Trümmer
Steg (59) betrachtet die Dinge etwas unemotionaler als andere und hat Übung darin, allzu Spitzes elegant abzurunden. Von 2002 bis 2009 war er stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, erst unter Schröder, dann unter Merkel. Wie er mit beiden gleichermaßen klarkam, bleibt sein Geheimnis. Steg sitzt jetzt an einem aufgeräumten weißen Schreibtisch in seinem Büro in der Wolfsburger Konzernzentrale. Alles hier ist klinisch rein, kein Blatt Papier fliegt herum. Er blickt aus seinem Fenster im vierten Stock des Bürogebäudes BT 10 auf einen kleinen Park, der gerade im Novembernebel liegt.
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Für VW schon seit Jahren ein wichtiger Mann in Berlin: Cheflobbyist Thomas Steg.
© Quelle: Roland Hermstein
Der Advent 2019 wird harmonischer sein als der letzte. Denn er und sein Stuttgarter Kollege Eckart von Klaeden (54), Cheflobbyist von Daimler, haben in monatelanger Kleinarbeit hinter den Kulissen die politischen Trümmer beseitigt, die die Kollision zwischen Kanzlerin und Konzernen hinterlassen hatte.
Wiedersehen im Weißen Haus
SPD-Mann Steg und CDU-Mann von Klaeden sind einen ähnlichen Weg gegangen. Beide haben nach dem Wechsel in die Wirtschaft auch dunkle Tage durchlebt. Steg musste zeitweise seinen Job ruhen lassen, weil er in eine Affäre um Affen verwickelt war, die in den USA einem Abgastest unterworfen wurden. Gegen von Klaeden ermittelte einst die Staatsanwaltschaft – die aber zu dem Schluss kam, es gebe keinen hinreichenden Verdacht, dass er schon in seiner Zeit im Kanzleramt für die Interessen der Autoindustrie gearbeitet habe.
Inzwischen aber erscheinen beide in neuem Licht. Im eigenen Haus haben Steg und von Klaeden einen Einfluss wie nie, den Rest der Welt beeindrucken sie schon durch ihre globale Flughöhe. Vor einem Jahr trafen sich Steg und von Klaeden im Weißen Haus: Donald Trump hatte ihre beiden Chefs eingeladen.
Die politische Sensibilität der Konzerne ist gewachsen
Früher verlor der Beauftragte für Außenbeziehungen seinen Posten, wenn ein neuer Vorstandschef kam. Steg indessen arbeitet nun schon für seinen dritten CEO. Martin Winterkorn hat ihn geholt, Matthias Müller ließ ihn im Amt, Herbert Diess hält ihn für unverzichtbar. Von Klaeden überstand den Wechsel von Dieter Zetsche zu Ola Källenius.
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Eckart von Klaeden (CDU) gelang ein nahtloser Übergang. Im November 2013 legte er seinen Sitz im Präsidium der Christdemokraten nieder und wechselte in die Leitung des Bereichs Politik und Außenbeziehungen von Daimler.
© Quelle: dpadpa
Der Respekt der Manager vor den Abteilungen mit politischem Verstand ist immens gewachsen. Die Zeiten, in denen Ingenieure und Betriebswirte die Autokonzerne dominierten, sind vorbei. In Regierungskreisen freut man sich über die gewachsene politische Sensibilität der Konzerne. Leute wie Steg und von Klaeden, heißt es, seien auch in der Lage, umgekehrt Einfluss zu nehmen und den Managern zu erklären, wie die Politik tickt.
Regierung und Autobauer rücken wieder zusammen
Ein für alle Welt sichtbares Zusammenrücken bekamen Bundesregierung und Konzerne am 4. November 2019 hin. Für VW-Mann Steg war es ein rundum gelungener Tag. Morgens war die Kanzlerin zu Gast im Werk Zwickau, wo sie an der Seite von Konzernchef Diess gut gelaunt die Produktion des Elektroautos ID.3 anschob. Abends war wiederum Diess zu Gast bei Merkel, beim Autogipfel im Kanzleramt. „Zum Glück“, sinniert Steg, „gibt es jetzt so etwas wie einen neuen deutschen Autokonsens.“
Zum Glück gibt es jetzt so etwas wie einen neuen deutschen Autokonsens.
Thomas Steg, VW-Lobbyist
Glück ist nicht ganz das richtige Wort. Denn keiner der in jüngster Zeit in Berlin gefassten Beschlüsse hat sich von selbst ergeben. Land und Leute erlebten, wie es aussieht, wenn Lobbyisten ein Lehrbeispiel ihrer leisen Kunst abliefern.
Lobbyisten: Da stellt Klein Fritzchen sich böse blickende Männer mit hochgeschlagenem Mantelkragen vor. In Wirklichkeit aber kommen sie ganz entspannt daher und hängen bei Besprechungen im Kanzleramt locker das Sakko über den Stuhl. Auf einmal geriet sehr viel in Bewegung. Das Steuerrecht wurde geändert, Subventionen wurden beschlossen, allerlei Bedingungen wurden formuliert. Ein munteres Geben und Nehmen kam in Gang, wie auf dem Basar.
Autogipfel vereint Schwarze, Rote, Grüne, Arbeitgeber und Gewerkschaften
Wie genau wird ein Entwurf zum Gesetz? Verfassungsrechtler zeigen Studenten dazu klar strukturierte Schaubilder. Beim Autogipfel aber konnte man schon mal die Übersicht verlieren, wie Zuschauer, die bei einem Tennismatch den Ball nicht mehr sehen. Denn so ein Autogipfel vereint alle: Schwarze, Rote, Grüne, Arbeitgeber, Gewerkschaften. Funkelnde dunkle Limousinen rauschen an, heraus steigen Vorstandschefs, Betriebsräte, diverse Bundesminister, aber auch Ministerpräsidenten aus den sogenannten Autoländern, unter ihnen der Grüne Winfried Kretschmann, der sich in einem S-Klasse-Mercedes chauffieren lässt und augenzwinkernd über seinen Wagen sagt: „Man kann mit ihm auch überholen.“
Wenn erst mal dieses massige, lagerübergreifende Magma in Bewegung kommt, sind die Lobbyisten in ihrem Element. „Das Wichtigste war“, sagt von Klaeden, „dass sich erst mal die Verspannungen lösen, die es auf beiden Seiten gab.“
Das Wichtigste war, dass sich erst mal die Verspannungen lösen, die es auf beiden Seiten gab.
Eckart von Klaeden, Cheflobbyist von Daimler
Und wer könnte zu den nötigen Auflockerungen besser beitragen als einer wie er, der auch die andere Seite kennt? Jahrelang, von 2009 bis 2013, nahm von Klaeden als Staatsminister im Kanzleramt täglich an Merkels vertraulicher Morgenrunde teil. Auch Steg kennt aus seiner Zeit als Regierungssprecher den allerengsten Kreis um die Kanzlerin. Mails an die seit 14 Jahren für Merkel tätige Büroleiterin Baumann beginnt Steg mit den Worten „liebe Beate“. Bundeswirtschaftsminister Altmaier ist für von Klaeden der „liebe Peter“. Mit dem Saarländer saß er einst, noch in Bonner Zeiten, in der schwarz-grünen „Pizza-Connection“ zusammen.
Dass heute die Grünen stärker einbezogen werden in die Autopolitik, ist für von Klaeden seit Langem ein Anliegen; Zetsche dirigierte er sogar mal in Richtung eines Grünen-Parteitags, seinen neuen Chef Källenius sah man unlängst mit Grünen-Chef Robert Habeck diskutieren.
Am Autogipfel im Kanzleramt nahmen Steg und von Klaeden selbst nicht teil. Die Kanzlerin will in dieser Runde nur noch CEOs sehen und Betriebsräte. Doch das war egal. Steg und von Klaeden hatten längst alles vorbereitet, bis ins Kleinste. Der Startschuss für ihre Arbeit kam lange vorher, durch Bekanntgabe des Termins und den Hinweis, dass die Kanzlerin zum Abschluss eine öffentliche Erklärung wünsche. Schon aus praktischen Gründen kann eine solche Erklärung nicht spätabends ausgetüftelt werden. Merkel hatte mit ihren Vorgaben also die eigentliche Konsenssuche ins Vorfeld verlagert, wie bei einem internationalen Gipfel.
Der Autogipfel war gut vorbereitet
In unzähligen Vorgesprächen wurde jetzt, abseits der beleuchteten Bühnen, jedes Detail hin- und hergewendet. Wie hoch soll die Kaufprämie für Elektrofahrzeuge sein? Wie lange soll die Regelung gelten? Wie verteilen Staat und Wirtschaft die Kosten, auch für die Ladestationen, ganz genau? Steg und von Klaeden fügten lose Enden zusammen und sorgten, nicht ganz unwichtig, für Konsens auch im jeweils eigenen Laden.
Beide standen in ständigem Kontakt mit Lars-Hendrik Röller (61), einem Informatiker und promovierten Ökonomen, der im Kanzleramt die mächtige Abteilung 4 leitet: Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik. Schon bald änderte sich der Tonfall. Wenn Politikexperten der Wirtschaft und Wirtschaftsexperten der Politik länger zusammensitzen, finden sie früher oder später zu einer neuen Sachlichkeit. Plötzlich geht es dann um sehr konkrete Daten und Zahlen. Und dann war auch der Kompromiss nicht mehr fern.
Das Autothema jedenfalls schreckte Röller nicht. Als Sherpa hat er die Kanzlerin schon zu ganz anderen Gipfeln begleitet, G 7 und G 20 etwa. Röller kennt die Routinen. Im ersten Schritt verhandelt man so viele strittige Punkte wie möglich schon mal weg, danach stellt man den Rest, der tatsächlich noch bei den „Chefs“ landet, als Varianten dar, in eckigen Klammern. Am Ende können die physisch Anwesenden nicht mehr viel falsch machen. Der Gipfel, das ist das Schöne, ist dann schon ein Erfolg, bevor er begonnen hat.
6.000 Euro ohne Bedürftigkeitsprüfung
So war es auch am 4. November. Die Manager, das war vorab geklärt, boten der Politik eine wahrhaft historische Umsteuerung in Richtung Elektromobilität an, in einem Maße, das sogar Fachleute der Grünen überraschte. Leise staunend stieß man vor zu einer neuen Erkenntnis: Die Politik kann von Deutschlands Autoindustrie viel mehr fordern als bisher – wenn sie sie auch viel mehr fördert als bisher. Eine alte Weisheit ebnete den Weg zum neuen Konsens: Alles hat seinen Preis.
Die Politik legte einiges auf den Tisch, ein höheres Kilometergeld etwa und mehr Hilfe beim Ausbau des Netzes von Ladestationen. Merkel stellte sage und schreibe eine Million öffentliche Ladepunkte in Aussicht. Die von Staat und Industrie hälftig bezahlte Kaufprämie für ein E-Auto unterhalb eines Listenpreises von 40.000 Euro soll auf stolze 6.000 Euro pro Fahrzeug steigen und bis 2025 gezahlt werden – „ohne Bedürftigkeitsprüfung“, wie Beteiligte ironisch anmerken.
Tatsächlich verliefen die Verhandlungen über die Grundrente sehr viel stockender.