Warum Siemens jetzt von der Vergangenheit eingeholt wird
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Siemens muss ersten Quartalsverlust seit zwölf Jahren verkraften.
© Quelle: Daniel Karmann/dpa
München. Das letzte Mal ein Quartal mit roten Zahlen hatte Siemens 2010 präsentiert, als der Konzern noch ein anderer war und Peter Löscher dessen Chef. In den drei Monaten von April bis Juni war es nun wieder so weit. Gut 1,5 Milliarden Euro Verlust nach Steuern stehen zu Buche, das Dreifache des Erwarteten, nach 1,5 Milliarden Euro Gewinn im Vorjahresquartal.
Den teuren Ausstieg aus Russland infolge des Ukraine-Kriegs hätte man noch verkraftet, erläuterte Finanzchef Ralf Thomas. Gut eine weitere halbe Milliarde Euro wurde dafür im dritten Quartal des Geschäftsjahr 2021/22 (zum 30. September) fällig und in der Summe bereits 1,1 Milliarden Euro. „Maximal eine mittlere dreistellige Millionensumme könnte noch nachkommen“, räumte Thomas ein. Das aber ist das kleinere Problem.
Hochdefizitäres Milliardengrab
Denn was Siemens letztlich im dritten Quartal 2021/22 tief in die Verlustzone gerissen hat, war eine Aktivität, die vor zwei Jahren mit gutem Grund in den Zweitkonzern Siemens Energy abgespalten wurde. Die dorthin ausgegliederte Energietechnik steht in einem anspruchsvollen Wandel von fossilen zu erneuerbaren Energien.
Ausgerechnet letztere in Form von Windkraft machen Siemens Energy zum schweren und wohl langjährigen Sanierungsfall. Nur noch gut ein Drittel hält der Mutterkonzern an diesem hochdefizitären Milliardengrab. Weil darauf nun Wertminderungen fällig werden, muss Siemens dafür 2,7 Milliarden Euro wertberichtigen. Das und die Belastungen des Russland-Geschäfts sorgen nun auch bei Siemens für ein Milliardendefizit und eine stark eingedampfte Jahresprognose. Wegen des sich immer stärker abzeichnenden Debakels bei der ungeliebten Tochter Siemens Energy ist auch die Aktie des Mutterkonzerns seit Jahresanfang um ein Drittel verfallen.
Deutsche Wirtschaft trotz Inflationssorge robust
Die Stimmung der deutschen Wirtschaft hellt sich trotz des Kriegs in der Ukraine überraschend weiter auf.
© Quelle: Reuters
„Es war kein einfaches Quartal“, formuliert es der aktuelle Siemens-Boss Roland Busch vornehm zurückhaltend. Siemens zeige viele Stärken vor allem in neuen digitalen Kerngeschäften, wo Aufträge fließen, Umsätze steigen und Gewinne sprudeln. Einschläge verkraften muss aber nun auch die Eisenbahnsparte, die vor allem vom Rückzug aus Russland getroffen ist und deshalb hohe Werte abschreiben muss. Das mag man noch als überschaubares Problem sehen. Aus Russland zieht man sich nicht jedes Jahr zurück. Aber Siemens Energy ist ein großer Dauersanierungsfall, was Siemens nun auch von Plänen Abstand nehmen lässt, sich rasch von den restlichen Anteilen zu trennen.
Problemfall Siemens Energy bleibt der Mutter vorerst erhalten
„Es wäre unklug, in einer solchen Situation zu verkaufen“, stellte Thomas klar. Erlösen würde Siemens ohnehin kaum etwas. Zudem steht Siemens Energy vor einer Kapitalerhöhung, um die spanische Problemtochter Siemens Gamesa mit ihrem maroden Windkraftgeschäft nun für bis zu 4 Milliarden Euro vollständig übernehmen zu können. Da wäre Druck auf die Energy-Aktie, die ein Verkauf von Siemens mit sich brächte, mehr als kontraproduktiv. Vorerst bleibt der Mühlstein also um den Hals des digitalen Mutterkonzerns.
Der kämpft in seinem Kerngeschäft indessen bislang erfolgreich damit, Lieferketten aufrechtzuerhalten. Zumindest von einem möglichen Gasmangel wäre man zudem kaum betroffen, beruhigt Busch. „Unsere Produktion ist nicht energieintensiv“, betont er. Was die allgemeine Inflation angeht, hat Siemens die eigenen Preise so weit erhöht, dass diese überkompensiert wurde, merkt Thomas an.
Bis Ende 2021/22 erwartet er deshalb unverändert einen Umsatzzuwachs von 6 bis 8 Prozent. Dazu kommen 99 Milliarden Euro Rekordauftragsbestand. Aber die Gewinnprognose musste nun vor allem wegen Siemens Energy um rund ein Drittel reduziert werden. Zumindest sind aktuell keine Stellen in Gefahr, versichert Thomas. Im kommenden Geschäftsjahr 2022/23 erwartet er dann eine Normalisierung der globalen Nachfrage. Aber das sind die Probleme des nächsten Jahres.