Finnische Regierungschefin will die Vier-Tage-Woche – ein Vorbild für Deutschland?
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Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin ist mit 34 Jahren die weltweit jüngste Regierungschefin.
© Quelle: Heikki Saukkomaa/Lehtikuva/dpa
Hannover. Sanna Marin ist in vielerlei Hinsicht besonders. Sie wuchs in einer Regenbogenfamilie mit zwei Müttern auf, ist links – und mit gerade mal 34 Jahren schon Ministerpräsidentin von Finnland. Damit ist die Sozialdemokratin die jüngste Regierungschefin weltweit. Wohlgemerkt in einem Land, dessen politische und wirtschaftliche Elite sich wie so oft jahrelang vor allem aus Männern rekrutiert hat.
Es ist eine Zäsur für die finnische Politik, dass mit Marin nun eine Frau an der Spitze des Landes steht. Und sie hat sich viel vorgenommen. Die linke Sozialdemokratin wirbt für umfangreiche Reformen – vor allem in der Arbeitswelt.
So dachte Marin bereits laut über eine Vier-Tage-Woche nach. „Eine Vier-Tage-Woche, ein Sechs-Stunden-Arbeitstag, warum sollte das nicht der nächste Schritt sein können?“, sagte sie der „Helsinki Times“. „Ich glaube, die Menschen verdienen es, mit ihren Familien, ihren Lieben, ihren Hobbys und den anderen Dingen des Lebens mehr Zeit zu verbringen“, so die Politikerin.
2003 scheiterte die IG Metall mit ihrem letzten großen Kampf um kürzere Arbeitszeiten
Damit hat Marin in Finnland die Debatte um Arbeitszeiten wieder ins Zentrum der Politik gerückt. Auch in Deutschland wird das Thema immer wieder diskutiert. In der betrieblichen Praxis allerdings spielt Arbeitszeitverkürzung keine große Rolle. Wohl auch, weil sich die Gewerkschaften in der Vergangenheit damit eine blutige Nase geholt haben.
So scheiterte die IG Metall 2003 im letzten großen Arbeitszeitstreit kolossal. Die Gewerkschaft wollte auch für die Beschäftigten im Osten die 35-Stunden-Woche durchsetzen – und musste den Arbeitskampf letztlich erfolglos abbrechen. Für die bis dato erfolgsverwöhnten Metaller war es die schwerste Niederlage ihrer Geschichte. Ein weiterer Anlauf scheiterte in diesem Jahr am Widerstand der Arbeitgeber.
Wäre es aber nicht an der Zeit, auch in Deutschland staatlicherseits wieder die Arbeitszeitfrage zu stellen? Wenn es nach Wirtschaftswissenschaftlern geht, lautet die Antwort: Nein. Und selbst gewerkschaftsnahe Ökonomen sind kritisch. „Die reine Forderung nach einer Vier-Tage-Woche ist allein zu wenig“, sagt etwa der Arbeitsmarktexperte Alexander Herzog-Stein vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). „Das wird der modernen Arbeitswelt auch nicht gerecht, denn gute Arbeitszeitpolitik ist mehr“, so Herzog-Stein gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
In Deutschland gibt der Staat den Rahmen vor, die Tarifparteien regeln den Rest
In der Bundesrepublik gibt der Staat über das Arbeitsrecht einen Rahmen vor, wie lange gearbeitet werden darf. Pro Woche sind maximal 48 Stunden erlaubt. Gewerkschaften und Arbeitgeber bestimmen alles Weitere – inklusive Flexibilitätsmodelle, wie sie etwa in der letzten Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie ausgehandelt wurden.
Dort haben viele Beschäftigte mittlerweile die Wahl zwischen zusätzlichem Geld und mehr Freizeit. Ähnlich sieht es mittlerweile bei Bahnbeschäftigten und in der chemischen Industrie aus.
Für Arbeitsmarktexperte Herzog-Stein weisen solche Tarifabschlüsse den Weg in die Zukunft. „Moderne Arbeitszeitpolitik bietet für die Beschäftigten Schutz und auf der anderen Seite aber auch Flexibilität“, sagt der Wissenschaftler.
Er plädiert daher dafür, das System der Flächentarifverträge zu stärken. Beschäftigte profitierten am meisten, wenn starke Gewerkschaften für sie Verbesserungen aushandelten. Und auch die Arbeitgeber konnten in der Vergangenheit so ihre Wünsche durchsetzen. In der Metallindustrie etwa sei es möglich, Mitarbeiter zeitweise regelmäßig länger als 35 Stunden arbeiten zu lassen.
Arbeitszeitpolitik, die flexibel auf die Lebenssituation der Beschäftigten reagiert – und auch Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung bietet: Vielleicht ist es auch das, was die neue finnische Regierungschefin mit ihrem Vorstoß eigentlich bezwecken wollte. Dann, so Arbeitsmarktexperte Herzog-Stein, wäre es ein Schritt in die richtige Richtung.