Paketdienste im Ausnahmezustand: DHL liefert sonntags
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DHL-Paketzustellung wie in der Vorweihnachtszeit: Paketdienste sind wegen der Corona-Krise an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen
© Quelle: imago images/Winfried Rothermel
Seit zehn Tagen hängt die Radlerhose im Räderwerk von DHL fest. Laut jüngstem Eintrag im Online-Sendungsverlauf vom 16. April wird das Päckchen in der Zustellbasis „für die Verladung ins Zustellfahrzeug vorbereitet“. Das Schicksal der Hose ist kein Einzelfall. Paketdienste sind wegen der Corona-Krise an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Deshalb will der Marktführer DHL womöglich auch am nächsten Sonntag ausliefern.
„Derzeit haben wir ein Aufkommen von etwa neun Millionen Sendungen pro Tag“, sagte ein DHL-Sprecher dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Das entspreche in etwa dem Volumen in der Weihnachtszeit. 5,2 Millionen Pakete täglich sind in normalen Zeiten der Durchschnitt. In den vergangenen anderthalb Wochen ist das Aufkommen stark gestiegen.
Paketaufkommen wie vor Weihnachten
Um den erhöhten Arbeitsaufwand zu bewältigen, sei intern alles verfügbare Personal mobilisiert worden – inklusive Leuten aus der Verwaltung. Zudem seien in den vergangenen drei Wochen 2000 zusätzliche Beschäftigte eingestellt worden. Dennoch sei es enorm schwer, die gesteigerte Zahl der Sendungen zu bewältigen. Deshalb sei die Zustellung am Sonntag ein Weg, um für Entlastung zu sorgen. So wie gerade in München geschehen.
Laut DHL waren am 19. April 400 Frauen und Männer damit beschäftigt, 50.000 Pakete an private Haushalte auszuliefern – ein Novum für Paketdienste hierzulande. Transportkapazitäten für rund 50 Lastwagen-Ladungen wurden so freigemacht.
„Lage ändert sich täglich"
Der DHL-Sprecher schließt nicht aus, dass solche Aktionen in verschiedenen Regionen auch für nächsten Sonntag angeleiert werden. „Das können wir aber frühestens am Donnerstag entscheiden“, so der Sprecher. „Die Lage ändert sich täglich.“ In Frage kommen vor allem Ausnahmeregelungen für Verteilzentren, die Großstädte beliefern.
Der Sprecher der Deutsche-Post-Sparte macht aber darauf aufmerksam, dass die Sonntagszustellung nicht zum Normalfall werden soll. „Es gilt weiterhin der Sechs-Tage-Rhythmus.“ Um am siebten Tag ausliefern zu dürften, muss DHL bei den zuständigen Behörden der Bundesländer jeweils einmalige Ausnahmen vom generellen Verbot der Sonntagsarbeit beantragen. Vor Ostern sei das für Berlin per Eilverfahren gerichtlich abgewiesen worden.
Das bayerische Arbeitsministerium hingegen habe für vergangenen Sonntag eine Genehmigung erteilt, erläutert der DHL-Sprecher. Und er betont, dass die Zusteller sich freiwillig gemeldet hätten, dass Zuschläge für Sonntagarbeit gezahlt würden und der Extra-Einsatz auf die Arbeitszeit angerechnet werde.
Massive Vorwürfe vom Onlinehandel
Zuletzt hatte es massive Vorwürfe vom Bundesverband Onlinehandel (BVOH) gegeben. Logistiker wie DHL hätten zusätzliche Abholfahrten bei Händlern ersatzlos storniert. Hätten die Paketdienste rechtzeitig auf den Engpass hingewiesen, wäre der Verkauf gedrosselt worden.
„Jetzt stehen die gepackten Pakete beim Händler und werden nicht ausgeliefert“, so BVOH-Präsident Oliver Prothmann. Verzögerungen um mehrere Tage seien die Folge. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen im Onlinehandel hätten in der Corona-Krise „extreme Anpassungen“ vornehmen müssen. Er wirft den DHL-Managern hingegen vor, dass sie auch nach vier Wochen Lockdown nicht in der Lage seien, den Transportbedarf richtig zu planen. „Es gibt keine Ausreden wegen mangelnder Kapazitäten bei Transport oder Personal“, betont Prothmann.
Viele Händler auf DHL angewiesen
Laut BVOH haben die Paketdienste DPD und GLS ebenfalls einen starken Anstieg bei der Abfertigung der Paketvolumina bestätigt. Bislang seien da aber keine Engpässe zu vermelden. Viele Händler sind auf DHL angewiesen. Der Paketdienst der teilstaatlichen Deutschen Post hat hierzulande einen Marktanteil von deutlich mehr als 50 Prozent. Die übrigen Anbieter folgen mit großem Abstand. Nummer zwei ist Hermes, eine Tochter der Hamburger Otto-Gruppe.
Der BVOH macht auch darauf aufmerksam, dass sich die Arbeit der Zusteller aufgrund des Lockdowns erleichtert habe. Denn wegen vieler Arbeitnehmer im Home-Office sei die Quote der Erstzustellungen stark gestiegen. Der geringere Verkehr in den Städten lasse eine schnellere Lieferung zu. Auch seien Verteilzentren entlastet, da es weniger Warensendungen für Firmen gebe.
Zusätzliche Sonderfahrten bereiten Probleme
Der DHL-Sprecher bezeichnet die Vorwürfe des Verbandes als bizarr. Die regulären Abholfahrten bei den Händlern würden nach wie vor durchgeführt. Allerdings könnten zusätzliche Sonderfahrten in einigen Regionen nicht durchgeführt werden. In puncto Kapazitätsplanung müsse beachtet werden, dass beim Weihnachtsgeschäft die Planungen fürs zusätzliche Paket-Aufkommen schon im Sommer beginnen würden. In der Corona-Krise habe es eine vergleichbare Vorlaufzeit nicht gegeben.
Indes ist offen, ob die große Zahl der Online-Bestellungen in den nächsten Tagen weiter anhält. Am Montag durften in vielen Bundesländern kleinere Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmeter Verkaufsfläche wieder öffnen. Für Auto-, Fahrrad- und Buchhändler gibt es keine Größenbeschränkung. Allerdings gelten für die Kunden Abstandregeln und die Bundesregierung hat das Tragen von Atemmasken beim Einkaufen dringend empfohlen.