Berechtigte Ohrfeigen für Christian Lindner
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Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzender, stellt seine FDP gern als den Hort der wirtschaftlichen Vernunft dar, bekommt nun aber ausgerechnet von den Wirtschaftweisen eine Ohrfeige.
© Quelle: Swen Pförtner/dpa
Berlin. Für Finanzminister Christian Lindner kommt es an diesem Mittwoch knüppeldick. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung legt sein Jahresgutachten vor, und nach allem, was man hört, ist dieses gespickt mit Ohrfeigen für den liberalen Finanzminister. Das Sondervermögen zur Finanzierung der Gaspreis- und Strompreisbremse? Intransparent! Entlastungsinstrumente wie der Tankrabatt? Wenig zielgenau! Lindners Steuersenkungspläne zur Abmilderung der kalten Progression? Verfrüht! Die Weigerung der Liberalen, Besserverdienende zur Finanzierung der gewaltigen Kosten der Energiekrise heranzuziehen? Unsolidarisch!
Fast hat es den Anschein, als legte das wichtigste wirtschaftspolitische Beratergremium der Bundesregierung mit seinem Gutachten eine Generalabrechnung mit dem ersten Jahr liberaler Finanzpolitik seit Rolf Dahlgrün vor. So hieß der letzte Finanzminister der FDP, der vor 60 Jahren das Amt als oberster Kassenwart der Nation übernommen hatte.
Die FDP ist kein Hort der wirtschaftlichen Vernunft
Lindner will seine FDP eigentlich als Hort der wirtschaftlichen Vernunft innerhalb der Bundesregierung inszenieren. Insofern dürften ihn die Vorhaltungen jenes Gremiums, das den ökonomischen Sachverstand schon im Titel trägt, besonders schmerzen. Zumal die Wirtschaftsweisen eine Kritik aufnehmen, die auch in FPD-nahen Milieus weit verbreitet ist.
Kaum ein Mittelständler oder Freiberufler versteht noch, warum der FDP-Chef sich in den Kopf gesetzt hat, den Bundeshaushalt ausgerechnet in einer Zeit zu sanieren, in der die Republik mit der größten wirtschaftspolitischen und geostrategischen Herausforderung ihrer Geschichte konfrontiert ist. Selbst der Arbeitgeberpräsident, politisch alles andere als ein Jungsozialist, sah sich gezwungen, öffentlich zu erklären, dass Austerität in der aktuellen Lage womöglich nicht das dringlichste aller Probleme sei.
Es war eben auch jenes haushaltspolitische Mantra Lindners, das die Ampel in ihre erste große Krise gestürzt hat. Die von Anfang an verkorkste Gaspreisbremse war nicht zuletzt ein Ergebnis des Bemühens des Finanzministers, seinen Haushalt nicht über Gebühr zu belasten. Am Ende tut Lindner das nun doch, nur dass die neuen Schulden bei ihm „Sondervermögen“ heißen, was nichts anderes als ein Euphemismus ist. Den Vorwurf mangelnder Transparenz hat er sich verdient.
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Lindner agiert nicht staatsmännisch
Lindner hätte gut daran getan, in der Krise staatsmännisch zu agieren und die Parteiinteressen der FDP hintenan zu stellen. Die von den Wirtschaftsweisen aufgeworfene Idee eines Energiesolis ist klug und hätte beim Schnüren der Entlastungspakete vieles vereinfacht. Wann, wenn nicht in einer solchen Krise, kann man Gutverdienenden abverlangen, einen größeren Anteil für jene zu schultern, die unter den galoppierenden Energiekosten massiv leiden? Denn genau das befördert doch die gesellschaftliche Spaltung: Während es für die einen um einen verlangsamten Vermögensaufbau geht, kämpfen andere längst um ihre wirtschaftliche Existenz.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in der Krise die andere Strategie gewählt und seinen Grünen eine Menge zugemutet. Bei den Wählerinnen und Wählern ist das gut angekommen. Allerdings ist Habeck auf halber Strecke stehen geblieben: Die befristete Laufzeitverlängerung aller drei Atomkraftwerke wollte er seinen Parteifreundinnen und ‑freunden nicht auch noch auferlegen, dafür bedurfte es eines Machtwortes des Bundeskanzlers.
Habeck hat dafür bezahlt, seine Beliebtheitswerte gingen zuletzt nach unten. Und auch ihm stellen die Wirtschaftsweisen in der Atomfrage ein schlechtes Zeugnis aus. Womöglich ist die Kritik am Rivalen für Lindner ein kleiner Trost. Retten wird sie ihn nicht.