Folgen eines russischen Öl-Embargos

Wie die letzte deutsche Raffinerie unabhängig werden könnte

Brandenburg, Schwedt: Anlagen auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH. In der Erdölraffinerie PCK in Schwedt kommt Rohöl aus Russland über die Pipeline „Freundschaft“ an.

Brandenburg, Schwedt: Anlagen auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH. In der Erdölraffinerie PCK in Schwedt kommt Rohöl aus Russland über die Pipeline „Freundschaft“ an.

Schwedt/Brüssel. Es geht rasant abwärts. Der Anteil russischen Öls am deutschen Ölverbrauch ist binnen weniger Wochen von 35 auf 12 Prozent gesunken – das stellte Wirtschaftsminister Robert Habeck am Sonntag im neuen Fortschrittsbericht Energiesicherheit heraus. Nun hält der Grünen-Politiker auch ein Öl-Embargo gegen Moskau wegen des Angriffs auf die Ukraine für machbar. Die Pläne der Europäischen Union dafür dürften schon bald konkreter werden. Doch bleibt eine hohe Hürde: der Betrieb der wichtigen Raffinerie in Schwedt, die große Teile Ostdeutschlands versorgt. Und es bleibt die Furcht vor einem weiteren Preisschock für Verbraucher und Industrie.

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Öl-Embargo der EU: Preisobergrenzen oder Übergangsfristen?

Es sieht sehr danach aus. Nach den Gräueltaten in ukrainischen Orten wie Butscha ist der Druck auf kritische Mitgliedstaaten gewachsen. Selbst die lange zurückhaltende Bundesregierung unterstützt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel nun Planungen für ein Einfuhrverbot für russisches Öl. Als Bremser galten zuletzt noch Ungarn, Österreich und die Slowakei, die selbst sehr abhängig von russischem Öl sind, sowie Spanien, Italien und Griechenland, die einen weiteren Anstieg der Energiepreise fürchten.

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Die EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen will nach dpa-Informationen baldmöglichst den Entwurf für ein neues Paket mit Russland-Sanktionen präsentieren. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass ein Öl-Embargo dazu gehört. Offen sind mögliche Übergangsfristen. Da noch so viele Staaten Bedenken haben, könnte der Vorschlag lauten, die Einfuhr russischen Öls noch bis Herbst oder sogar bis in den Winter zuzulassen. Als denkbare Alternative zum Importverbot gelten Preisobergrenzen der EU für Öl aus Russland, um dessen Einkünfte zu kappen. Nach Schätzung der Denkfabrik Bruegel wurde in die EU zuletzt täglich russisches Öl im Wert von etwa 450 Millionen Euro importiert.

Raffinerie in Schwedt könnte enteignet werden

Von den deutschen Öl-Importen aus Russland – 2021 nach Habecks Angaben wie gesagt 35 Prozent des Verbrauchs – kamen bisher etwa ein Drittel per Schiff nach Westdeutschland und zwei Drittel über die Druschba-Pipeline in die Raffinerien in Leuna in Sachsen-Anhalt und Schwedt in Brandenburg. Die Bezieher im Westen hätten neue Lieferanten gesucht, sagt Habeck. Auch der Leuna-Betreiber Totalenergies will russisches Öl bis zum Jahresende ersetzen – nötigenfalls auch schneller, wie der Minister in einer Videobotschaft darlegt: „Das Problem ist also auch gelöst.“ Der verbliebene Anteil russischen Öls von zwölf Prozent entfalle auf Schwedt. „Das letzte Drittel ist das eigentliche Problem“, sagt Habeck.

Die PCK-Raffinerie wird betrieben vom russischen Staatskonzern Rosneft. „Und die haben natürlich gar keine Interessen daran, dass sie nicht russisches Öl raffinieren“, sagt Habeck. „Wenn ich da anrufe und sage: „Hallo, was wollt ihr eigentlich tun, um unabhängig von russischem Öl zu werden?“, dann nehmen die den Hörer gar nicht ab.“ Die Bundesregierung erwägt deshalb als letztes Mittel eine Enteignung. Grundlage soll eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes sein, die bis Mitte Mai beschlossen sein könnte. Habeck scheint davon auszugehen, dass die Hürde Rosneft relativ schnell zu nehmen ist: „Die Beendigung der Abhängigkeit von russischen Rohölimporten zum Spätsommer ist realistisch.“

„Aus technischer Sicht wäre eine alternative Versorgung der Schwedt Raffinerie über den Hafen Rostock und Danzig möglich“, heißt es im Energiesicherheitsbericht. Eine Pipeline für Tankeröl aus Rostock könnte 60 Prozent des Bedarfs in Schwedt decken, mit einer Erweiterung möglicherweise bis zu 90 Prozent, schreibt auch der Energieexperte Steffen Bukold in einer Studie für Greenpeace. Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) sieht tatsächlich Möglichkeiten, mehr Öl von Rostock nach Schwedt zu leiten. Es seien jedoch viele Detailfragen zu klären.

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Hinzukommen müssten für Schwedt Lieferungen aus dem Hafen Danzig über die sogenannte Plock-Pipeline, wie der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf sagt. Dies ist auch ein neuer Bezugsweg für Leuna. Klar ist für Südekum aber: „Ersatz für das russische Öl gibt es nur zu höheren Preisen.“

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Umstieg wird Mehrkosten verursachen

Voraussichtlich ja. Russisches Rohöl ist Südekum zufolge mangels Nachfrage seit Kriegsbeginn deutlich billiger als Öl aus anderen Quellen, das nun viele haben wollen. Da vor allem Ostdeutschland bisher am russischen Öl hängt, müssen dort große Mengen zu höheren Preisen ersetzt werden. Das dürfte Verbraucher der Region treffen. In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fahren bisher neun von zehn Autos mit Kraftstoff aus Schwedt. Leuna beliefert rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.

Zwei weitere Kostenfaktoren drohen: Die Anlagen in Leuna und Schwedt müssen womöglich neu eingestellt werden, wenn statt sibirischen Öls andere Sorten kommen. Und vielleicht müssen Raffinerien im Westen zur Versorgung Ostdeutschlands beitragen, wie Bukold in der Greenpeace-Studie schreibt. Das hieße Transporte von Sprit oder Heizöl mit Lastern oder Zügen – es hieße Aufwand und Kosten.

Vor allem in Schwedt ist die Verunsicherung groß. 1200 Menschen sind direkt im Werk beschäftigt, zudem Hunderte Mitarbeiter bei Zulieferern und Dienstleistern auf dem Gelände. Auch sie habe im Moment mehr Fragen als Antworten, sagt Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (parteilos). In einem Brief mahnte sie Habeck zur Umsicht. „Vom Bundeswirtschaftsministerium fühlen wir uns derzeit zu wenig mitgenommen“, kritisiert Hoppe.

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Öl-Embargo könnte Konjunktur bremsen

Neben der Enteignungsfrage hängt viel davon ab, ob aus neuen Quellen genug Öl zur Auslastung der Raffinerie käme. Südekum hält es für denkbar, dass eine Differenz bleibt. Ähnliche Bedenken gibt es in Leuna. So sagte Christof Günther – Geschäftsführer der Infraleuna, die die Infrastruktur in Leuna betreibt – im März, ein 100-prozentiger Ersatz werde nicht möglich sein. Zulieferer könnten leiden. Am Chemiestandort Leuna arbeiten rund 100 Firmen mit 12.000 Beschäftigten.

Ein abrupter Öl-Importstopp könnte nach Einschätzung von Ökonomen die Preise auf dem Weltmarkt vorübergehend drastisch antreiben und die Konjunktur in Deutschland bremsen. Übergangsfristen würden den Effekt eines Embargos wohl mildern. Habeck sagt es so: „Es würde sicherlich zu regionalen Engpässen führen, es würde sicherlich zu höheren Preisen führen, es würde möglicherweise auch zu lokalen Unterbrechungen kommen. Man kann also nicht sagen, niemand merkt es. Aber es würde nicht mehr zu einer Vollkatastrophe führen.“

RND/dpa

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