Interview mit EU-Kommissionsvize

Welche Folgen hat der Ukraine-Konflikt für die Wirtschaft? EU-Handelskommissar Dombrovskis gibt Antworten

Valdis Dombrovskis, EU-Handelskommissar und Vizepräsident der EU-Kommission.

Valdis Dombrovskis, EU-Handelskommissar und Vizepräsident der EU-Kommission.

Brüssel/Berlin. Valdis Dombrovskis (50) ist einer der Stellvertreter von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Als Handelskommissar gehört der Lette zu den wichtigsten politischen Entscheidern in Brüssel. Denn beim Handel hat die EU-Kommission mehr zu sagen als in den meisten anderen Politikfeldern.

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Herr Vizepräsident, hat die EU-Kommission das Sanktionspaket gegen Russland schon geschnürt?

Das Sanktionspaket befindet sich in der Abschlussphase. Momentan läuft eine intensive Abstimmung der EU-Kommission mit den EU-Mitgliedsstaaten und internationalen Partnern. Die westliche demokratische Welt muss eine einheitliche Reaktion zeigen. Denn in der jetzigen Krise geht es um die Sicherheit, die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine. Aber es geht auch um die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur, die von Russland infrage gestellt wird.

Wie viel Zeit braucht die EU-Kommission noch?

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Ich kann jetzt kein konkretes Datum nennen. Aber wenn wir müssen, dann können wir die Sanktionen binnen weniger Tage verhängen.

Es heißt, Russland müsse im Falle einer Invasion mit „hohen Kosten“ rechnen. Was bedeutet das konkret?

Ich will nicht ins Detail gehen, aber es wird eine breite Palette von Sanktionen geben, die sich gegen Personen, gegen Wirtschaftssektoren und gegen das Finanzsystem richten. Aber es geht auch um Sanktionen im Bereich der Energie. Die Liste ist umfangreich.

Wird die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 Teil der Sanktionen sein?

Ich nenne keine Details.

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Münchener Sicherheitskonferenz: Baerbock kündigt deutliche Sanktionen gegen Russland an
18.02.2022, Bayern, München: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit Antony Blinken, Außenminister der USA. Die Sicherheitskonferenz findet vom 18. bis zum 20.02.2022 im Hotel Bayerischer Hof statt. Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Außenministerin Annalena Baerbock hat Russland mit „präzedenzlosen Sanktionen“ im Falle eines Angriffes auf die Ukraine gedroht.

Gut, dann versuchen wir es mit dieser Frage: Ist Nord Stream 2 im europäischen Interesse?

Die EU-Kommission hat eine sehr klare Position: Wir machen schon seit Jahren deutlich, dass wir Nord Stream 2 nicht als ein Projekt sehen, das mit den Zielen der europäischen Energiepolitik in Einklang steht.

Die EU-Kommission will die Ukraine mit Finanzhilfen unterstützen. Warum?

Der massive russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine hat enorme finanzielle Konsequenzen für die Ukraine. Ausländische Investitionen werden abgezogen. Der Haushalt der Ukraine ist eine Schieflage geraten. Da müssen wir dringend helfen. Also haben wir ein Kreditprogramm in Höhe von 1,2 Milliarden Euro vorbereitet, das in Tranchen von zweimal 600 Millionen Euro ausgezahlt werden soll. Dazu kommen noch direkte Zuschüsse von 120 Millionen Euro.

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Wann wird das Geld in Kiew ankommen?

Vor ein paar Tagen hat das Europäische Parlament diese Makrofinanzhilfe genehmigt. Bereits gestern haben die EU-Staaten auch zugestimmt. Jetzt werden die Schritte zur Auszahlung eingeleitet. Die Auszahlung der ersten Tranche sollte bereits im ersten Quartal stattfinden.

Fürchten Sie, dass Russland die Energie als Waffe einsetzen und die Lieferungen nach Europa verringern oder gar einstellen wird?

Angesichts der gegenwärtig sehr angespannten Situation und einer möglichen Eskalation kann ich das natürlich nicht ausschließen. Das kann passieren.

Aber bis jetzt hat Russland seine Verträge erfüllt, oder?

Das ist richtig. Russland liefert gemäß den langfristigen Verträgen. Aber es kommt auch kein Kubikmeter mehr bei uns an als in den Verträgen festgeschrieben. Und Russland macht nichts, um die derzeitige komplizierte Energiesituation in der EU zu entschärfen. Die Speicher leeren sich.

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Bemerkenswert, denn gerade angesichts der hohen Energiepreise könnten Russlands Gas- und Ölkonzerne doch Milliarden machen. Warum geschieht das nicht?

Ich weiß leider keine Antwort auf diese Frage: Die Nachfrage ist da, die Preise sind sehr hoch, aber das Angebot gibt es nicht. Das sieht nicht nach marktwirtschaftlichem Verhalten aus. Deshalb hat die EU-Kommission jetzt eine Untersuchung eingeleitet. Wir prüfen, ob Russland den Markt manipuliert.

Wie kann die EU die Abhängigkeit von ausländischer Energie verringern und gleichzeitig den Menschen in der aktuellen Lage helfen, in der die Energiepreise durch die Decke gehen?

Die Europäische Kommission hat bereits auf die hohen Energiepreise reagiert. Wir haben eine sogenannte Toolbox vorgeschlagen mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen. Momentan geht es in erster Linie darum, schwachen Bevölkerungsgruppen und Unternehmen zu helfen, um den derzeitigen Preisanstieg abzumildern. Wir brauchen auch strategische Gasspeicher, um Situationen wie in diesem Winter zu vermeiden. Langfristig hilft uns der europäische Green Deal. Wenn wir schrittweise aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, macht uns das immun gegen Preisspitzen bei fossilen Brennstoffen oder Marktmanipulationen.

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gesagt, Russland müsse wissen, dass europäische Hightechprodukte Teil eines Sanktionspakets sein werden. Was sind das für Produkte?

Sie lassen nicht locker, oder? Ich kann, wie gesagt, die Sanktionsliste nicht öffentlich machen. Aber ich habe gesagt, dass ein Teil der Sanktionen auch Exportkontrollen sein wird. Dazu gehören natürlich auch Hightechprodukte.

Besteht nicht die Gefahr, dass Russland sich an China wenden wird, um diese Produkte zu bekommen?

Risiken gibt es immer. Und wenn wir über dieses Sanktionspaket diskutieren, dann ist auch klar, dass es gewisse Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft haben wird. Solche Sanktionen bleiben niemals folgenlos. Aber es stellt sich die Frage der Alternative. Wir sind mit einer möglichen militärischen Aggression in Europa konfrontiert, die die gesamte europäische Sicherheitsordnung gefährdet. Da sollten wir auch akzeptieren, dass auf uns einige Kosten zukommen.

Russland-Ukraine-Krise hält Börse und Kryptowährung in Atem
14.02.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Eine Aktienhändlerin der ICF Bank beobachtet auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse ihre Monitore. Der Ukraine-Konflikt wird zu Beginn der Handelswoche am Aktienmarkt zu einer großen Belastung. Ein befürchteter Einmarsch Russlands in das Nachbarland hatte schon die Kurse an den US-Börsen auf Talfahrt geschickt. Der Deutsche Aktienindex (Dax) fiel zum Handelsstart unter die Marke von 15 000 Punkten. Foto: Arne Dedert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Gibt es eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise oder steht ein russischer Einmarsch in das Nachbarland bevor?

Wie werden sich Sanktionen gegen Russland auf den internationalen Handel auswirken?

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Ich glaube nicht, dass es da größere Schwierigkeiten geben wird. Wir importieren aus Russland hauptsächlich fossile Energie. Das globale Handelssystem ist ebenso wenig in Gefahr wie die internationalen Lieferketten.

Wirken sich die derzeitigen Spannungen auf das Wirtschaftswachstum aus?

Derzeit sehen wir keine größeren Auswirkungen auf die Konjunktur. Wir erwarten, dass die EU-Wirtschaft in diesem Jahr um 4 Prozent wachsen wird. Es gibt Risiken, aber die sehen wir eher in der Pandemie, den hohen Energiepreisen und der Inflation als in der russischen Ukraine-Politik.

Russland und China wollen offenbar auf wirtschaftlicher Ebene enger zusammenarbeiten. Was heißt das für die EU?

Es spricht nichts dagegen, wenn Länder wirtschaftlich zusammenarbeiten. Die Frage ist allerdings, ob die Länder dabei die internationalen Regeln respektieren. Wenn Russland Nachbarländer bedroht, ist das auch ein schwerer Verstoß gegen die internationale Ordnung. Und auch Chinas spielt längst nicht immer nach den Regeln.

Treffen vor Olympia: Putin bietet China zusätzliche Gaslieferungen an
HANDOUT - 04.02.2022, China, Peking: Dieses von den chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zur Verfügung gestellte Foto zeigt 
Wladimir Putin (l), Präsident von Russland, und Xi Jinping, Präsident von China, während ihrer Gespräche im Diaoyutai State Guesthouse. Vor dem Hintergrund der Spannungen mit den USA rücken Russland und China enger zusammen. Der russische Präsident Putin suchte am 04.02.2022 in Peking vor Beginn der Olympischen Winterspiele bei einem Gipfel mit Staats- und Parteichef Xi insbesondere Rückendeckung in der Ukraine-Krise. Foto: Li Tao/Xinhua/AP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Bei dem Besuch von Putin in Peking wurden zusätzliche Gaslieferungen vereinbart.

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Sie spielen auf das Verfahren gegen China vor der Welthandelsorganisation WTO an, das Sie als Handelskommissar gerade wegen eines Streits um Patente auf Handychips eröffnet haben. Was genau ist das Problem?

China schränkt EU-Unternehmen mit Rechten an Schlüsseltechnologien wie 5G beim Schutz dieser Rechte stark ein, wenn ihre Patente beispielsweise von chinesischen Mobiltelefonherstellern illegal oder ohne angemessenen Ausgleich genutzt werden. Patentinhaber, die außerhalb Chinas vor Gericht gehen, werden in China oft mit erheblichen Geldstrafen belegt. Dadurch werden sie unter Druck gesetzt, sich mit Lizenzgebühren unter den marktüblichen Sätzen zufriedenzugeben. Das geht direkt gegen Innovation und Wachstum in Europa. Das müssen wir dringend auf WTO-Ebene klären.

Die WTO ist im Moment gar nicht handlungsfähig.

Die WTO ist in einer Krise und muss reformiert werden. Wir haben dazu detaillierte Vorschläge vorgelegt und arbeiten daran, die WTO wieder schlagkräftig zu machen. Wir sind aber keineswegs wehrlos. Die erste Instanz zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten funktioniert noch, und wir haben unsere europäischen Bestimmungen so angepasst, dass wir auch auf Grundlage erstinstanzlicher Entscheidungen handeln können.

Ohne funktionierendes Berufungsgremium werden Sie die beiden Streitfälle mit China niemals lösen können.

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Doch, und das ist genau der Punkt. China ist Teil eines Interimsabkommens, das die Möglichkeit vorsieht, Ad-hoc-Berufungsgremien einzurichten. Und wenn Länder sich entscheiden, die nicht funktionierende zweite Instanz anzurufen, handeln wir eben auf Grundlage der erstinstanzlichen Entscheidungen. Genau dafür haben wir unsere Bestimmungen geändert.

Täuscht der Eindruck, oder tritt die Welt gerade in eine neue Phase von Handelskonflikten ein?

Wir sind eigentlich schon seit ein paar Jahren in dieser neuen Phase. Die geopolitische und die wirtschaftliche Welt ist konfrontativer geworden sind. Das ist eine Tatsache. Darauf haben wir schon vor einem Jahr mit unserer handelspolitischen Strategie reagiert, die auf drei Grundsätzen beruht: Wir stehen für einen freien und auf Regeln basierenden internationalen Handel. Wir wollen nachhaltig wirtschaften. Und: Wir haben unseren Instrumentenkasten gefüllt, mit dem wir uns verteidigen können, wenn andere Länder sich nicht an die Regeln halten.

Um sich zu verteidigen, braucht man keine Instrumente, sondern Waffen. Ist die Wirtschaftssupermacht EU angesichts der Aggressivität, mit der Russland und China ihre Interessen durchsetzen, nicht immer noch viel zu brav?

Wenn sich alle gut benehmen, wäre das für alle das Beste. Die EU wird sicher nicht das Recht des Stärkeren postulieren. Wir glauben an ein Handelssystem, das auf Regeln basiert, und wir investieren viel Zeit, Energie und Mühe, um dieses System zu erhalten. In der Regel sollten wir uns an die Regeln halten – damit sind wir nicht schlecht gefahren.

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Das mit den Regeln ist ja auch innerhalb der EU so eine Sache. Gegen die Schuldenregeln etwa wird von nahezu allen Mitgliedsstaaten heiter verstoßen. Die Konsequenz ist, dass Sie sie nun anpassen wollen. Schönes Vorbild …

Der Vergleich hinkt gewaltig. Tatsache ist, dass alle Länder – auch Deutschland – mit einem deutlich höheren Schuldenstand aus der Krise gekommen sind. Tatsache ist auch, dass die Vorgaben für den Abbau dieser Schulden einige Länder überfordern werden. Jedes Jahr ein 20stel der Schulden oberhalb der Maastricht-Quote zurückzubezahlen wird in einigen Staaten den Aufschwung abwürgen. Hier brauchen wir mehr Flexibilität. Zwischen Mai und Juli wird die Kommission einen Vorschlag für eine entsprechende Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes vorlegen.

Was sagt der deutsche Finanzminister zu der Idee?

In dem Ziel, mehr Flexibilität zu bekommen, um die glaubwürdige Durchsetzung unserer fiskalischen Regeln zu ermöglichen, bin ich mir mit Christian Lindner absolut einig. Und wir werden die Defizitgrenze des Maastricht-Vertrages nicht anrühren. 60 Prozent vom BIP, bei dieser Schuldenobergrenze bleibt es. Es geht uns lediglich um den Weg, wie diese Quote erreicht werden soll. Ich denke, da finden wir auch mit Deutschland eine Lösung.

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