VW und Kraftfahrt-Bundesamt verlieren vor Gericht

Nach neuem Dieselskandal-Urteil: Droht jetzt die nächste Rückrufwelle

Die Wechselprämien für Gebrauchtwagen von VW und Audi würden «bis auf Weiteres» verlängert, sagte Konzern-Vertriebsleiter Christian Dahlheim.

Die Wechselprämien für Gebrauchtwagen von VW und Audi würden „bis auf Weiteres“ verlängert, sagte Konzern-Vertriebsleiter Christian Dahlheim.

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Das Verwaltungsgericht Schleswig hat den Dieselskandal noch einmal auf die Tagesordnung gebracht. Das Gericht hält Softwareupdates, mit denen die Motoren 2016 nachgebessert wurden, für rechtswidrig und hat einen entsprechenden Freigabebescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) aufgehoben. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht insgesamt bis zu zehn Millionen Autos mehrerer Marken betroffen, die erneut nachgebessert oder sogar stillgelegt werden müssten.

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Das KBA und Volkswagen als betroffener Hersteller betonen allerdings, dass der Richterspruch vorerst keine direkten Folgen habe: Das Urteil ist nicht rechtskräftig, vermutlich geht das Verfahren in die nächste Instanz.

Es geht um das sogenannte Thermofenster

Die Umwelthilfe liegt seit Jahren im Clinch mit dem KBA, weil sie die von der Behörde genehmigten Nachbesserungen an der Motorsteuerung von Anfang an für illegal hielt. Zwar wurde damals die Softwarefunktion entfernt, die erkennt, wenn ein Fahrzeug auf dem Prüfstand steht. Es gibt aber ein sogenanntes Thermofenster: Die Abgasreinigung wird unter bestimmten Bedingungen, vor allem bei niedrigeren Temperaturen, gedrosselt. Die Hersteller und das KBA berufen sich auf eine Ausnahme im EU-Recht, die das erlaube, um Motorschäden zu verhindern.

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Die DUH sieht nach eigenen Untersuchungen eher eine Regel als eine Ausnahme. Rückhalt bekam sie bereits 2020 vom Europäischen Gerichtshof, der die Ausnahme eng auslegte: Das Thermofenster sei nur erlaubt, um „den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen“. Der Schutz des Motors vor Verschmutzung und Verschleiß gehöre nicht dazu. Darauf stützt sich nun auch das Schleswiger Gericht.

In dem Fall geht es um einen VW Golf Plus TDI mit dem berühmt gewordenen Motor EA189 nach Abgasnorm Euro 5. Nachdem Volkswagens Abgasbetrug mit diesem Motor im September 2015 bekannt geworden war, mussten viele Hersteller ihre Motoren unter Aufsicht des KBA nachbessern. Das Amt wertete die Softwarepdates später in einer Analyse als Erfolg und verwies auf deutlich verbesserte Abgaswerte auch bei niedrigeren Temperaturen.

Gericht bringt Behörde unter Zugzwang

Bis heute bleibt das KBA dabei, und auch VW verweist darauf, dass die Maßnahmen am Motor erlaubt seien. Das Verwaltungsgericht dagegen fordert die Behörde auf, den rechtswidrigen Zustand abzustellen. Das KBA und der im Prozess beigeladene VW-Konzern wollen nun die Urteilsbegründung abwarten, bevor sie über weitere Schritte entscheiden. Möglich wäre unter anderem eine Sprungrevision direkt zum Bundesverwaltungsgericht.

Blick auf das Werksgelände von Volkswagen in Wolfsburg.

Sorge um VW: Niedersachsen protestiert gegen strengere Abgasnorm Euro 7

Die EU will die Abgasvorschriften für neue Autos verschärfen. Niedersachsens Ministerpräsident Weil (SPD) interveniert dagegen bei der Bundesregierung. Anders die Grünen im Landtag: Sie betonen den Umwelt- und Gesundheitsschutz.

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Die auf den Dieselskandal spezialisierten Anwaltskanzleien sehen bereits die nächste Prozesswelle rollen. „Dieses Urteil leitet den Dieselskandal 2.0 ein“, sagt etwa der Berliner Anwalt Claus Goldenstein. Wer noch keinen Schadensersatz durchgesetzt habe, erhalte nun „sehr wahrscheinlich“ eine zweite Chance. Wie groß die ist, wird auch von einem weiteren Urteil im März abhängen: Dann wird sich der Europäische Gerichtshof mit einer weiteren Dieselklage gegen Mercedes befassen.

Im Extremfall wackelt der VW-Vergleich

Die Umwelthilfe hat nach eigenen Angaben 118 Prozesse nach dem Schleswiger Muster wegen Updates bei verschiedenen Herstellern angestrengt. „Dieses Urteil hat grundlegende Wirkung, denn es ist direkt übertragbar auf alle anderen Fahrzeuge mit temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen“, sagt DUH-Anwalt Remo Klinger. Das Kraftfahrt-Bundesamt müsse nun betroffene Autos aller Hersteller zurückrufen und nachrüsten lassen. Ob dafür noch Softwareupdates ausreichen, ist fraglich. Die Alternative wäre eine Rücknahme auf Kosten der Hersteller.

VW hatte sich im Dieselskandal bereits mit rund 200.000 Kundinnen und Kunden auf einen Vergleich geeinigt und Schadensersatz gezahlt. Im Extremfall könnten allerdings auch sie noch einmal Forderungen stellen, heißt es beim Verbraucherzentrale-Bundesverband, der die Einigung verhandelt hatte: Sollte eine technische Nachbesserung nicht möglich sein, könnte Fahrzeugen letztlich die Typgenehmigung entzogen und der Betrieb untersagt werden. In der Vereinbarung mit VW sei ausdrücklich geregelt, dass die Autobesitzer für diesen Fall ihre Ansprüche behalten, sagte ein Verbandssprecher.

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