Neues Buch zum Wirecard-Skandal: Warum die Alarmglocken ungehört verhallten

Das Sachbuch zeigt eines besonders: Alarmglocken haben die Geschichte von Wirecard und Vorgängerfirmen von Anfang an begleitet.

Das Sachbuch zeigt eines besonders: Alarmglocken haben die Geschichte von Wirecard und Vorgängerfirmen von Anfang an begleitet.

München. „Die Wirecard-Story“ der Investigativreporter Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg ist eine akribische Skandalchronik über Aufstieg und Fall des einstigen Dax-Konzerns aus Aschheim bei München. Wer Aufstieg und Fall des Zahlungsdienstleisters Wirecard über die Jahre genau verfolgt hat, erfährt darin kaum Neues. Doch das dürften nur die wenigsten sein. Für alle anderen ist der Erkenntnisreichtum dagegen groß. Zum anderen verdichtet das Sachbuch eines besonders: Alarmglocken haben die Geschichte von Wirecard und Vorgängerfirmen von Anfang an begleitet. Interessiert hat das an entscheidender Stelle aber niemand so richtig, bis es zu spät war.

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Der Skandal hinter dem Skandal

Das ist der Skandal hinter dem Skandal, den die Journalisten der „Wirtschaftswoche“ auf 251 Seiten beschreiben. Anrüchig beginnt es vor zwei Jahrzehnten mit Zahlungsdiensten für die Pornoindustrie. Damals haben auch die späteren Hauptprotagonisten Markus Braun und Jan Marsalek die Szene betreten. Letzterer wird als begnadeter Programmierer und Brauns Sekretär beschrieben, Braun als derjenige, der das Geschäft nach einer ersten Pleite 2001 wiederbelebt hat.

Schon damals soll Marsalek viel versprochen und wenig gehalten haben, aber gut darin gewesen sein, das zu verschleiern. Er und der langjährige Wirecard-Boss Braun blieben bis zum Ende in enger Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die beiden Autoren decken in der „Wirecard-Story“ harte Indizien dafür auf, dass der Konzern noch Zahlungsdienste für US-Glücksspielanbieter geleistet hat, als das längst illegal war.

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Ein sich wiederholendes Muster

Sie erzählen Episoden wie die der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, die schon 2008 den Wirecard-Braten gerochen, aber sich wegen Spekulationsgeschäften mit Wirecard-Aktien durch führende Funktionäre selbst angreifbar gemacht hat. Auch deshalb konnte Wirecard seinerzeit den Kopf aus der Schlinge ziehen. Aber schon damals wird ein Muster sichtbar, das sich stetig wiederholt:

Ermittler von Staatsanwaltschaft über die Finanzaufsicht Bafin bis zu Wirtschaftsprüfern glauben im Zweifel Unschuldsbeteuerungen von Braun und Marsalek. Sie schauen nicht so genau hin wie einzelne Experten, obwohl es manchmal wenig braucht, um die Wahrheit zu sehen. Ein Beispiel: Wirecard hat behauptet, über gut 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten philippinischer Banken zu verfügen. Die Bestätigungen dafür lauteten auf Euro. Die benannten Banken hatten aber keine Einlagen in Fremdwährung dieser Dimension in ihren einsehbaren Bilanzen. Das Geld konnte also gar nicht auf den behaupteten Konten liegen. Eine weitere Konstante ist das stetige Verschwinden real existierender Gelder im Umfang dreistelliger Millionensummen aus Wirecard heraus in dunkle Kanäle. Das geschah über ungedeckte Kredite an dubiose Partner, die Scheinfirmen sein dürften.

Es geschah per Erwerb einer Firma zu enorm überhöhtem Kaufpreis, der an einen Tarnfonds auf Mauritius floss, und es geschah über das Ziehen von Bankkrediten und Abräumen von Wirecard-Konten kurz vor der Pleite. Das Autorenduo hat herausgefunden, dass kurz vor Insolvenzanmeldung zwischen Januar und April 2020 noch 800 Millionen Euro Bankkredite auf Wirecard-Konten geflossen sind, die Insolvenzverwalter Michael Jaffe nicht mehr vorgefunden hat.

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Kritische Journalisten wurden bespitzelt

Wer Wirecard kritisiert und die Bilanz angezweifelt hat, wurde von Marsalek und dessen Kontakten im Geheimdienstmilieu verfolgt. Auch das schildert das Buch. Kritische Journalisten wurden bespitzelt, hartnäckige Fondsmanager abgehört, Spekulanten, die gegen Wirecard an der Börse gewettet hatten, körperlich bedroht. Gleichzeitig wurden bei Wirecard Verträge über angebliche Geschäfte bis zu zwei Jahre rückdatiert, um nicht existierende Gewinne ausweisen zu können.

„Die Wirecard-Story“, Hardcover, 272 Seiten, November 2020, 19,99 Euro.

„Die Wirecard-Story“, Hardcover, 272 Seiten, November 2020, 19,99 Euro.

Im September 2018 haben diese Praktiken bis in den Dax geführt und die Aktie zum Allzeithoch von 196 Euro. Aber selbst da, als die Alarmglocken schriller wurden, ermittelten Staatsanwaltschaft und Bafin lieber gegen kritische Journalisten der „Financial Times“ (FT) als gegen Wirecard. Zumindest ein Wirecard-Plan zur Übernahme der Deutschen Bank wurde 2019 von „FT“-Berichten torpediert.

Im April 2020 erschüttert eine KPMG-Sonderprüfung das Kartenhaus Wirecard unrettbar. Die Weigerung lange gutgläubiger EY-Kollegen, die Bilanz für 2019 zu testieren, bringt es zum Einsturz. Braun und andere kommen in Haft. Marsalek ist da längst auf der Flucht. Er wird als ein Empfänger riesiger Geldsummen vermutet, die Wirecard jahrelang abgezapft wurden. „Ich glaube jetzt mal nicht, dass du die Gelder privat abgezweigt hast“, schreibt ihm ein Berater, der mit Marsalek bis zuletzt in Handykontakt stand. „Jetzt bin ich fast enttäuscht, dass du mir das nicht zutraust“, antwortet der wiederum nach Recherchen der Autoren.

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