Was bringt die Senkung der Mehrwertsteuer wirklich?
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Die Mehrwertsteuer soll sinken.
© Quelle: imago images/Christian Ohde
Verbraucher sollten beim Einkaufen demnächst genauer hinschauen. Die großen Einzelhandelskonzerne haben angekündigt, die Preise zu senken. Und zwar in dem Maß, wie die schwarz-rote Koalition die Mehrwertsteuer vom 1. Juli bis zum 31. Dezember reduzieren will. Der Edeka-Verbund, Marktführer bei Lebensmitteln, hat am Freitag angekündigt, „die steuerlichen Vorteile eins zu eins an die Kunden der rund 7000 Edeka-Märkte weiterzugeben“. Das sei für sein Unternehmen selbstverständlich, betonte Markus Mosa, Chef der Edeka-Zentrale in Hamburg. Auch Netto, die Discountsparte der Gruppe, will von Juli an „viele unserer Produkte deutlich im Preis senken und so alle unsere Kundinnen und Kunden an der Mehrwertsteuersenkung ganz direkt teilhaben lassen“.
Da können die wichtigsten Rivalen nicht nachstehen. Aldi Nord und Süd teilten mit, die Mehrwertsteuersenkung „in Form von günstigeren Preisen an die Kunden“ weitergegeben. Ähnliches ist von Rewe zu hören. Lidl und die Tochter Kaufland lassen wissen: „Wir werden alle Produkte des täglichen Bedarfs mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 16 anstatt 19 Prozent und dem ermäßigten Satz von 5 anstatt 7 Prozent anbieten“.
Konkret werde das bedeuten, dass der Liter Milch, der derzeit noch 79 Cent kostet, künftig für 77 Cent angeboten wird. Nivea Hautcreme gebe es dann für 1,13 statt 1,16 Euro. Und die 800-Gramm-Packung gemischtes Hackfleisch würde bei Aldi Süd um 11 Cent auf 4,18 Euro verbilligt.
Unter Ökonomen umstritten
Unter Wirtschaftswissenschaftlern ist der Beschluss der Koalitionäre indes umstritten. Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) lobt: „Wir setzen damit einen starken Impuls für den Konsum“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Auch der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, erklärte im Deutschlandfunk: „Es ist eine Maßnahme, mit der man kurzfristig den Umsatz ankurbeln kann.“
Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), betonte hingegen im RND-Interview: „Es ist überhaupt nicht klar, ob die Unternehmen die Senkung überhaupt weitergeben, zumal es im Einzelhandel vielfach Schwellenpreise gibt: Was vorher 99 Euro kostete, wird man nun nicht für 97,50 Euro verkaufen.“
Rewe und Edeka machen jedenfalls schon einmal darauf aufmerksam, dass Preisumstellungen Kosten verursachen und, so Edeka, auch „erhebliche Mehrbelastungen“ für die Beschäftigten bringen – gut möglich, dass manche Händler schon allein deshalb nicht jeden einzelnen Artikel im Sortiment billiger machen. Das hätte dann auch noch den für die Betriebe den Vorteil, dass ein bisschen mehr übrig bleibt – Geld, das viele Händler nach den harten Wochen des Lockdowns gut gebrauchen können.
Nicht alles wird billiger
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, kehrt auch hervor, dass eine reduzierte Mehrwertsteuer zwar „tendenziell preissenkend“ wirkt. Er macht aber schon vorsorglich darauf aufmerksam, dass entsprechende Auswirkungen „nicht zwangsläufig auf Einzelproduktebene“ zu beobachten sein werden. Art und Umfang der Effekte würden sich vielmehr als „Ergebnis von Marktprozessen“ ergeben.
Gemeint ist damit: Die Steuersenkung kann durch andere Faktoren überdenkt werden. Die jeweiligen Einkaufskonditionen und die aktuelle Nachfrage spielen eine entscheidende Rolle. Und da hat es wegen Corona in den vergangenen Monaten jede Menge Kapriolen gegeben. So schoss der Preis für Paprika und anderes Gemüse zeitweise um bis zu 30 Prozent in die Höhe, weil das Kochen am heimischen Herd angesagt und Ware schwer zu bekommen war.
Wird Mode jetzt richtig günstig?
Weitere Verwerfungen sind in nächster Zeit denkbar. In der Textilbranche waren ganze Frühjahrs- und Sommerkollektionen zeitweise unverkäuflich. Insbesondere bei Primark und anderen Händlern, die im sogenannten Fast-Fashion-Segment agieren, kommen nun neue Teile in großen Mengen in die Läden. Branchenkenner rechnen damit, dass es deshalb bald Supersonderangebote für Liegengebliebenes geben könnte – mit Abschlägen von 30 oder 50 Prozent, die also weit über der Mehrwertsteuersenkung rangieren. Ein psychologischer Effekt könnte dabei den Verkauf zusätzlich befeuern: Wenn alle von Steuersenkungen reden, kann das die Kauflaune der Konsumenten steigern, die wegen Corona beim Geldausgeben zuletzt sehr zurückhaltend waren.
Preise für Autos sollen sinken
Das gilt insbesondere bei der Anschaffung teurer und langlebiger Konsumgüter. Etwa Autos. Auf den Höfen der Autohändler stehen nach Angaben des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe derzeit Neuwagen mit einem Gesamtwert von 14,8 Milliarden Euro. Es dürfte sich insgesamt um rund 500.000 Pkw handeln. Auch dort gibt es ein Versprechen, und zwar vom Verband der Automobilindustrie (VDA), der nun auf eine „Anreizwirkung“ hofft: „Das bedeutet, dass die im VDA organisierten Hersteller jeweils für sich die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Absenkung der Mehrwertsteuer in vollem Umfang den Kunden zu Gute kommen kann.“
Angesichts der hiesigen Neuwagenbestände bei den Händlern war aber ohnehin zu erwarten, dass hohe Rabatte auch ohne Mehrwertsteuersenkung früher oder später gekommen wären. Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer bezeichnet die geringeren Steuersätze folglich als „ein Sahnehäubchen, das sicher anregt, bei Autobauern und -händlern mehr zu machen“.