„Wenn ich bis jetzt kein Corona habe, dann jetzt“: Das große Grenzchaos
Dicht gedrängt stehen Lkw-Fahrer vor den Corona-Teststationen.
© Quelle: Wittwer Spedition & Logistik GmbH
Mehr als 25 Kilometer Lkw-Stau auf Fernstraßen in Tschechien. Sperrung der Brennerautobahn für Lastwagen. Meterlange Warteschlangen vor den Corona-Teststationen. Die strengen Grenzkontrollen für Fahrzeuge aus Virusmutationsgebieten haben am Montag in Nachbarländern Chaos angerichtet. Die Spediteure üben massive Kritik an der Politik. Sie befürchten, leere Supermarktregale und Produktionsstopps in der Autobranche. Und sie fordern freie Fahrt für den Güterverkehr.
Testinfrastruktur an den Landesgrenzen aufbauen
„Wir werden Wirtschaftsminister Altmaier bitten, die Grenzkontrollen für Lkw-Fahrer, die im Transit durch Virusvariantengebiete fahren, sofort aufzuheben“, sagte Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Logistikverbandes BGL, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) – mit Blick auf den Wirtschaftsgipfel am Dienstag, zu dem Peter Altmaier (CDU) mehr als 40 Organisationen eingeladen hat.
Sollten dennoch Corona-Tests als notwendig erachtet werden, müssten Selbsttests der Fahrer akzeptiert werden. Es gelte, diese Ad-hoc-Maßnahmen in einem zweiten Schritt durch den Aufbau einer Testinfrastruktur an den Grenzen zu ergänzen.
Engelhardt: Grenzkontrollen sind „Blödsinn“
Am Montag habe sich die Lage von Stunde zu Stunde verschlimmert, so Engelhardt. Die italienische Polizei habe am Morgen begonnen, die Brennerautobahn schon ab Verona für Lkw zu sperren und zu kontrollieren, welche Lkw in Richtung Deutschland unterwegs sind. Damit wollten die italienischen Behörden verhindern, dass die Laster im österreichischen Bundesland Tirol stranden, das die Bundesregierung zum Virusmutationsgebiet erklärt hat.
Das gilt auch für ganz Tschechien. Was bedeutet, dass Lkw-Fahrer an der deutschen Grenze negative Corona-Tests vorweisen müssen, um einreisen zu dürfen. Dieses Prozedere scheint jedoch nicht reibungslos zu verlaufen, wie Bilder einer Corona-Teststation am Brenner zeigen, die dem RND vorliegen. Darauf zu sehen sind zahlreiche Lkw-Fahrer, die dicht beisammenstehen und auf einen Corona-Abstrich warten.
Meterlange Warteschlangen haben sich vor den Teststationen gebildet.
© Quelle: Wittwer Spedition & Logistik GmbH
Aufgenommen wurden die Bilder von Lkw-Fahrern der Wittwer Spedition & Logistik GmbH. Geschäftsführer Georg Wittwer teilte mit: „Grundsätzlich haben wir Verständnis für Maßnahmen, die das Coronavirus erfolgreich bekämpfen. Jedoch haben wir erheblichen Zweifel am Erfolg, wenn die Corona-Tests so ablaufen.“ Ein Fahrer habe die Situation wie folgt kommentiert: „Seit Monaten bin ich nicht mehr in einer derartigen dicht gedrängten Menschenansammlung gewesen. Wenn ich bis jetzt kein Corona bekommen habe, dann jetzt.“
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Lkw stauen sich auf der Autobahn 17 in Richtung Dresden. Bundespolizisten kontrollieren Einreisende in der Nähe des Grenzübergangs zu Tschechien.
© Quelle: Robert Michael/dpa-Zentralbild/d
BGL-Vorstandssprecher Engelhardt bezeichnete die obligatorischen Kontrollen als „Blödsinn“. Dabei erinnerte er an die sogenannte Green-Lane-Guideline, die die EU unter deutscher Präsidentschaft auf den Weg gebracht hat, um den Fluss des Warenverkehrs zu gewährleisten. Einige Monate später erinnere man sich daran nicht mehr.
Italien ist wichtiger Zulieferer der Automobilindustrie
Der BGL-Chef befürchtet, dass die Lage in den nächsten Tagen sehr schnell eskalieren könnte. Autobauer müssten dann die Fertigung stoppen, „und Lücken in Supermarktregalen werden die Folge sein“. Es könne Dominoeffekte geben – so wie beim ersten Lockdown, als Verbraucher begannen, Klopapier oder Nudeln zu hamstern. Wenn nur ein weiteres Nachbarland zum Virusvariantengebiet werde, dann potenziere sich das Problem, so der Sprecher des BGL-Vorstands.
Italien ist in zweierlei Hinsicht für die hiesige Wirtschaft enorm wichtig. Aus dem südeuropäischen Land werden große Mengen Lebensmittel – auch frisches Obst und Gemüse – importiert. Zudem gehören Unternehmen aus Oberitalien zu den wichtigsten Zulieferern für die Automobilwerke. Die am stärksten frequentierte Transportroute führt über den Brenner und durch Tirol. Auch auf Komponenten aus Tschechien sind die Fahrzeughersteller angewiesen. Zudem gibt es auch dort Transitverkehr mit Gütern, die unter anderem aus Ungarn und Rumänien kommen.
Mit Grenzkontrollen gegen die Mutante
Ab Sonntag wird wegen der Virusmutanten verschärft kontrolliert. Nicht nur Reisende aus Tirol und Tschechien sind betroffen, sondern auch aus der Slowakei.
© Quelle: Reuters
Automobilkonzerne beobachten Situation an den Grenzen genau
Die hiesigen Autobauer konnten am Wochenbeginn die Produktion aufrechterhalten. „Noch gibt es an unseren Standorten keine Einschränkungen, aber wir beobachten das natürlich weiter“, erklärte ein Sprecher des Volkswagen-Konzerns am Montag. Man habe versucht, sich bestmöglich auf die Situation vorzubereiten. Das Thema sei aber mehrschichtig: „Selbst wenn ein Lkw-Fahrer einen negativen PCR-Test zur Grenze mitbringt, heißt das ja nicht, dass er nicht aufgrund langer Staus trotzdem erst einmal in der Schlange stehen kann.“ Daher sei man mit Zulieferern und Logistikern in engem Kontakt. „Wir müssen jetzt von Tag zu Tag weiterschauen.“
Wir produzieren aktuell ohne Einschränkungen, beobachten die Lage und die weitere Entwicklung.
Sprecher der Audi AG
Ähnliches war von BMW und Audi zu hören: „Unsere Werke sind derzeit versorgt und produzieren planmäßig“, hieß es beim Münchner Autobauer. „Erste Lieferungen konnten bereits die Grenzen passieren und sind ohne größere Verzögerungen in unseren Werken angekommen.“ Ein Audi-Sprecher erklärte: „Wir produzieren aktuell ohne Einschränkungen, beobachten die Lage und die weitere Entwicklung.“
Lastwagen umfahren Virusvariantengebiete
Der Automobilverband VDA vermutet, dass es zuerst Standorte erwischen könnte, die nicht weit von der tschechischen Grenze liegen. Dazu zählen Regensburg, Dingolfing, Leipzig (alle BMW), Zwickau (Volkswagen) und Ingolstadt (Audi). Womöglich liegt die vorläufig noch funktionierende Versorgung auch daran, dass Lkw nun die Virusvariantengebiete umfahren: „Ich weiß, dass Speditionen ihre Touren bereits umplanen. Und wenn alle alternative Routen nutzen, entsteht das Verkehrschaos an anderer Stelle – durch Überlastungen mit Lkw und mit Staus, die sich gewaschen haben“, erläuterte Engelhardt.
Denkbar ist unter anderem, dass Lastwagen aus Ost- und Südosteuropa über Polen nach Deutschland fahren oder eine Route quer durch Österreich nehmen, um dann im Salzburger Land die deutsche Grenze zu passieren. Das könnte auch für Fernverkehr aus Italien eine Ausweichstrecke sein.
Sind die Corona-Kontrollen für Lastwagenfahrer übertrieben?
Indes ist aus Sicht des BGL der Nachweis eines negativen Corona-Tests für Lkw-Fahrer überzogen: „Wenn ein Lkw-Fahrer im Transit durch Tirol isoliert im Fahrerhaus fährt, warum muss er sich dann negativ testen lassen?“, fragt der Vorstandssprecher des Verbandes. Schließlich seien bei den Tests von Lkw-Fahrern vor Weihnachten im englischen Dover nur 0,15 Prozent positiv getestet worden. Die Fahrer hätten unterwegs und an ihren Zielorten keinerlei Kontakt zu anderen Personen.
Zu einer funktionsfähigen Infrastruktur für Corona-Tests gehört nach Ansicht von Engelhardt beispielsweise am Autobahnparkplatz im österreichischen Kufstein ein Testzentrum. Dort müsse es PCR-Schnelltests und für Fahrer die Möglichkeit geben, dort die Handynummer zu hinterlassen, damit er sofort weiterfahren könne und per Handy über das Ergebnis informiert werde. Bei einem positiven Test sei es dann allerdings nötig, dass der Fahrer sich in Quarantäne begebe – etwa in einem Hotel – und erst bei einem weiteren Test mit negativem Ergebnis weiterfahre.