Bund und Länder beraten über Änderung

Nach Bund-Länder-Runde: Wird Containern straffrei?

Bei einer Demonstration trägt ein Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor ein Plakat mit der Aufschrift „Essen retten ist kein Verbrechen – Containern legalisieren!“.

Bei einer Demonstration trägt ein Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor ein Plakat mit der Aufschrift „Essen retten ist kein Verbrechen – Containern legalisieren!“.

Berlin. Wer Lebensmittel aus dem Müll fischt, muss bislang noch mit Strafen rechnen. Vielleicht aber nicht mehr lange – am Dienstag haben Bund und Länder über eine möglichen Entkriminalisierung beraten. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatten sich zuvor einem entsprechenden Vorstoß des Landes Hamburg angeschlossen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Stadtstaat hatte eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Buß­geld­verfahren vorgeschlagen. Demnach soll das sogenannte Containern nur noch dann bestraft werden, wenn ein Haus­friedens­bruch vorliegt, „der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht oder gleichzeitig den Tatbestand der Sach­beschädigung erfüllt“. Folgen alle 15 übrigen Bundesländer diesem Vorschlag, müsste es keine Gesetzes­änderung auf Bundesebene geben.

Finden die 16 Bundesländer eine Einigung?

Ob sich die 16 Justizministerinne und -minister jedoch darüber einig werden, blieb am Dienstag offen. Der Bund-Länder-Ausschuss traf noch keine Entscheidung. Allerdings wurde vereinbart, dass die Länder in einem Umlaufverfahren bis Mitte März eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Das teilte das hessische Justiz­ministerium am frühen Nachmittag mit. Hessen hat den Vorsitz des Ausschusses inne. „Der strafrechtliche Umgang mit dem Containern wird weiter auf der Tages­ordnung bleiben“, sagte Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) nach der Sitzung. Das abschließende Votum des Ausschusses bleibe abzuwarten. „Es ist üblich, dass Entscheidungen in diesem Fachgremium einstimmig getroffen werden“, sagte Poseck.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Er selbst stehe einer Diskussion über Neuregelungen, die allgemeine Maßstäbe für Fälle des Containerns aufstellen, offen gegenüber. „Dabei sollte Beachtung finden, dass die Fälle des Containerns in der Regel nicht strafwürdig sind. Ein Lösungsweg könnte auch sein, dass der für das materielle Strafrecht zuständige Bundes­gesetz­geber Regelungen zur grundsätzlichen Straffreiheit des Containerns in das Straf­gesetz­buch aufnimmt“, so der hessische Justizminister. „Wichtig bleibt aber, dass Fälle mit erhöhter krimineller Energie, bei denen weitere Straftaten wie Haus­friedens­bruch und Sach­beschädigung, begangen werden, auch weiterhin strafrechtlich verfolgt werden können.“

Bund-Länder-Ausschuss tagte zum Containern

Nach Angaben des hessischen Justizministeriums ging es bei der Sondersitzung ausschließlich um den straf­verfahrens­rechtlichen Umgang mit dem Containern. Schon vor der digitalen des Bund-Länder-Ausschusses war unklar, ob es zu einer Einigung kommen werde. Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges hatte sich vorab skeptisch gezeigt und von „Augenwischerei“ gesprochen. Zwar wolle man den Vorschlag prüfen. „Tatsächlich gibt es doch kaum Container, aus denen man etwas herausnehmen kann, ohne zugleich einen straf­bewehrten Haus­friedens­bruch oder eine Sach­beschädigung zu begehen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Auch jetzt schon könnten Staats­anwaltschaften Verfahren gegen Menschen, die containern, wegen Geringfügigkeit einstellen.

Nordrhein-Westfalen hingegen will den Vorschlag aus Hamburg „wohlwollend und konstruktiv“ prüfen, erklärte eine Sprecherin des dortigen Justizministeriums dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir sind uns einig, dass Lebensmittel nicht verschwendet werden dürfen“. Der Vorschlag aus der Hansestadt sei dabei interessant.

Unbezahlbar

Unser Newsletter begleitet Sie mit wertvollen Tipps und Hintergründen durch Energiekrise und Inflation – immer mittwochs.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Andere Länder würden sogar noch einen Schritt weiter gehen. Berlin sprach sich vor wenigen Tagen dafür aus, das Containern sogar komplett zu entkriminalisieren. Bremen würde gerne über eine grundlegende Straffreiheit diskutieren. „Das Ausmaß der Lebens­mittel­verschwendung ist weder ethisch noch ökologisch vertretbar“, sagte Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD) dem RND. „Menschen dafür zu bestrafen, noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern zu holen, ist vor diesem Hintergrund geradezu obszön.“

Staatsanwaltschaften können Verfahren einstellen

Der Vorschlag aus Hamburg sei ein Schritt in die richtige Richtung, den Bremen unterstütze, weil er pragmatisch sei und sich relativ schnell umsetzen lasse. „Gleichwohl sollte aber auch grundlegend diskutiert werden, ob Containern – also das An-sich-Nehmen von weggeworfenen Lebensmitteln – überhaupt strafbar sein sollte“, so Schilling. Allerdings müsse das Thema generell mehr in den Fokus rücken - beispielsweise indem große Lebensmittelbetriebe oder Supermärkte verpflichtet würden, noch genießbare Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen zu verteilen. Auch dass Gemüse, das nicht den „Schönheitskriterien“ entspreche, vielfach entsorgt werde, dürfe nicht sein.

In der App "Too Good to go" kann man übrig gebliebene Lebensmittel bei Restaurants und Supermärkten in der Nähe kaufen.

Lässt sich mit der App Too Good To Go beim Einkauf sparen?

Ein paar Bier, etwas vom Hotelfrühstücksbuffet, Backwaren oder ein besonderes Abendessen – mit der App Too Good To Go kann man Lebensmittel vor der Tonne retten. Aber lässt sich damit auch Geld sparen? Ein Test.

In mehreren Bundesländern stellen Staats­anwalt­schaften bereits heute Verfahren wegen Containerns häufig ein. Vor den Beratungen am Dienstag blieb noch unklar, ob die Richtlinien für Straf- und Buß­geld­verfahren künftig vorsehen, dass die Behörden Verfahren wegen Diebstahls weggeworfener Lebensmittel in der Regel einstellen.

Ein Sprecher des Thüringer Justizministeriums sagte dem RND, dass in Thüringen bislang keine Fälle des sogenannten Containerns und dessen strafrechtlicher Verfolgung bekannt geworden seien. Gut ein Viertel aller Strafverfahren werde im Freistaat derzeit sowieso wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Tafel-Chef spricht von Symbolpolitik

Jochen Brühl, Bundesvorsitzender der Tafeln, sieht den Vorstoß mit gemischten Gefühlen. „Natürlich sollten Menschen, die aufgrund von Armut nach Lebensmitteln suchen müssen, dafür nicht strafrechtlich verfolgt werden“, sagte er dem RND. „Es ist jedoch zynisch, dass es Menschen erlaubt werden soll, im Müll nach Lebensmitteln zu suchen, um sich ernähren zu können. Das ist eine Symbolpolitik, die am Kern vorbeigeht und keine Lösung für die Probleme Armut sowie Lebensmittelverschwendung darstellt“, so der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafel.

Um weniger Lebensmittel zu verschwenden, müsse die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. „Jedes dritte Lebensmittel wird entsorgt statt gegessen. Es herrscht eine massive Überproduktion, weil die Supermärkte auch am Abend noch gut gefüllt sein sollen“, so Brühl. Er verwies darauf, dass mehr als 50 Prozent der Lebensmittelabfälle derzeit in Privathaushalten anfallen. „Hier benötigt es Bildungskampagnen und Aufklärungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene“, so Brühl. Gute und noch genießbare Lebensmittel dürfen erst gar nicht in der Tonne landen.

Mit epd

Mehr aus Wirtschaft

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Top Themen

Energiekosten
 
49-Euro-Ticket
 
Weitere Top-Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken