Nach Bund-Länder-Runde: Wird Containern straffrei?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/RREI6SZNTVAEJJVGCGOHHFPH3A.jpeg)
Bei einer Demonstration trägt ein Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor ein Plakat mit der Aufschrift „Essen retten ist kein Verbrechen – Containern legalisieren!“.
© Quelle: Christophe Gateau/dpa
Berlin. Wer Lebensmittel aus dem Müll fischt, muss bislang noch mit Strafen rechnen. Vielleicht aber nicht mehr lange – am Dienstag haben Bund und Länder über eine möglichen Entkriminalisierung beraten. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatten sich zuvor einem entsprechenden Vorstoß des Landes Hamburg angeschlossen.
Der Stadtstaat hatte eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vorgeschlagen. Demnach soll das sogenannte Containern nur noch dann bestraft werden, wenn ein Hausfriedensbruch vorliegt, „der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht oder gleichzeitig den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt“. Folgen alle 15 übrigen Bundesländer diesem Vorschlag, müsste es keine Gesetzesänderung auf Bundesebene geben.
Finden die 16 Bundesländer eine Einigung?
Ob sich die 16 Justizministerinne und -minister jedoch darüber einig werden, blieb am Dienstag offen. Der Bund-Länder-Ausschuss traf noch keine Entscheidung. Allerdings wurde vereinbart, dass die Länder in einem Umlaufverfahren bis Mitte März eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Das teilte das hessische Justizministerium am frühen Nachmittag mit. Hessen hat den Vorsitz des Ausschusses inne. „Der strafrechtliche Umgang mit dem Containern wird weiter auf der Tagesordnung bleiben“, sagte Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) nach der Sitzung. Das abschließende Votum des Ausschusses bleibe abzuwarten. „Es ist üblich, dass Entscheidungen in diesem Fachgremium einstimmig getroffen werden“, sagte Poseck.
Er selbst stehe einer Diskussion über Neuregelungen, die allgemeine Maßstäbe für Fälle des Containerns aufstellen, offen gegenüber. „Dabei sollte Beachtung finden, dass die Fälle des Containerns in der Regel nicht strafwürdig sind. Ein Lösungsweg könnte auch sein, dass der für das materielle Strafrecht zuständige Bundesgesetzgeber Regelungen zur grundsätzlichen Straffreiheit des Containerns in das Strafgesetzbuch aufnimmt“, so der hessische Justizminister. „Wichtig bleibt aber, dass Fälle mit erhöhter krimineller Energie, bei denen weitere Straftaten wie Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, begangen werden, auch weiterhin strafrechtlich verfolgt werden können.“
Bund-Länder-Ausschuss tagte zum Containern
Nach Angaben des hessischen Justizministeriums ging es bei der Sondersitzung ausschließlich um den strafverfahrensrechtlichen Umgang mit dem Containern. Schon vor der digitalen des Bund-Länder-Ausschusses war unklar, ob es zu einer Einigung kommen werde. Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges hatte sich vorab skeptisch gezeigt und von „Augenwischerei“ gesprochen. Zwar wolle man den Vorschlag prüfen. „Tatsächlich gibt es doch kaum Container, aus denen man etwas herausnehmen kann, ohne zugleich einen strafbewehrten Hausfriedensbruch oder eine Sachbeschädigung zu begehen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Auch jetzt schon könnten Staatsanwaltschaften Verfahren gegen Menschen, die containern, wegen Geringfügigkeit einstellen.
Nordrhein-Westfalen hingegen will den Vorschlag aus Hamburg „wohlwollend und konstruktiv“ prüfen, erklärte eine Sprecherin des dortigen Justizministeriums dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir sind uns einig, dass Lebensmittel nicht verschwendet werden dürfen“. Der Vorschlag aus der Hansestadt sei dabei interessant.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/SUXJXPIWORDNBLHNMVWTSMEM5M.png)
Unbezahlbar
Unser Newsletter begleitet Sie mit wertvollen Tipps und Hintergründen durch Energiekrise und Inflation – immer mittwochs.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Andere Länder würden sogar noch einen Schritt weiter gehen. Berlin sprach sich vor wenigen Tagen dafür aus, das Containern sogar komplett zu entkriminalisieren. Bremen würde gerne über eine grundlegende Straffreiheit diskutieren. „Das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung ist weder ethisch noch ökologisch vertretbar“, sagte Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD) dem RND. „Menschen dafür zu bestrafen, noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern zu holen, ist vor diesem Hintergrund geradezu obszön.“
Staatsanwaltschaften können Verfahren einstellen
Der Vorschlag aus Hamburg sei ein Schritt in die richtige Richtung, den Bremen unterstütze, weil er pragmatisch sei und sich relativ schnell umsetzen lasse. „Gleichwohl sollte aber auch grundlegend diskutiert werden, ob Containern – also das An-sich-Nehmen von weggeworfenen Lebensmitteln – überhaupt strafbar sein sollte“, so Schilling. Allerdings müsse das Thema generell mehr in den Fokus rücken - beispielsweise indem große Lebensmittelbetriebe oder Supermärkte verpflichtet würden, noch genießbare Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen zu verteilen. Auch dass Gemüse, das nicht den „Schönheitskriterien“ entspreche, vielfach entsorgt werde, dürfe nicht sein.
In mehreren Bundesländern stellen Staatsanwaltschaften bereits heute Verfahren wegen Containerns häufig ein. Vor den Beratungen am Dienstag blieb noch unklar, ob die Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren künftig vorsehen, dass die Behörden Verfahren wegen Diebstahls weggeworfener Lebensmittel in der Regel einstellen.
Ein Sprecher des Thüringer Justizministeriums sagte dem RND, dass in Thüringen bislang keine Fälle des sogenannten Containerns und dessen strafrechtlicher Verfolgung bekannt geworden seien. Gut ein Viertel aller Strafverfahren werde im Freistaat derzeit sowieso wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Tafel-Chef spricht von Symbolpolitik
Jochen Brühl, Bundesvorsitzender der Tafeln, sieht den Vorstoß mit gemischten Gefühlen. „Natürlich sollten Menschen, die aufgrund von Armut nach Lebensmitteln suchen müssen, dafür nicht strafrechtlich verfolgt werden“, sagte er dem RND. „Es ist jedoch zynisch, dass es Menschen erlaubt werden soll, im Müll nach Lebensmitteln zu suchen, um sich ernähren zu können. Das ist eine Symbolpolitik, die am Kern vorbeigeht und keine Lösung für die Probleme Armut sowie Lebensmittelverschwendung darstellt“, so der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafel.
Um weniger Lebensmittel zu verschwenden, müsse die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. „Jedes dritte Lebensmittel wird entsorgt statt gegessen. Es herrscht eine massive Überproduktion, weil die Supermärkte auch am Abend noch gut gefüllt sein sollen“, so Brühl. Er verwies darauf, dass mehr als 50 Prozent der Lebensmittelabfälle derzeit in Privathaushalten anfallen. „Hier benötigt es Bildungskampagnen und Aufklärungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene“, so Brühl. Gute und noch genießbare Lebensmittel dürfen erst gar nicht in der Tonne landen.
Mit epd