Klimaschutz im Netz: Der Download braucht weniger Energie als der Stream
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Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts.
© Quelle: imago images/Jürgen Heinrich
Frankfurt. Zwei Megatrends werden in den nächsten Jahren die Politik beherrschen und unsere Gesellschaft grundlegend verändern: der Klimaschutz und die Digitalisierung. Im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) machen sich Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, und Jan Peter Schemmel, Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts, dafür stark, dass die beiden Entwicklungen zusammengedacht und eng miteinander verknüpft werden.
Sie sehen darin auch eine Riesenchance: Europa könne so Vorteile im Wettbewerb gegenüber China und den USA erringen. Messner und Schemmel geht es aber auch darum, dass Verbraucher in ihrem digitalen Alltag verstärkt an Nachhaltigkeit denken. So kann mit Downloads anstelle des Streamings von Filmen viel Energie gespart werden. Und beim Onlineshopping solle Konsumenten die Gelegenheit gegeben werden, bevorzugt ökologisch anspruchsvolle Produkte zu kaufen.
Herr Messner, Herr Schemmel, beim Thema Digitalisierung und Klimaschutz liegt die Frage nach dem Onlinehandel sehr nahe. Unter bestimmten Umständen kann das Kaufen per Internet doch weniger CO₂-Belastungen bringen als das Shoppen im stationären Handel. Ist das immer so?
Jan Peter Schemmel: Da kommen einige Faktoren zusammen. Ganz wichtig ist, wie die Triggerfunktion für weitere Käufe funktioniert. Oft geht es darum, den Konsum zu steigern, und das verschlechtert natürlich die Klimabilanz. Hinzu kommen die Retouren. Produkte, die zurückkommen, werden häufig weggeworfen, das ist ein Riesenproblem.
Dirk Messner: Große Onlinehändler könnten Algorithmen einsetzen, die nachhaltigere Produkte begünstigen. Das wäre ein enormer Hebel, um Belastungen durch den Onlinehandel zu reduzieren und nachhaltigen Konsum zu stärken.
Wie soll das konkret funktionieren?
Dirk Messner: Man könnte einerseits die Kunden bitten, mit einem Button eine Präferenz zu äußern – mit ökologisch anspruchsvollen Produkten, die dann oben auf der Ergebnisliste angezeigt werden. Die andere Variante wäre, dass der Händler selbst die Produkte mit einem geringen CO₂-Fußabdruck und mit einer guten Ökobilanz prominent platziert.
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© Quelle: Öko-Institut
Können die Verbraucher noch mehr tun, um sich in der digitalen Welt klimafreundlich zu verhalten? Ganz naiv: Das Handy öfter mal ausschalten?
Jan Peter Schemmel: Endgeräte sind ein wichtiger Bereich, da ist aber mit Blick auf Ökobilanzen und Treibhausgas das größte Problem die Produktion. Wir sehen, dass dort die Produktzyklen immer kürzer werden. Bei der Herstellung eines Handys entstehen 100 Kilogramm CO₂. Das Gerät wird aber im Schnitt nur drei Jahre genutzt. Millionen alte Handys liegen in Schubladen. Die Gründe dafür: Hersteller setzen auf geplante Obsoleszenz – nach einer gewissen Zeit laufen Apps nicht mehr auf älteren Geräten. Oder die psychologische Obsoleszenz wirkt, indem das Marketing den Nutzern suggeriert, dass sie das neue Gerät unbedingt brauchen.
Bei der Nutzung kann man gar nichts machen?
Jan Peter Schemmel: Doch. Nutzer sollten überlegen, ob sie Dateien streamen oder herunterladen. Letzteres benötigt erheblich weniger Energie. Beim Streaming sind überdies kabelgebundene Verbindungen erheblich effizienter als Verbindungen über Mobilfunk. Und Nutzer sollten sich überlegen, ob sie bei bewegten Bildern wirklich immer HD-Qualität benötigen. Will die Politik effizientes Streaming unterstützen, gilt: Ein verstärkter Glasfaserausbau spart letztlich Storm, und im Mobilfunkt ist 5G erheblich effizienter als ältere Technologien.
Streaming mal klimafreundlich: Geht das überhaupt?
Digitale Streamingdienste wie Netflix verursachen viel CO₂. Mit diesen einfachen Tricks muss Streamen trotzdem nicht das neue Fliegen werden.
© Quelle: RND
Dirk Messner: Die Effizienzen der modernen Technologien sind tatsächlich enorm. Die Übertragung der Daten wird durch 5G effizienter. Sie verbraucht dreimal weniger Energie als LTE und sogar 20-mal weniger als UMTS.
Viele Studien gehen dennoch davon aus, dass die Datennutzung und damit der Energieverbrauch der Digitalwelt extrem steigen werden. Die gigantischen Strommengen, die etwa der Handel mit Bitcoins benötigt, sind nur ein Beispiel. Was tun?
Dirk Messner: Sie haben recht, der Energieverbrauch für eine Bitcoin-Transaktion ist enorm und der jährliche Energieverbrauch ist so hoch wie der der Schweiz. Ein anderes Problemfeld sind Rechenzentren, in denen große Datenmengen verarbeitet, gespeichert und übertragen werden. Der jährliche Energieverbrauch wächst mit hoher Geschwindigkeit. Daraus folgt dann die Frage, wie es um die Klimatauglichkeit von Rechenzentren steht.
Unsere Untersuchungen zeigen, die Bandbreite bei der Energieeffizienz ist enorm groß. Es fehlt an Energieeffizienzstandards für Rechenzentren. Wir haben noch nicht einmal flächendeckende Daten über den Energieverbrauch von Rechenzentren. Wir schlagen deshalb vor, ein verbindliches EU-Energielabel einzuführen, um die Energieeffizienz der Rechenzentren transparent zu machen und unternehmerisches Verhalten steuern zu können.
Jan Peter Schemmel: Das ist auch auf internationaler Ebene relevant, wir können auf globaler Ebene von einer Verdopplung des Energiebedarfes für Rechenzentren bis 2030 ausgehen. Neben Energiestandards kann Politik auch durch die Förderung einer intelligenten Ansiedlungspolitik Effizienz steuern: Rechenzentren nehmen sehr viel Energie auf und verwandeln sie in Abwärme, die in der Regel verpufft. Diese Wärme kann man aber lokal für Heizungen und für industrielle Prozesse nutzen. Generell muss man sagen: Wenn wir nichts machen, dann kriegen wir ein echtes Problem in einigen Jahren.
Digitale Zwillinge von Fabriken helfen, Energie und Ressourcen zu sparen
Dirk Messner: Dabei muss man bedenken, dass am Ende die gesamte Wirtschaft, auch die digitale, mit erneuerbarer Energie betrieben werden muss. Wir brauchen also eine grüne Digitalisierung und grüne IT-Infrastrukturen. Zugleich können digitale Innovationen dazu beitragen, unsere Industrie ressourcen- und energieeffizienter zu machen. Ein Beispiel sind „digitale Zwillinge“: Noch heute werden oft Fabriken gebaut und dann zwei, drei Jahre lang auf Effizienz getrimmt. Enorm viel Energie wird dadurch verschwendet.
Die Digitalisierung bietet andere Möglichkeiten, die auch bereits genutzt werden. Es wird mit digitalen Zwillingen gearbeitet, also mit einer elektronisch-virtuellen Version der Fabrik. Der digitale Zwilling wird energetisch optimiert, erst dann geht die Industrieanlage in der physischen Realität in den Aufbau. Das spart Ressourcen- und Energieeinsatz.
Fällt die Gesamtbilanz also positiv aus?
Jan Peter Schemmel: Wir haben es in der Hand. Wir müssen die Digitalisierung steuern und gestalten. Klar ist, wenn die Klimapolitik in allen Bereichen klare Vorgaben darüber macht, wie wir den CO₂-Ausstoß verringern, dann wird die Digitalisierung zu einem Werkzeug, um diese Ziele zu schaffen. Dann entstehen auch neue Geschäftsmodelle und die kreativen Potenziale der Digitalbranche werden aktiviert. Aber das ist kein Selbstläufer.
Und wenn nicht?
Jan Peter Schemmel: Dann wird die Digitalisierung kontraproduktiv wirken. Dann werden Verbraucher zu mehr Konsum gebracht, der mehr Energie benötigt, digitale Technologien verfestigen und verstetigen für sich nicht nachhaltige Geschäftsmodelle.
Dirk Messner: Entscheidend ist, dass wir politische Rahmenbedingungen schaffen, die dazu führen, dass digitale Innovationen wie künstliche Intelligenz für Klima- und Umweltschutz eingesetzt werden. Ein Beispiel ist die Steuerpolitik. Solange wir Arbeit hoch besteuern, werden Technologien primär genutzt, um Arbeit zu substituieren und so Kosten zu sparen. Würden wir Umweltverbrauch systematisch höher und Arbeit entsprechend niedriger besteuern, hätte das Lenkungswirkungen: Digitale Innovationen würden dann genutzt, um den Umweltverbrauch zu reduzieren und auf diesem Wege Kosten zu reduzieren. Wir müssen die gesamte Digitalisierung auf Nachhaltigkeit ausrichten.
Europa kann sich mit dem Klimaschutz Vorteile im Wettbewerb verschaffen
Aber kann ein Land dies im Alleingang schaffen? Extrem hohe CO₂-Preise würden hierzulande etwa in der Stahlindustrie Arbeitsplätze vernichten. Konkurrenten in anderen Ländern mit niedrigen CO₂-Preisen würden sich freuen. Ist das Brett nicht sehr dick, das Sie bohren wollen?
Dirk Messner: Ich sehe eine Chance für Europa. Die amerikanische Digitalisierung ist stark durch den Markt getrieben – siehe Amazon, Google und Co. Das chinesische Modell wird stark durch den Staat getrieben, mit hohen Investitionen und mit staatlicher Überwachung verknüpft, aber nicht mit Nachhaltigkeit. In Europa haben wir einen hohen Nachholbedarf bei künstlicher Intelligenz. Das Hochfahren von Investitionen in diesem Bereich sollten wir mit dem Green Deal in Europa verkoppeln.
Unser Wettbewerbsvorteil wäre: der Aufbau einer nachhaltigen, auf Klima- und Umweltschutz ausgerichteten Digitalisierung. Ich bin mir ziemlich sicher: Die Biden-Regierung fände ein solches Modell ebenfalls attraktiv. Und: Auch die Chinesen müssen im Klimaschutz vorankommen. Wir könnten Vorreiter sein.
Jan Peter Schemmel: Europa kann sich da Wettbewerbsvorteile erarbeiten. Wir müssen aber auch klären, wie wir mit Daten umgehen, und zwar so, dass dadurch Monopole nicht gefördert werden, sondern die Souveränität der Verbraucher gewahrt bleibt. Bis hin zu Datenspenden: Wenn der Nutzer also entscheiden kann, was mit seinen Daten passiert und wer davon profitiert – etwa Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen.
Was fordern Sie beide von der nächsten Bundesregierung als erste konkrete Maßnahme, um Digitales und Klimaschutz zusammen zu bringen?
Dirk Messner: Unsere Gesellschaft wird durch die Digitalisierung auf den Kopf gestellt. Wir müssen sie systematisch mit dem Klimaschutz verknüpfen. Bei jedem einzelnen Projekt im Klimaschutz muss künftig der Aspekt Digitalisierung mitgedacht werden.
Jan Peter Schemmel: Die Strategien und die Akteure, die auf die Digitalisierung und auf Klimaschutz ausgerichtet sind, müssen besser zusammengedacht und zusammengeführt werden, sie laufen derzeit immer noch größtenteils nebeneinander her. Das wird der Bedeutung der beiden Megatrends füreinander nicht gerecht.