„Notlage von nationaler Tragweite“

Inflation trifft besonders Arme: Diakonie fordert Zuschlag von mindestens 100 Euro monatlich

Preissprünge bei Energie und Lebensmitteln treiben die Lebenshaltungskosten in Mecklenburg-Vorpommern weiter nach oben.

Preissprünge bei Energie und Lebensmitteln treiben die Lebenshaltungskosten weiter nach oben – besonders einkommensschwache Gruppen sind betroffen.

Berlin. Um einkommensschwache Menschen in Zeiten der Inflation zu unterstützen, fordert die Diakonie, dass besonders stark Betroffene ein halbes Jahr lang monatlich mindestens 100 Euro zusätzlich bekommen. Die Bundesregierung solle eine „soziale Notlage von nationaler Tragweite“ ausrufen und einen entsprechenden Notlagenparagraph in die Gesetze einfügen. Den Staat würde das der Diakonie zufolge 5,4 Milliarden kosten.

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Entlastung der Ärmsten

Das Geld sollen aus Sicht der Diakonie diejenigen bekommen, die Leistungen im Sozialgesetzbuch II und XII erhalten – also Empfänger von Leistungen wie Wohngeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld oder Grundsicherung. „In einem Sozialstaat müssen diejenigen vorrangig entlastet werden, die von einer Krise am härtesten getroffen werden“, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. „Wir sprechen hier von acht bis neun Millionen Menschen, die von existenzsichernden Leistungen leben. Und das sind nur die Ärmsten.“

Inflation bereitet den Deutschen derzeit die größten Sorgen
ARCHIV - 14.06.2022, Hamburg: Ein Mann betankt an einer Tankstelle sein Auto. Ein Beratergremium der Bundesregierung sieht auf dem Ölmarkt grundsätzliche Wettbewerbsprobleme. (zu dpa «Monopolkommission sieht Wettbewerbsprobleme auf Ölmarkt») Foto: Daniel Reinhardt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Seit Monaten wird das Leben immer teurer – laut Umfrage belastet das derzeit die Menschen in Deutschland am meisten.

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Grundlage der Forderung ist eine Studie, die die Diakonie beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse am Mittwoch vorgestellt wurden. DIW-Präsident Marcel Fratzscher warnt ebenso wie Lilie vor den Folgen der „höchst unsozialen Inflation“. „Man kann nicht genug betonen, dass wir eine dramatische Krise haben“, sagt er. „Die Politik muss einen Weg finden, die Härten insbesondere für einkommensschwache Haushalte abzufedern.“

Einkommensschwächste Haushalte fünfmal mehr belastet

Bei einer moderaten Inflationsentwicklung müsste das einkommensschwächste Zehntel der Bevölkerung für den gleichen Konsum 5,3 Prozent des Nettoeinkommens mehr aufbringen als im Vorjahr, heißt es in dem DIW-Gutachten. Einkommensstarke Haushalte müssten hingegen nur 1,1 Prozent ihres Nettoeinkommens mehr ausgeben. Außerdem würden die einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte der Studie zufolge rund zwei Drittel für Nahrungsmittel, Wohnen und Haushaltsenergie ausgeben – also genau für die Dinge, die teurer geworden sind.

Die bisherigen Entlastungspakete wie Tankrabatt und Energiepreispauschale haben laut Gutachten zwar alle Bevölkerungsgruppen entlastet. Allerdings reichen die Pakete laut DIW nicht aus, um die Zusatzbelastung vollständig zu kompensieren. Durch den Vorschlag der Diakonie würde hingegen die ärmere Bevölkerungshälfte zusätzlich entlastet werden, so die Ökonomen. Bei einer angenommenen Jahresinflation von 7,1 Prozent würden die einkommensschwächsten 10 Prozent sogar leicht von dem Zuschlag profitieren.

DIW-Präsident unterstützt Forderung

„Ich halte das für einen sehr klugen Vorschlag“, sagt DIW-Chef Fratzscher. Der Vorschlag der Diakonie sei zielgenau, schnell, ausreichend und klug – in dem Sinne, als dass die Empfänger des Geldes dieses selbst für das einsetzen könnten, wofür sie es am dringendsten brauchten. Davon würden dann mehr Menschen profitieren, als wenn bestimmte Konsumgüter günstiger werden würden. Die 5,4 Milliarden Euro, die der Vorschlag der Diakonie kosten würde, fallen aus Sicht des DIW-Präsidenten angesichts der hohen Gesamtschulden nicht groß ins Gewicht.

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Die hohe Inflation bedeutet insbesondere für Haushalte mit geringen Einkommen eine erhebliche zusätzliche Belastung, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW).

Die hohe Inflation bedeutet insbesondere für Haushalte mit geringen Einkommen eine erhebliche zusätzliche Belastung, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW).

Aus Fratzschers Sicht ist das Ausrufen einer nationalen Notlage allerdings nur eines von mehreren Instrumenten. Denn auch Personen, die nicht von den 100 Euro profitierten, seien von der Inflation betroffen. Wer diese Menschen sind, sei jedoch schwierig zu erfassen, weil die entsprechende Datenbank dazu fehle. „Zur treffgenauen, zeitnahen und bedarfsgerechneten Entlastung aller Bedürftigen brauchen wir eine Dateninfrastruktur, die sicherstellt, dass niemand durchs Raster fällt“, so Fratzscher.

Der Ökonom warnt zudem davor, Fehler aus vergangenen Entlastungspaketen zu wiederholen. Der Tankrabatt habe keine der Kriterien für ein wirkungsvolles Entlastungspaket erfüllt.

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