Inflationsbooster: Konsumenten im Kaufrausch, teure Nahrungsmittel und der Klimaschutz
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Die Spritpreise steigen und steigen.
© Quelle: imago images/Rene Traut
Frankfurt. Superzyklen sind so etwas wie die Schwarzen Löcher der Ökonomie. Rätselhafte Phänomene, denen ungeheure Kräfte zugeschrieben werden. Vor allem bei Analysten und Investmentprofis in den USA machen diverse Szenarien die Runde – seit Beginn der Erholung nach dem Ende der Lockdowns.
Andauernde Teuerung droht
Schon im Frühjahr wurde der Beginn eines Superzyklus bei Grund- und Rohstoffen sowie Nahrungsmitteln durchgespielt. Sollte es so kommen, wäre es für Verbraucher eine ziemlich schlechte Nachricht. Denn die Folgen wären: dauerhaft steigende Preise auch für Gemüse, Fleisch oder Salat. Und eine stetig hohe Inflation.
Die harmlosen Wirtschaftszyklen laufen so: Bei hoher Nachfrage und steigenden Preisen erhöhen die Hersteller die Produktion, was dazu führt, dass die Preise wieder sinken. Bei Superzyklen ist die Ausweitung des Angebots über einen längeren Zeitraum nicht möglich. Deshalb die dauernde Teuerung.
Superzyklus als Treiber der Teuerung
Wie eine Bestätigung für diese These lesen sich die Zahlen, die das Statistische Bundesamt (Destatis) am Donnerstag veröffentlicht hat. Demnach sind die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte im August um 13,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Hauptverantwortliche waren die Früchte vom Feld und aus dem Gewächshaus.
Die Wiesbadener Statistiker heben hervor: Das große Plus sei „wie bereits in den vergangenen Monaten vor allem auf die gestiegenen Getreidepreise zurückzuführen“. Sie lagen zuletzt um ein Drittel über Vorjahresniveau, was der höchste Anstieg seit Januar 2014 sei. Ausschlaggebend waren magere Ernten hierzulande und anderswo.
Handel mit China auch ein Auslöser
Das immer wieder heftige Auf und Ab gehört zur Normalität bei Getreide und anderen landwirtschaftlichen Produkten. Das Wetter spielt da eine wichtige Rolle. Auch Einschränkungen durch Lockdowns sind immer noch spürbar. So fehlt es vielfach an Arbeitskräften, die säen und ernten können. Dennoch: Experten vermuten, dass da eine Art Unterströmung wirkt, die dauerhaft und robust ist.
Sabrina Jacobs vom Anlageprofi „Inside Investments“ macht auf den chinesischen Markt aufmerksam: „So ist mit dem dortigen Einkommenswachstum auch die Nachfrage nach höherwertigen Lebensmitteln wie Fleisch, Geflügel, Fisch und Milchprodukten gestiegen, mit der die heimische Produktion nicht Schritt halten kann.“ Das heißt, auch europäische Bauern können verstärkt ihre Produkte in der Volksrepublik teuer verkaufen, was letztlich auch hierzulande das Preisniveau nach oben schiebt.
Die Inflation wird im neuen Jahr nachlassen
Zumal die Wachstumspotenziale Chinas gigantisch sind. Auch der Internationale Währungsfonds erwartet für das nächste Jahr einen weltweit „anhaltenden Druck auf die Lebensmittelpreise“. Und laut Destatis haben sich im September neben Energie auch Nahrungsmittel binnen Jahresfrist überdurchschnittlich verteuert.
Dauerhaft hohe Inflation? Das derzeit dominierende Narrativ der hiesigen Volkswirte besagt etwas ganz anderes: Die ruckartige Erholung nach dem Ende der Lockdowns habe in den vergangenen Monaten die Nachfrage nach so ziemlich allem deutlich nach oben getrieben – vom Erdgas bis zum Smartphone. Deshalb steige die Inflation bis zum Jahresende zwar, sie werde im neuen Jahr aber wieder spürbar nachlassen, weil sich die Verwerfungen allmählich auswachsen.
Risiken im Kleingedruckten
„Eine Rückkehr in die Größenordnung von 2 Prozent sehen wir zur Jahresmitte“, sagte Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts IMK, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Auch die am Donnerstag vorgelegte Herbstprognose von fünf Instituten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums geht davon aus, dass die Verbraucherpreise in diesem Jahr zwar um 3 Prozent, aber 2022 noch um 2,5 und 2023 sogar nur noch um 1,7 Prozent steigen werden.
Aber unter der Überschrift „Risiken“, quasi im Kleingedruckten des Gemeinschaftsgutachtens, ist von erheblichen Inflationsgefahren die Rede. Die Forscher machen sich um die „angehäuften Ersparnisse“ der Verbraucher Sorgen. Während der Lockdowns konnten sie ihr Geld nicht ausgeben, also horteten sie es auf den Girokonten.
Die Guthaben würden das „in normalen Zeiten übliche Maß weit übertreffen“. Wehe, wenn sie losgelassen werden, wenn die Sparpolster zum Nachholen von Konsumausgaben genutzt werden. Dann würde sich der Großteil eines solchen Nachfrageschubs „in eine weiter beschleunigte Inflation umsetzen“, heißt es in der Herbstprognose.
Die Lohn-Preis-Spirale als Inflationsbooster
Der Hauptgrund: In vielen Länder und Branchen zeichneten sich bereits Engpässe am Arbeitsmarkt ab. „Damit dürfte das Angebot zu wenig elastisch sein, um größere Nachfrageschübe ohne spürbar höhere Teuerungsraten aufzufangen.“ Gemeint ist damit, dass es schlicht an Leuten fehlt, um die Produktion hochzufahren.
Tatsächlich wird hierzulande nicht nur in der Agrarbranche händeringend nach Arbeitskräften gesucht. Vor allem der Industrie fehlen vielfach qualifizierte Fachkräfte. Im Herbstgutachten heißt es: Knappheiten am Arbeitsmarkt könnten zu stärkeren Lohnsteigerungen führen, als in der Prognose unterstellt werde. Dies könne in eine dauerhaft höhere Inflation münden.
Preissprung: Inflation so hoch wie seit 1993 nicht mehr
Die Teuerung in Deutschland zieht deutlich an – so stark wie seit 1993 nicht mehr. Volkswirte hatten das erwartet.
© Quelle: dpa
Hier wird ein anderes Schwarzes Loch der Ökonomie beschworen: die Lohn-Preis-Spirale. Ein Effekt, der sich wechselseitig hochschraubt. Wenn die Industrie höhere Kosten nicht ausgleichen kann, muss sie die Preise erhöhen. Das zwingt die Gewerkschaften dazu, für hohe Lohnabschlüsse zu kämpfen. Diese erhöhen die Kosten für die Unternehmen und so weiter.
Neben teuren Nahrungsmitteln und einer Lohn-Preis-Spirale könnte als weiterer Inflationsbooster der Klimaschutz hinzukommen. Allerdings handelt es sich hier eher um eine Blackbox: Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die anstehenden gigantischen Klimainvestitionen auf die gesamtwirtschaftliche Teuerung haben. Immerhin fordern Experten, dass der deutsche Staat von 2022 an jährlich mal locker um die 50 Milliarden Euro in die Hand nehmen soll. Doch hier fehlt es bislang an Expertisen, die preistreibende Faktoren bewerten.
Darüber hinaus wird aber derzeit von vielen Seiten eine konsequentere Bepreisung von CO₂-Emissionen verlangt. Die derzeit geltenden 25 Euro pro Tonne für Sprit und Erdgas zum Heizen machen sich bei den Kosten für fossile Energie deutlich bemerkbar. Was passiert, wenn diese Abgaben verdoppelt oder verdreifacht werden?
Notenbanker im Dilemma
Dullien bleibt gelassen, zumindest für die nahe Zukunft: „Wir prognostizieren keinen weiteren Anstieg der Energiepreise. Ein kleiner Effekt wird durch die höheren CO₂-Preise für Sprit und Erdgas kommen“, sagte er dem RND. Bei den Preisen für Kohlendioxid sei ohnehin nicht entscheidend, dass sie extrem schnell erhöht werden. „Viel wichtiger ist Verlässlichkeit“, erläutert Dullien. Weil so längerfristige Signale ausgesendet würden „und bei der Anschaffung eines neuen Autos in drei oder vier Jahren ein Elektroauto bestellt wird“.
Auch vor einer Lohn-Preis-Spirale hat der Wirtschaftswissenschaftler keine Angst. Die Forderungen der Gewerkschaften lägen aktuell auf dem Niveau von 2019. Seinerzeit seien die Löhne dann schließlich um knapp 3 Prozent gestiegen. Das entspreche dem Ziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent Inflation plus einem Prozent Produktivitätswachstum.
Für den IMK-Direktor ist denn auch unterm Strich klar: „Es gibt derzeit keine verlässlichen Anzeichen, warum die Inflation aus dem Ruder laufen sollte.“ In der Debatte um ein mögliches Ende der Null-Zins-Strategie der EZB sieht Dullien deshalb auch keinen Handlungsbedarf. Mit Aktionismus seitens der Notenbank gefährde man derzeit mehr, als man Gutes tue. Im Herbstgutachten heißt es hingegen, dass die inflationären Tendenzen demnächst so stark zunehmen könnten, „dass eine Straffung der Geldpolitik notwendig wird“.
Doch die Autoren wollen an eine Umsetzung nicht glauben. Viele Staaten seien auf niedrige Zinsen angewiesen, um ihre Verschuldung zu stemmen. Die Notenbanker könnten deshalb genötigt sein, „ihre Politik an fiskalischen Notwendigkeiten und nicht am Ziel der Preisniveaustabilität auszurichten“. Im Klartext: Die Inflation würde von der Leine gelassen.
RND