Not bei fallenden Milchpreisen

Bauern warnen vor neuer Milchkrise und fordern ein Einschreiten der Regierung

Einer von 17 Melk-Robotern der Kitzener Landwirte.

Eine Kuh steht über einem Melkroboter. Wenn die Milchpreise stark fallen, geraten viele Bauern in Not.

Frankfurt am Main. Aldi Nord hat zu Jahresbeginn den Preis für einen Liter Vollmilch seiner Eigenmarke Milsani um 6 Cent auf 1,15 Euro erhöht. Doch die Verbraucher und Verbraucherinnen können darauf hoffen, dass sie bald wieder billiger wird, und zwar für einen längeren Zeitraum. Denn im Großhandel sinken die Preise bereits drastisch. Was Konsumenten und Konsumentinnen freut, bringt viele Bauern in Bedrängnis. Deshalb fordert die Arbeits­­gemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), dass die Bundes­regierung für eine Stabilisierung der Preise sorgt.

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Die 1,15 Euro von Aldi sind eine Art Referenzwert für den aktuellen Milchpreis im deutschen Einzelhandel. Gleichzeitig aber ist erstmals seit Oktober 2021 ist ein wichtiger Frühindikator unter die wichtige Schwelle von 50 Cent pro Kilogramm gefallen: Der vom Kieler Institut für Ernährungs­wirtschaft berechnete Rohstoffwert für Milch, der sich auf den Großhandel bezieht, ist auf 47,9 Cent abgestürzt – im April 2022 war noch der Rekordwert von 67,4 Cent errechnet worden.

Der Abwärtstrend lässt sich mit weiteren Zahlen belegen. An der Börse gehandelte Milch zur Lieferung im Februar ist sogar für nur 40 Cent zu haben. „Die finanzielle Verwertung der Milch, also der Rohstoffwert und der Börsen­milchwert, verschlechtern sich geradezu dramatisch“, schreibt der Fachdienst Top Agrar.

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Der Markt kann sehr schnell kippen

Doch im Herbst hatten die Verbraucher und Verbraucherinnen noch unter massiv gestiegenen Preisen geächzt. Das Statistische Bundesamt verzeichnete für November in der Kategorie „Molkerei­­produkte und Eier“ eine Verteuerung binnen Jahresfrist um 34 Prozent.

Was ist da los? „Wir hatten für die verbliebenen Milchbauern einen erfreulichen Preisanstieg im vorigen Jahr – das war ab Mitte des Jahres eine regelrechte Preisrallye“, sagte AbL-Experte Ottmar Ilchmann dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). Es handelt sich um ein hochsensibles Geschäft: „In diesem Markt reicht ein kleines Unterangebot, um den Preis unverhältnis­mäßig ansteigen zu lassen. Und in der Milchkrise 2015/2016 hatten wir nur ein kleines Überangebot und der Preis ist ins Bodenlose gestürzt, bis runter auf 20 Cent“, so Ilchmann, der selbst Milchbauer ist.

Die Folge: Viele seiner Kollegen und Kolleginnen haben aufgegeben. Nicht nur in Deutschland. Deshalb sank die Produktion nicht nur in der EU, sondern auch in Australien oder den USA. Doch zugleich wächst international die Nachfrage tendenziell – allein schon wegen der steigenden Weltbevölkerung.

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Hierzulande waren die übrig gebliebenen Milchbauern aber zunächst nicht in der Lage, die ausgefallenen Milchmengen zu kompensieren. Die harten Jahre seit 2016 haben Spuren hinterlassen. Ilchmann: „Wir alle waren stehend k. o. und nur froh, dass es endlich wieder akzeptable Preise gab.“ Und so begann der Höhenflug der Milchpreise.

Massive Nachfrage im Ausland

Aldi und Co. haben sich auch laut Handels­experten und ‑expertinnen zwar mit Händen und Füßen gegen höhere Einkaufspreise gewehrt, und häufig können die Discounter mit ihrer Marktmacht in solchen Situationen auch gegen­halten, doch diesmal lief es anders. „Weil die Molkereien gesagt haben: Liebe Einzelhandels­konzerne, wenn ihr diese Preise nicht zahlen wollt, dann exportieren wir die Milch“, so der AbL-Experte. Die Effekte wirkten bis ins neue Jahr und führten zu dem 6‑Cent-Aufschlag bei Aldi Nord.

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Doch nun befassen sich die Bauern nicht mehr mit der Frage, ob die Preise sinken, sondern nur noch damit, in welche Tiefen sie abstürzen – schlechte Erinnerungen an die Milchkrise vor sieben/acht Jahren werden wach. Zumal die Kosten für die Bauern (Energie, Dünger, Futter) massiv gestiegen sind.

Die aktuelle Trendwende hat zwei maßgebliche Ursachen: Die extrem hohen Preise haben zu deutlicher Kauf­zurückhaltung bei Molkerei­produkten geführt, was auch Marktforscher registriert haben. Zum anderen ist es von Herbst an dann doch wieder vielen Bauern gelungen, mehr Milch zu melken. So berichtet Top Agrar, dass die angelieferte Menge zum Jahreswechsel um rund 3,6 Prozent höher lag als im Vorjahr.

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Schweinezyklus funktioniert auch bei Milch

Vieles spricht dafür, dass der viel zitierte Schweinezyklus auch bei dem Produkt wirkt, das die Kuh erzeugt. Was der AbL gar nicht gefällt: „Wir hätten schon in der Hochpreis­phase eher auf die Bremse treten müssen. Doch einigen hat es nicht gereicht, sie haben bei 60 Cent die Produktion gesteigert und damit begonnen, den Preis kaputt zu machen. Es gibt kein konzertiertes Handeln unter den Milchbauern“, beklagt sich Ilchmann, der fordert, die Milchmenge an die Nachfrage anzupassen.

Er sieht dabei auch die Bundesregierung in der Pflicht: So müsse eine Regelung der EU-Marktordnung scharfgeschaltet werden. Diese sieht Vertrags­abschlüsse vor der Lieferung der Milch vor: Preise und Mengen werden fest vereinbart, Letztere können also nicht mehr in kurzer Zeit gesteigert werden. „In Frankreich ist dieser Artikel in Kraft, um zu verhindern, dass die Schwächsten, also die Bauern, immer den Kürzeren ziehen.“

Ferner gebe es die Möglichkeit, ein Verbot für Verkäufe unter den Herstellungs­kosten einzuführen. Und die EU erlaube, das Kartellrecht auszuhebeln, also Preisabsprachen zuzulassen, „wenn es darum geht, gesellschaftliche Leistungen in Wert zu setzen, also Tierwohl oder Klimaschutz“. Diese Vorgaben müsse die Bundesregierung einfach nur aufgreifen und in nationales Recht umsetzen. Landwirtschafts­minister Cem Özdemir habe sich in dieser Hinsicht aber noch nicht bewegt.

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