Im RND-Interview

IG-Metall-Vorstand Urban: „Die Zukunft wird kaputt gespart“

Hans Jürgen Urban ist seit November 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Der promovierte Sozialwissenschaftler ist bei der IG Metall zuständig für die Themen Sozialpolitik sowie Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik.

Hans Jürgen Urban ist seit November 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Der promovierte Sozialwissenschaftler ist bei der IG Metall zuständig für die Themen Sozialpolitik sowie Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik.

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Frankfurt am Main. Hans-Jürgen Urban (Jahrgang 1961) ist seit November 2007 geschäftsführendes Vorstands­mitglied der IG Metall. Der promovierte Sozialwissenschaftler ist bei der IG Metall zuständig für die Themen Sozial­politik sowie Arbeits­gestaltung und Qualifizierungs­politik.

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Herr Urban, wie schlägt sich aus Ihrer Sicht die SPD-geführte Bundesregierung aktuell in der Sozialpolitik?

Mir ist der Bundes­haushalt der gesamten Regierung, so wie er jetzt vorliegt, insgesamt zu kleinmütig. Wenn das, was im Etat für 2024 angelegt ist, Fortsetzung finden sollte, dann ist die Regierung dabei, die Zukunft kaputt zu sparen.

Aber geht es nicht bloß darum, die Neuverschuldung auf ein Maß zu reduzieren, das der Zeit vor Ukraine-Krieg und Pandemie entspricht? Wo liegt da das Problem?

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Konsolidierung ist das entscheidende Stichwort. Der Haushalt hat eine Philosophie, als müsse man zurück in die Zeiten der konsolidierten Etats. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist aber nicht ein Zurück zum alten Normalen, sondern ein Aufbruch in ein neues Normal.

Wie sieht dieses neue Normal aus?

Das bedeutet vor allem Investitionen ins Ökologische und ins Soziale. Das ist mein Hauptproblem mit dem Entwurf des Bundes­haushalts für 2024. Er verliert sich viel zu sehr im Klein-Klein.

Meinen Sie damit beispielsweise die geplante Kürzung der Mittel für das Studenten-Bafög von 1,8 Milliarden auf 1,4 Milliarden Euro?

Das ist ein sehr gutes Beispiel, weil es sich um einen kleinen Sparertrag handelt, der große Schäden hervorrufen wird. Für die zentrale Aufgabe der Sozialpolitik, nämlich die ökologische Transformation auch unter dem Aspekt sozialer Chancen für alle abzusichern, ist auch die Kürzung der Mittel für Studien­förderung ein Schlag ins Gesicht. Der Geldbeutel der Eltern darf nicht das Kriterium für ein Studium sein! Wenn wir nicht aufpassen, laufen wir auf weitere Debatten wie bei der Kinder­grundsicherung zu.

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Immerhin ist bei der umstrittenen Kinder­grundsicherung ein „Merkposten“ mit zusätzlich 2,5 Milliarden Euro für das Jahr 2025 vorgesehen. Reicht das nicht?

Auch dies ist viel zu kleinmütig und birgt sogar akute Gefahren. Erstens waren ursprünglich 10 Milliarden Euro mehr kalkuliert. Und in vielen Bereichen sollen Leistungen zusammengelegt werden. Ein Beispiel ist das Instrument „Bildung und Teilhabe“: Geld steht insbesondere Kindern zur Verfügung, deren Eltern Bürgergeld beziehen. Es soll dazu dienen, dass Kinder an Klassen­fahrten teilnehmen können und der Mitglieds­beitrag der Kinder für Sportvereine gezahlt werden kann. Diese Zuschüsse konnten bislang relativ einfach beantragt werden. Wenn nun mit der Kinder­grundsicherung ein großer bürokratischer Topf entsteht, können die Beantragungs­modalitäten so kompliziert werden, dass es die betroffenen Familien überfordert.

Dabei soll mit der Kinder­grundsicherung doch eigentlich alles einfacher werden.

Ja, und vor allem muss es gerechter werden. Wer Kinder wirksam vor Armut schützen will, muss Geld in die Hand nehmen. Das ist zukunfts­gerichtete Politik für die kommenden Generationen und nicht das Kaputtsparen in ihrem Namen. Es droht insgesamt ein Rückfall bei sozialen Investitionen, um kleine Sparerträge zu realisieren. In diesem Sinne argumentieren auch Arbeitgeber­lobbyisten. Wir stehen vor einer Jahrhundert­aufgabe, und die Arbeitgeber wollen lieber kleine verteilungs­politische Gelände­gewinne erzielen – etwa, indem Beiträge zur Sozial­versicherung unter die Marke von 40 Prozent gedrückt werden. Anstatt sich um Strategien für die Zukunft zu kümmern. Da fehlen mir die Worte.

Kindergrundsicherung soll bessere Leistungen beinhalten

Über die Kinder­grundsicherung wird seit Jahren diskutiert – die aktuelle Bundes­regierung will sie noch in ihrer Legislatur­periode einführen.

Auch der Zuschuss des Bundes zur Pflegeversicherung in Höhe von einer Milliarde Euro soll wegfallen.

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Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Richtung nicht stimmt. Wir diskutieren seit Jahren über Notstände in der Pflege. Solche Kürzungen sorgen für noch mehr Verunsicherung und noch höhere Belastungen für die Betroffenen.

Macht Ihnen die Debatte über das Elterngeld Sorgen? Hier sollen staatliche Leistungen für Wohlhabende gekürzt werden.

Das ist weniger ein sozial­politisches als vielmehr ein gleichstellungs­politisches Problem. Und es ist nicht so, dass hier Geld an einer Stelle weggenommen wird, um es an einer anderen Stelle, etwa für die Kinder­grundsicherung, sinnvoll einzusetzen.

Debatte um Elterngeld löst erneut Streit in der Ampelkoalition aus

In der Ampelkoalition ist ein neuer Streit entbrannt. Pläne zur Senkung der Einkommensgrenze für den Bezug von Elterngeld stoßen auf harte Kritik.

Gegner der Schuldenbremse

Finanzminister Lindner argumentiert, das Einhalten der Schulden­bremse sei wichtig, weil sie im Grundgesetz verankert ist, weil wir damit kommende Generationen vor finanziellen Lasten schützen und weil wir ein Signal an andere Länder in der EU senden. Ist da gar nichts dran?

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Der Stabilitäts- und Wachstums­pakt der EU zielt in Richtung Konsolidierung. Mittlerweile sieht man aber in Europa, dass diese Regeln enge Fesseln sind. Jetzt wird intensiv diskutiert, wie dieser Finanzpakt modifiziert werden kann. Auf europäischer Ebene ist man weiter als Finanzminister Lindner. Er wird mit seinem Vorgehen nicht viele Pluspunkte in Brüssel sammeln können. Zweitens wäre es tatsächlich am besten, die Schulden­bremse abzuschaffen. Drittens: Worin soll die Zukunfts­vorsorge bestehen, wenn wir zwar etwas weniger Staatsschulden haben, dafür aber über keine Brücke mehr fahren können, die Teilhabe an Bildung ausgehöhlt wird und wir die Verschärfung der Klimakrise erleben? Lindners Argumente halte ich für pure Ideologie. Die USA machen es besser und investieren massiv in neue ökologische Technologien und damit in die Zukunft.

Was genau ist für Sie sozial-ökologische Finanz­politik hierzulande?

Das lässt sich am Beispiel des Heizungs­gesetzes zeigen: Die öffentliche Förderung zielt auf die Reduzierung klima­schädlicher Emissionen – das ist das Ökologische. Aber sozial wird das Ganze erst, wenn Mieterinnen und Mieter bei den Kosten geschützt werden und wenn die öffentlichen Gelder nur an Unternehmen und Handwerks­betriebe fließen, die tarifliche Mindest­standards einhalten.

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Gäbe es denn Möglichkeiten, anderswo zu sparen? Etwa Subventionen zu streichen?

Natürlich. Es gibt einen Subventions­tatbestand, der leicht abgeschafft werden könnte und ein erhebliches Volumen hat. Das ist das Ehegatten­splitting. Also die Möglichkeit, dass Ehegatten ihre unterschiedlich hohen Einkommen gemeinsam versteuern und damit beim Steuersatz erheblich tiefer kommen. Das ist unter Gleichstellungs­aspekten kontraproduktiv. Aber da will die Ampel nicht ran. Grundsätzlich geht es darum, sich dem Spardiktat nicht unterzuordnen. Da, wo Investitionen ins Soziale und Ökologische nötig sind, müssen sie gerecht finanziert werden. Doch das verträgt sich nicht mit dem Steuersenkungs­dogma der FDP.

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Was kann die Bundesregierung noch besser machen?

Wir brauchen ein sozialstaatliches Sicherungs­versprechen. Das ist die Zusage an die Menschen, dass wir ihnen zwar vieles zumuten – wir können einzelne Arbeitsplätze nicht garantieren, können nicht gänzlich vor Inflation schützen –, aber dass wir sie nicht ins Bodenlose fallen lassen. Dass sich die Menschen aufgrund solch einer Absicherung auf die Heraus­forderungen einlassen können. Ein positives Element der Regierungs­arbeit ist das geplante Qualifizierungs­geld: Beschäftigte müssen sich in der neuen Arbeitswelt mit neuen Anforderungen konfrontieren, aber sie werden dabei unterstützt, sich weiterzubilden, es wird garantiert, dass Einkommen während der Weiter­bildung gesichert werden. Zu diesem Versprechen muss auch gehören, dass alle am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dazu zählt auch – Stichwort Kinder­grundsicherung –, dass Kinder aus einkommens­schwachen Familien Unterstützung erhalten: Denn für die Zukunft junger Menschen kann es von großer Bedeutung sein, ob sie an Klassen­fahrten teilnehmen können oder nicht.

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