Die neue IAA: Was die Autoshow über die Zukunft der Branche verrät

Die IAA, die Internationale Automobilausstellung, feiert ihre Premiere in München mit einem Mix aus Ausstellung und Unterhaltung.

Frankfurt am Main. Es ist alles da: Die große Bühne und glänzendes Blech, die Nische und das praktische Lastenrad, eine Teststrecke und Podiumsdiskussionen wird es auf der IAA Mobility, wie die Internationale Automobilausstellung jetzt heißt, von morgen an in München geben. Am ärgsten könnte zum Beginn allerdings ausgerechnet das fehlen, was der neue Namenszusatz verspricht: Mobilität.

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Die Lokführer streiken, Corona beschränkt die persönlichen Kontakte, in Unternehmen gelten Reisebeschränkungen, und wer mit dem Auto nach München fährt, lässt es besser weit draußen stehen. Denn in der Stadt erwartet die Polizei massive Proteste gegen die Autoshow, die selbst gar keine mehr sein will.

IAA spiegelt Zustand der Branche

Ungewollt spiegelt der schwierige Neustart der IAA den Zustand der gesamten Branche. Die Ziele sind definiert, die Visionen bild- und wortreich beschrieben – aber auf dem Weg dahin rumpelt es gewaltig. Hildegard Müller, Präsidentin des Autoverbands VDA, verbreitet unverdrossen Aufbruchstimmung. Die Messe werde ein Erlebnis und eine Begegnung mit den Produkten und der Mobilität von morgen, sagte sie kürzlich im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) – „bunt und positiv“.

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Die Messe wird eine ­Begegnung mit der ­Mobilität von morgen.


Hildegard Müller,

Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie

Dafür muss das Auto allerdings aus der ersten Reihe verschwinden. Die einst größte Autoshow der Welt will keine Internationale Automobilausstellung mehr sein, sondern laut Müller „Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutralität“ anbieten. Es gibt Diskussionsforen in rauen Mengen, eine Kidsworld, eine Fitnessarena, Oldtimer und Fahrräder von 70 Herstellern. Facebook schickt als offizieller Messepartner reihenweise Spitzenleute in die IAA-Konferenzen, die, wie die Veranstalter ankündigen, „wegweisende Erkenntnisse aus der Welt der Digitalindustrie“ liefern werden.

Für Dudenhöffer passt einiges nicht zusammen

Für Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer passt da einiges nicht zusammen. Volksfest, Kindergeburtstag, Oldtimer und Fahrräder: „Das ist eine bunte Melange statt klarer Fokussierung“, sagte er dem RND.

Der Verband geht auch mit Veranstaltungen in die Stadt und bindet das Messegelände mit einer „Blue Lane“ zum Testen neuer Mobilität an. Das ist ein Wagnis, denn es wird wohl so viele Gegendemonstrationen wie niemals zuvor bei einer IAA geben. Für Umwelt- und Klimaschützer sind die drei Buchstaben noch immer das Synonym für den weltgrößten Tummelplatz von PS-Fetischisten.

Das ist eine bunte ­Melange statt klarer ­Fokussierung.

Ferdinand Dudenhöffer,

Auto-Experte

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Vor zwei Jahren lieferten Demonstrationen bereits die Begleitmusik für den letzten IAA-Auftritt in Frankfurt, der zu einer ziemlich depressiven Inszenierung mit Besucherschwund und leeren Hallen geriet. Sie endete mit der Entscheidung, alles anders zu machen: München statt Frankfurt, Mobilitätskonzepte statt Motorfetisch. Der VDA, für den die Messe eine maßgebliche Einnahmequelle ist, will signalisieren, dass es die Branche wirklich ernst meint mit dem sauberen Fahren.

Schrumpfung ist der Preis

Der Preis dafür ist Schrumpfung. Die Stellantis-Gruppe mit ihren 14 Marken, von Alfa Romeo über Opel und Peugeot bis zu Jeep, verzichtet auf eine IAA-Präsenz. Der weltgrößte Hersteller Toyota fehlt ebenso wie die VW-Töchter Skoda und Seat. Letztere schickt nur ihre Elektromarke Cupra nach München.

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Viele Konzerne müssen sparen, erwarten nichts von einer Messe in der Pandemie, präsentieren sich längst in anderen Formaten – oder haben schlicht wenig zu bieten, was ins neue Format passen würde. Denn von der schönen neuen Mobilitätswelt, die in München gezeigt werden soll, ist die Realität noch weit entfernt.

Wenig davon haben sich die Autohersteller selbst ausgedacht. Gesetze und neue Konkurrenten zwingen die selbstbewusste Branche zur Kehrtwende, und sie schleudert gerade um die Kurve – nicht selten mit zwei Rädern in der Luft. Die größten Herausforderungen:

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Elektroantrieb

Noch vor wenigen Jahren galten in der Industrie vergleichsweise betuliche Pläne für den Umstieg auf den E-Antrieb. Schrittweise sollte es gehen, mit hohem Verbrenneranteil bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein. Das einst festgelegte Ziel, im Jahr 2020 mindestens eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen zu haben, galt als komplett utopisch. Jetzt wird es nur ein Jahr verspätet erreicht, und niemand staunt mehr als die Hersteller selbst.

Erzwungen hat den Siegeszug der Batteriefahrzeuge die Politik zuerst in China, dann in Europa und neuerdings – nach vier Jahren Trump-Pause – auch wieder in den USA. Mit ihrem Fit-for-55-Programm legt die EU noch einmal nach: In gut zehn Jahren wird der Verbrennungsmotor – Plug-in-Hybrid inklusive – als Neuwagen verschwinden.

Drei Frauen, drei E-Autos – und eine Fahrt in den Urlaub

Auf Urlaubstauglichkeit geprüft wurden bei einer Fahrt nach Holland der Opel Zafira E, der Kia E Niro und der Volvo XC 40 Recharge P8.

Die großen Hersteller liefern inzwischen reihenweise ihre Ausstiegsszenarien, aber viele Zulieferer wissen nicht, wie sie so schnell hinterherkommen sollen. Und hinter vorgehaltener Hand fragen sich auch Topmanager, wie man den aktuellen E-Boom über Jahre am Leben halten soll – denn die Kunden lassen sich nur mit hohen Subventionen überzeugen. Das Ladenetz wächst viel zu langsam, und in Osteuropa wird es vor allem Kohlestrom verteilen, der dem Elektroantrieb jeden Klimavorteil raubt.

Neue Technologie

Die typische Handbewegung des einstigen VW-Chefs Martin Winterkorn war ein Fingerstrich über die Dachkante: Der Qualitätsfetischist prüfte Schweißpunkte. Das könnte bald eine vergessene Kunst sein, denn plötzlich zählen andere Technologien. Lange wollten Autobauer nichts mit der Batterieherstellung zu tun haben, obwohl E-Autos längst in der Entwicklung waren. Doch kompetente Zulieferer sind knapp und teuer, jetzt treiben Autobauer selbst den Bau von Batteriefabriken – wohl zu spät, um all die E-Autos reibungslos zu versorgen.

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Bei Halbleitern erlebt die Branche gerade ein Dé­jà-vu. Es gibt Produktionsengpässe, die niemand auf die Schnelle beseitigen kann. Die selbstbewusste Branche spürt plötzlich ihre Abhängigkeit und sucht Auswege. Bis zur eigenen Chipherstellung wird es die Industrie wohl nicht treiben, aber eine eigene Halbleiterentwicklung und feste Partnerschaften mit Spezialisten wird es vermutlich geben.

Dafür muss man allerdings auch die Software beherrschen. Es ist wohl die größte technologische Richtungsentscheidung. Viele – auch große – Hersteller kaufen die Autosoftware bei Google oder Apple ein. Die Plattformen sind bewährt und vertraut, haben aber einen entscheidenden Nachteil: Fortan haben die IT-Konzerne den Kontakt zu Kunden und deren Daten, die Autobauer liefern nur das fahrbare Gehäuse. Branchengrößen wie VW und Daimler wollen das unbedingt verhindern und entwickeln eigene Betriebssysteme – mit riesigem Aufwand und ungewissem Erfolg.

Autonom fahren

Irgendwann mochte man sie nicht mehr sehen – die kastenförmigen Mobile mit den Liegesofas im Innenraum, die angeblich die Zukunft des autonomen Fahrens sein würden. Die Showmobile verschwanden schnell wieder, denn das Publikum reagierte skeptisch und die Technik widerspenstig. Bis zum wirklich autonomen Fahren sei es doch weiter als gedacht, beichteten die Entwickler. Diverse Projekte und Kooperationen auf diesem Feld platzten.

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Doch inzwischen dreht der Wind wieder, Wunsch und Wirklichkeit beim autonomen Fahren werden neu austariert. VW hat sich auf diesem Feld mit Ford zusammengetan und will schon in wenigen Jahren Kleinbusse autonom fahren lassen. US-Konzerne wie das Google-Unternehmen Waymo haben das Thema nie aufgegeben und den technischen Vorsprung eher noch ausgebaut – und der Angstgegner Tesla wird nicht ruhen, bis sein Assistenzsystem den Namen „Autopilot“ wirklich verdient. Auch hier stellt sich wie bei der Software die Frage: Wer beherrscht es selbst und wer kauft ein?

Neue Geschäftsmodelle

Wenn die Zylinderzahl nicht mehr den Unterschied macht, bröckelt der Autopreis. Also müssen neue Erlösquellen her. Jeder große Konzern hat inzwischen seine Mobilitätssparte – und alle stochern im Nebel. Wird Carsharing wirklich ein Geschäft? Wollen die Leute Autoabos? Werden sie vor der Autobahnfahrt für mehr Motorleistung extra zahlen? Können sie eines Tages im selbst steuernden Auto online einkaufen? Möglich wäre das genau so wie Spielereien mit der Innenbeleuchtung, Sonderprogramme im Multimediasystem oder größere Reichweite um den Preis niedrigerer Geschwindigkeit. Es entwickelt sich ein riesiges Experimentierfeld rund um die Datennutzung, auf dem die Autobauer kaum Erfahrung haben. Doch sie werden sie sehr schnell sammeln müssen, bevor es andere tun.

Neue Konkurrenten

Innerhalb weniger Jahre hat Tesla die etablierten Autobauer alt aussehen lassen. Inzwischen wachsen so viele „kleine Teslas“ nach, dass sich selbst das Original bedroht fühlen muss. Ein Auto auf eine Elektroplattform stellen, ein Softwaresystem einkaufen und eigene Anwendungen dafür entwickeln – nichts davon können traditionsreiche Automarken besser als andere. Ambitionierte Start-ups treten auf den Plan, aber auch heimliche Weltkonzerne aus China, die in jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit etablierten Marken Know-how gesammelt haben. Eine der ersten Premieren der IAA Mobility war ein Plug-in-SUV der Marke Wey. Dahinter steht der Konzern Great Wall – benannt nach der chinesischen Mauer.

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